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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Geschütz
Reichenbach zu München gegebenen Anregung. Eine
zusammenhängende Folge der Entwicklung gezogener
O. knüpft sich erst an diejenigen Konstruktionen an,
mit denen um 1845 der Hüttenbesitzer Baron Wahren-
dorff zu Äker in Schweden und der sardin. Artillerie-
offizier Eavalli (s. d.) sich beschäftigten. Wahren-
dorfss Bestrebungen gingen zunächst nur auf die
Anwendung der Hinterladung bei G. behufs leich-
terer Bedienung in gedeckten Aufstellungen, wobei
er zugleich durch Umlegen eines Vleiüberzugs um
die eiserne Rundkugel den Spielraum beseitigte.
Bei seinem Verschlüsse wandte er im Gegensatz zu
den Konstruktionen früherer Jahrhunderte zuerst
/X^
einen den Gasabschluß nach rückwärts vermitteln-
den Dichtungsring an. Der Verschluß selbst be-
stand in einem von hinten in die Bohrung ein-
tretenden Cylinder, der durch einen quer durch das
Rohr und den Verschlußeylinder gesteckten Keil fest-
gehalten und mittels einer Schraudenvorrichtung
Fig. 11.
festgestellt wurde. Cavalli machte seine Versuche
gleichfalls mit einem Hinterladungsrohr, das durch
einen in eine Queröfsnung des letztern eintretenden
Keil verfchlossen wurde, brachte aber in der Seele
Züge an, in die ein cylindrokonisches Geschoß mit
entsprechenden Ansätzen eingriff, ohne daß indes
der Spielraum befeitigt wurde. Wahrendorff nahm
ebenfalls die Züge und das Langgeschoh an, umgab
aber letzteres auf seinem zylindrischen Teile mit
Fig. 12.
einem Vleimantel, dessen Querschnitt so bedeutend
war, daß sich das Geschoß gewaltsam in die Züge
einpressen mußte und nicht bloß rotierend, sondern
ohne Spielraum durch das Rohr ging. G. nach
Eavallis Idee wurden bereits 1847 in Italien in
Gestalt 8zölliger, von hinten zu ladender und mit
zwei Zügen versehener Vombenkanonen angenom-
men und später vor Gae'ta l1860-6l) mit Erfolg
benutzt. Durch die Versuche Wahrendorffs und Ca-
vallis angeregt, fanden zwischen 1850 und 18(>0
sowohl in Frankreich und Preußen als in England,
dort durch die Regierungen, hier durch Private,
weitere Versuche mit gezogenen G. statt.
In Frankreich entschied man sich für Cavallis
Idee der <^pielraumführung unter Beibehalt der
durch Jahrhunderte traditionell gewordenen Vorder-
ladung. Es entwickelte sich hier das französische
Gesch i'l tz sy st em von 1853, das bereits im Feldzug
von 1859 in Oberitalien einer Feuerprobe unter-
zogen wurde und dann teils in unveränderter Ge-
stalt, teils mit wenig erbeblichen Linderungen eine
sehr ausgedehnte Verbreitung gewann, indes im
Deutsch-Französischen Krieg von 1870 und 1871 sein
Ansehen gänzlich einbüßte. Preußen bildete sein Sy-
stem gezogener G. auf Grund der Wahrendorffschen
Bestrebungen, als Hinterlader mit gänzlicher Be-
seitigung des Spielraums. Das preußiscke Ge-
schützsystem wurde wegen seiner größern Kom-
pliziertheit anfänglich vielfach mit Mißtrauen be-
trachtet, brach sich aber allmählich mehr und mebr
Bahn, bis es infolge der Ergebnisse des Krieges
von 1870-71 in seinen Grundzügen mustergültig
wurde, sodaß spielraumlose Hinterlader jetzt noch
allein eine Rolle spielen. In England waren es im
obengenannten Zeitraum (abgesehen von einer nicht
zur Lebensfähigkeit gelangten Konstruktion Lan-
casters) hauptsächlich zwei Industrielle, die auf ver-
fchiedenen Wegen vorgingen, Whitworth mit Spiel-
raumgefchützen von sechseckigem Seelenquerschnitt,
anfänglich auch Hinterlader, Armstrong (s. d.) mit
spielraumlosen Hinterladern ähnlich wie in Preußen,
aber mit anderm Verschluß und einem besondern
Herstellungsverfahren der Rohre.
Die französischen gezogenen G., nach dem Haupt-
tonstrukteur auch als System Lahitte bezeichnet,
waren meist in Bronze gegossen und hatten drei bis
secks Züge, deren Profil durch obenstehende Fig. 10
dargestellt ist, die Geschosse mit Ailetten (s. Ge-
schoß, Fig. 19), die beim Laden in die Züge ein-
gedreht werden und an der kürzern Kante d ä ent-
lang gleiten, in dem hintern Teil der Seele an-
gelangt aber vermöge der Verengung eines der
Züge all die längere Kante ^6 gedrängt werden, an
der sie bei der Vorwärtsbewegung des Geschosses
im Rohr verbleiben. Diese Kante heißt daher auch die
Fü h ru n g s k ante des Zugs, während I> ä Lade-
kante genannt wird. Diese besondere Anordnung
soll die Schwankungen des Geschosses vermöge des
Spielraums verhindern. Auf ähnlichen Grundsätzen
beruht das System der österr. Feldgeschütze von
18<N. Das Zugprofil ergiebt Fig. 11, die gerad-
linige Kante III' ist die Ladetante,
die gekrümmte!!(>> die ^ührungs-
kante, das Geschoß hat einen ent-
spreckend geformten Zinkzinn-
mantel (s. Geschoß, Fig. 20). Die
Ansätze des letztern werden nach
dem Laden mittels des Wischers
mit ihrer gekrümmten Fläche an
die Führungskante gebracht (diese Lage ist durch
It/1'8 dargestellt). Durch die ganze Anordnung
erhält das Geschoß bei der Vorwärtsbewegung
eine gesichertere Anlehnung und ist gewissermaßen
ccntriert. Man nennt das Zugprofil dasjenige der
Bogenzüge. Das Längenprofil eines österr. Feld-
geschützes veranschaulicht Fig. 121 a Pulverkammer,
d gezogener Teil. Das Profil von Wbitworth
ist dargestellt in Fig. 13; das Geschoß ist dem ent-
sprechend geformt. Seine spätern Konstruktionen
sind Vorderlader.