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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gewandnadel - Gewandung
wurden, dem alten Gewandhaus (s. d.) an der Nni-
versitätsstraße. In diesem städtischen Gebäude
wurde 1781 auf Veranlassung des damaligen Bür-
germeisters Kriegsrat K. W. Müller für die'wöchent-
lichen Konzerte ein Saal eröffnet, der sich durch seine
Akustik auszeichnete und erst 1884 mit dem von der
Konzertdirektion neuerrichteten prächtigen Konzert-
hause (Neues Gewandhaus, zwischen Beethoven-
und Mozartstrahe) vertauscht wurde. Die G. sind
das älteste und größte Konzertinstitut in Deutsch-
land. Ihre Vedeutuug liegt in ihrer Organisation,
dem Festhalten an dem alten Princip, nur gute, na-
mentlich klassische Musik in wöchentlichen Konzerten
zu pflegen, das, hervorgerufen durch die ^oiis^ia
inu8icii der Studenten, in der zweiten Hälfte des
18. Jahrh, ganz Deutschland beherrschte. Die an-
dern wöchentlichen Konzerte des 18. Jahrh, fielen
den Napoleonischen Kriegen zum Opfer, das Ge-
waudhaus allein trug die alten Institutionen glück-
lich in die nene Zeit und hatte uuter der Leitung
von Killer, Schicht, Mendelssohn und Reinecke (seit
1860) bedeutende Einwirkung auf das ganze deutsche
Musikwesen. Die Verwaltung des Iustituts unter-
steht einem Direktorium von 12 bis 16 Mitgliedern.
- Vgl. Dörffels Festschrift zur 100jährigen Jubel-
feier (^ Abteil., Lpz. 1881 u. 1881) und Kneschke, Die
150jährige Geschichte der Leipziger G. (ebd. 1893).
Gewandnadel, Brosche (frz. drocns, Nadel),
Schmuckgegenstand, dessen Zweck ist, zwei Seiten
eines Gewandes, eines Mantels, eines Shawls auf
der Brust zusammenzuheften. Der wesentliche Be-
standteil der G. ist daher eine Nadel, die unter einem
Schilde, unter einem Bogen oder sonstigem Oberteil
in einer offenen Röhre oder in einem Haken geborgen
liegt. Sie bildet mit diefer Nadel deu Gegenfatz zur
Agraffe (s. d.). Schon in ältester Zeit finden sich
solche Nadeln in Gold, Silber und Bronze; auch die
Fibula (s. d.) oder der Fürspan des Mittelalters ist
nichts anderes. Als Zubehör des Bischofsmantels
ssecwi-ale) ist die G. während des Mittelalters in
großartiger Weise ausgebildet worden.
Gewandung, in den Werken der Plastik und
Malerei die den menschlichen Körper bedeckenden
Gewänder. Ein Haupterfordernis, das die bildende
Kunst an eine ästhetisch schöne G. stellt, ist, daß sie
die Formen und Veweguugeu des Körpers iu uu-
gezwungener Weise erkennen lasse. Die Falten
müssen so angeordnet werden, daß sie den am leben-
den Körper sich darbietenden Motiven, dem Ge-
schmack der Zeit und der Bedeutung der dargestellten
Person entsprechen (natürliche, historisch treue, ideale
G.). Vor allem darf die G. keine fcharf gebrochenen
Falten zeigen, weil die eckigen Linien und die da-
durch hervorgerufenen spitzen Licht- und Schatten-
Winkel das Äuge beleidigen und den fleifchigen,
rundlichen Körperformen das sanfte, leicht Gewellte
benehmen; andererseits dürfen die Falten nicht alle
gleich gelegt oder parallel sein, was den Eindruck
der Steifheit hervorrufen würde. Wünscht man die
Körperformen stark hervortreten zu lassen, so finden
die sog. nassen Gewänder Verwendung, die sich dem
Körper eng anschließen; ihnen entgegengesetzt ist die
weite und in reichem Faltenwurf angeordnete G.
Der Maler hat noch befonders Rücksicht auf die rich-
tige Verteilung von Licht und Schatten zu nehmen.
Seine Gewandstudien macht der Künstler nach einer
lebenden Gestalt oder nach einer hölzernen Figur,
dem sog. Gliedermann, die er mit dem Gewandstück
bekleidet und in die beabsichtigte Stellung bringt.
Die ägypt. Kunst schuf in Plastik und Malerei
Gestalten, die meist mit einem faltenlosen, nur die
untere Hälfte des Körpers eng umhüllenden Gewände
bekleidet sind, wogegen die alte ind. Kunst eine fal-
tenreiche G. zur Anwendung brachte. Der älteste
Stil der griech. Kunst zeigt in der G. enge, parallel
laufende Falten, die in ängstlich gewellte Säume
enden, was auch später in dem sog. archaistischen Stil
aufgenommen wurde. Einen derartigen Typus der
G. bietet u. a. die Athenestatue vom Westgiebel des
Athenctempels zu Agina (f. Aginetische Kunst) und
die Hestia Giustiniani im Museo Torlonia in Rom.
An den Statuen und Reliefs aus der Blütezeit der
griech. Kunst findet sich die G. auf mannigfaltige
Weise zur höchsten Schönheit ausgebildet. Unüber-
troffene Muster sind in dieser Hinsicht die Skulpturen
am Fries des Parthenon (s. d. und die Tafel:
Skulpturen aus dem Ostgiebel des Par-
thenon beim Artikel Griechische Kunst), Einzel-
statuen wie die der Aphrodite von Melos (s. Tafel:
Aphrodite von Melos, Bd. 1,S. 734), der fog.
Varberinischen Juno im Vatikan zu Rom. Jene er-
wähnte sog. nasse G. zeigt z. B. die zu Olympia (s. d.)
aufgefundene Nike des Päonius, eine weite, flat-
ternde G. u.a. die Skulpturen vom Altarfries zuPer-
gamon (s. d.), die Gruppe der Niobiden, die Statue
des Apollon Musagetes und in verstärktem Maße die
Nike von Samothrake. Auch die röm. Kunst leistete
in der Wiedergabe der G. Vorzügliches; erwähnens-
wert sind die Statue des Augustus aus Prima Porta
(s. die Tafel: Römische Kunst I. Augustus) und
die sitzende Figur der ältern Agrippina (Taf. 111,
Fig. 3). Bei den Künstlern der neuern Zeit findet
man seit Giotto eine gute und richtige Grundlage
der Drapieruug; aber erst Leonardo da Vinci, Mi-
chelangelo und Raffael haben die G. zu der Größe
uud Schöuheit ausgebildet, die der ideale Stil for-
dert. Besonders hat dieselbe durch Raffael die
Grazie erhalten, durch die sie gleichsam an dem
Leben der Gestalt, an der Anmut ihrer Bewegungen
Anteil nimmt und fähig wird, die verhüllten Schön-
heiten zu ersetzen und durch eigentümliche Reize die
Lust der Betrachtung zu erhöhen. So vor allem in
dem Bilde der Sirtinischen Madonna (s. die Tafel:
Sirtinische Madonna, beim Artikel Naffael
Santi), in dem drei verschiedene, durch den Stoff
und die Beweguug bedingte und in herrlicher Weife
charakterisierte Arten der G. sich dargestellt finden.
Anders verhält es sich bei den Kunstwerken der
nordischen Schulen. Der roman. Stil des 11. und
12. Jahrh, zeigt enge, parallel laufende Falten, die
an jene altgriech. Bildwerke erinnern; dann folgt
mit dem 13. und 14. Jahrh, in der Gotik ein freier
und fliehender Faltenwurf, bis die Schule der van
Eyck einen neuen <^til der G. einführte. Ihnen ver-
dankt man die fchweren, dicken Gewänder mit harten,
eckigen Brüchen und Falten (s. Tafeli Genter
Altar, Bd. 6, S. 484), die in den deutschen
Schulen des 15. Jahrh, und meist noch bei Dürer
herrschen. Erst mit dem Eindringen des ital. Stils
im 16. Jahrh, verschwand mit so vielen Eigentüm-
lichkeiten der deutschen Kunst auch diese. In der
heutigen Bildnerei und Malerei wird die G. ent-
weder nach dem Vorbild des klassischen Altertums
(antik, ideal), oder, besonders bei Porträtwerken,
historisch treu behandelt. Ausnahmsweise, wie z. B.
bei der Blücherstatue von Rauch aus dem Opernplatz
in Berlin, wird über die in histor. Tracht gebildete
Gestalt noch ein antikes Gewand gelegt. Unter den