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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Großbritannien und Irland (Verfassung)

wurden 58, in Schottland 7, in Irland 3 Mill. Depeschen aufgegeben. Irland ist durch fünf unterseeische Telegraphenkabel mit Amerika verbunden, zwei ebensolche Kabel führen von Dover nach Frankreich, ein anderes nach dem Haag, zwei nach der Küste von Hannover, eins nach Dänemark und eins nach Norwegen. Im ganzen haben die submarinen Telegraphencompagnien 213330 km, Drähte gelegt; zu diesen Kabeln gehören auch Falmouth-Vigo-Lissabon und Kap Lizard-Bilbao.

Fernsprechwesen. Das Fernsprechwesen des Vereinigten Königreichs ist seit 1880 gleich dem Telegraphenwesen durch richterliche Entscheidung Monopol der Post Office, die jedoch Privatgesellschaften gegen eine Abgabe von einem Zehntel der Roheinnahme das Recht der Anlage und Ausbeutung erlaubt. Wiewohl das Fernsprechwesen in Großbritannien nicht so ausgedehnt entwickelt ist wie in Deutschland, Schweden, den Vereinigten Staaten u. s. w., da das Klima und manche andere Verhältnisse einen schnellen Fortschritt verhindern, sind doch die Ergebnisse im ganzen zufriedenstellend. London hat fast mit allen größern Städten, z. B. Birmingham, Bradford, Liverpool, Manchester Fernsprechverbindung. Eine der längsten Verbindungen ist die im März 1891 zwischen London und Paris eröffnete Fernsprechlinie. In London hat die Post Office 4900 Abonnenten mit 5150 Apparaten, 550 Trunk Wires (Hauptleitungsdrähte) und 21 Exchanges (Wechsel- oder Übergangsleitungen). Von den Privatgesellschaften ist die bedeutendste die National Telephon Company, die 1. Mai 1893: 500 Wechsel- oder Übergangsstationen, 1247 Sprechstellen (Call Offices), 49561 Wechsel- oder Übergangsdrähte, 9470 private Leitungen, insgesamt 59031 Leitungsdrähte besaß.

Rohrpost. Die erste Rohrpost wurde in London 1853 zwischen der Börse (Stock Exchange) und der Internationalen Telegraphen-Compagnie zur Beförderung von Telegrammen eingerichtet und 1858 von Varley verbessert. Jetzt bestehen Rohrposten (Pneumatic Dispatches) zwischen der General Post Office in London und den Ämtern der Innenstadt; dieselben dienen jedoch nur dem innern dienstlichen Verkehr der Postämter untereinander. In den größern Provinzialstädten des Vereinigten Königreichs bestehen ähnliche Einrichtungen. 1887 hatte London 81 Leitungen von 34 engl. Meilen Länge mit 4 Dampfmaschinen (50 Pferdestärken), das Vereinigte Königreich 128 Leitungen von 46 engl. Meilen Länge mit 15 Dampfmaschinen (379 Pferdestärken).

Verfassung. Das Vereinigte Königreich G. u. I. ist aus der völligen Vereinigung von Schottland mit England (durch die Unionsakte vom 6. Mai 1707) und von Irland mit den beiden unierten Königreichen (2. Juni 1800) entstanden und ist eine erbliche, konstitutionelle, beschränkte Monarchie, deren Thron seit 1714 die jüngere Linie des Welfen- oder Braunschweig-Lüneburgischen Hauses innehat. Die Krone geht auf den Thronfolger unmittelbar über, ohne daß eine Anerkennung von seiten des Parlaments oder eine Krönung vorherzugehen braucht; gewöhnlich erfolgt letztere aber später in der Westminsterabtei zu London durch den Erzbischof von Canterbury, ebenso ein sofortiges Ausrufen in der Hauptstadt.

Eine eigentliche Verfassungsurkunde existiert nicht. Ein langer geschichtlicher Entwicklungsprozeß (s. Englische Verfassung) hat die Befugnisse des Königs, des Parlaments, der Reichsbehörden, der lokalen Behörden und der Gerichtshöfe geregelt und für die Bethätigung der Rechte des Einzelnen willkürlichen Eingriffen gegenüber prozessuale Behelfe geschaffen. Die Resultate dieses Entwicklungsprozesses sind zum Teil in das ungeschriebene gemeine Recht (s. Common Law) übergegangen und aus den Präjudizien der Gerichtshöfe nachweisbar, teilweise in Gesetzen niedergelegt. Die Grundlage auf der die Verfassung Großbritanniens beruht, ist die Magna Charta (s. d.), die alle Wirkungen eines Gesetzes hat. Von weitgreifender Bedeutung sind ferner die Bill of Rights (s. d.), die Act of Settlement (s. d.) und die beiden Habeas-Corpus-Akte (s. d.). Formell stehen diese Gesetze und die gemeinrechtlichen staatsrechtlichen Grundsätze den andern Teilen des Rechts vollkommen gleich, und sie können stets ohne weiteres widerrufen und abgeändert werden; ihr Hauptinhalt ist aber fest in das Volksbewußtsein eingewurzelt. Andere Grundsätze derselben Art sind z. B. die, daß das Parlament jedes Jahr tagen muß, und daß das Ministerium aus Mitgliedern der Partei gebildet werden muß, welche im House of Commons in der Majorität ist. In der Praxis werden sie ebenso beobachtet wie die eigentlichen Rechtssätze; nur kann ihre Verletzung nicht auf dem Rechtswege verhindert oder bestraft werden. Daß jeder zu Recht bestehende Teil der Verfassung unter dem Schutze der ordentlichen Gerichte steht, daß diesen Gerichten gegenüber auch der Befehl eines Vorgesetzten in der Regel nicht entschuldigt - dieser Umstand kennzeichnet das engl. Staatsleben und wird bei der zunehmenden Decentralisierung und Demokratisierung noch eine große Rolle zu spielen berufen sein. Die Obergerichte können durch Gebot oder Verbot unmittelbar in das Verfahren der Verwaltungsbehörden eingreifen und gegen Pflichtverletzungen der Beamten nicht nur strafrechtliche, sondern auch civilrechtliche Abhilfe schaffen. Es giebt kein besonderes Disciplinarverfahren gegen Beamte und kein besonderes Verwaltungsgericht; selbst die Entscheidungen der bischöfl. Gerichte über Klagen gegen Geistliche wegen Verletzung der Vorschriften über Ritus oder Lehre gehen in letzter Instanz an einen weltlichen Gerichtshof; und auch die Militärgerichtsbarkeit greift nicht in die Gerichtsbarkeit der ordentlichen Gerichte ein.

Die einzelnen Glieder des Staatsorganismus sind die folgenden:

1) Der König. Die Krone ist im Hause Braunschweig-Lüneburg erblich in männlicher und weiblicher Linie nach dem Recht der Erstgeburt, in strenger Linealordnung, sodaß das weibliche Geschlecht in der ältern Linie den männlichen Verwandten der jüngern Linie vorgeht, aber unter Geschwistern immer die Söhne zuerst zur Thronfolge gelangen. Nach der Theorie ist ein König überhaupt nie minderjährig; es werden daher in den einzelnen Fällen besondere Bestimmungen getroffen. Für den Fall von Geisteskrankheit bestehen ebenfalls keine Bestimmungen. Bei der Erkrankung Georgs III. fand man den Ausweg, daß die beiden Häuser den Lord High Chancellor ermächtigten, statt des Königs die Genehmigung zu einem Regentschaftsgesetz zu geben.

Der König muß der engl. Landeskirche angehören. Der Satz, daß der König kein Unrecht thun kann, bedeutet, daß der König weder strafrechtlich noch civilrechtlich für widerrechtliche Handlungen haftet, und daß keine Regierungshandlung, welche nach