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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Hauptverfahren - Hauptverhandlung
Nei Tage ist der H. durch die Nationalflagge und
eine weiße Fahne mit rotem Kreuz, nachts durch
eine rote Laterne kenntlich.
Hauptverfahren,imdeutschenStrafprozeß(s.d.)
im Gegensatz zum Vorverfahren (s. d.) der mit dein
Eröffnungsbeschluß (s. Eröffnung des Hauptverfah-
rens) beginnende, mit der Verkündung des Urteils
schließende Abschnitt des Verfahrens, der wesentlich
in der Vorbereitung der Hauptverhandlung (s. d.)
durch Ladung des Angeklagten und des Verteidigers
und Herbeischaffung der Beweismittel und in der
Hauptverhandlung selbst oder etwaigen mehrern
Hauptverhandlungen besteht. Die Anordnungen
im H. werden, soweit nicht in einzelnen Fällen Ge-
richtsbeschlüsse erforderlich siud (z. B. bei kommissa-
rischen Vernehmungen von Zeugen, Entbindung
des Angeklagten vom Erscheinen in der Haupt-
Verhandlung), vom Vorsitzenden des erkennenden
Gerichts getroffen.
Hauptverhandlung, der wichtigste, der Fäl-
lung des Urteils vorangehende Abschnitt des Straf-
verfahrens. In der Regel in öffentlicher Sitzung
(die Ausnahmen s. Öffentlichkeit) erfolgend, soll sie
durch Vorführung des Veweismaterials mittels
der durch den Vorsitzenden geleiteten Verhandlung
zwischen den Parteien und den sonst beteiligten Per-
sonen dem Gericht den möglichst unmittelbaren Ein-
druck der zu beurteilenden That gewähren. Sie
findet deshalb in ununterbrochener Gegenwart der
zur Urteilssindung berufenen Personen: Richter,
Schöffen,Geschworenen,statt. Gerichtsschreiberund
Staatsanwalt (s. d.) sind zwar ebenfalls notwen-
dige Personen bei der H., allein ein Wechsel in der
Person des Gcrichtsschreibers ist nicht ausgeschlossen,
und die Verrichtungen der Staatsanwaltschaft wie
der Verteidigung (s. d.) können von mehrern Ver-
tretern nach- und nebeneinander wahrgenommen
werden. Soll der unmittelbare Eindruck nicht ver-
wischt werden, so mnß Sorge getragen werden für
die Gestaltung der H. zu einem ununterbrochenen
einheitlichen Vorgang, sodaß nach der Reichs-
^trafprozeßordn. §. 228 eine unterbrochene H.
spätestens am vierten Tage danach fortgefetzt oder
das Verfahren von ueuem begonnen werden muß.
Ebenso ist Anwesenheit des Angeklagten erforderlich,
da nur ausnahmsweise bei Abwesenheit (s. d.) ver-
handelt werden darf. Die Leituug der Verhandlung,
die Ausübuug der Sitzungspolizei (s. d.), die Ver-
nehmung des Angeklagten, die Aufnahme des Be-
weises erfolgt durch den Vorsitzenden, vorbehaltlich
jedoch der Entscheidung des Gerichtshofs bei Bean-
standung seiner Anordnungen durch die Beteiligten
oder im Fall entgegengesetzter Anträge der letztern.
Wenn das Gericht, einschließlich Staatsanwalt
und Gerichtsschreiber, versammelt ist, beginnt die
H. der einzelnen Sache mit dem Aufruf. Der An-
geklagte tritt ein oder wird, falls verhaftet, vor-
geführt, und zwar ungefessclt, nach österr. Verfahren
jedoch in Begleitung der Wache. Die Zeugen und
Sachverständigen werden aufgerufen, zunächst um
ihre Anwesenheit festzustellen oder beim Ausbleiben
die erforderlichen Entscheidungen zu treffen, ie nach-
dem die Verhandlung auch ohne den (die) Ausge-
bliebenen Erfolg verspricht, oder dessen (deren) Her-
bcischaffung ohne Aussetzung derH. möglich ist, oder
letztere vertagt werden muß. Über seine persönlichen
Verhältnisse wird der Angeklagte nach österr. Ver-
fahren vor dem Aufruf der Zeugen, nach deutschem
verfahren nach deren Wiederentfernung aus dem
aale vernommen. Sodann wird nach österr. Ver-
fahren die Anklageschrift, nach deutschem Verfahren,
weil man die Beeinflussung der zur Urteilsfindung
berufenen Personen durch Vorausschickuna einer
einseitigen Sachdarstellung vermeiden will, nicht
diese, sondern der Beschluß über die Eröffnung des
Hauptverfahrens (s. d.) verlesen, .hierauf erfö/gt
die Vernehmung des Angeklagten über die Beschul-
digung, soweit der Angeklagte sich auf Befragen
über dieselbe auslassen will. Der Vernehmung des
Angeklagten folgt die Beweisaufnahme, insbeson-
dere durch Vernehmung der Zeugen und Sachver-
ständigen. Diese sollen einzeln und in Abwesenheit
der später zu Veruehmenden gehört werden; den Sach-
verständigen kann jedoch gestattet werden, der Ver-
nehmung des Angeklagten und der Zeugen beizu-
wohnen. DieVeeidigung (s.Eid,Bd.5,S.771d) der
Zeugen und Sachverständigen erfolgt in der Regel
erst in der H. Zeugen, deren Aussagen voneinander
abweichen, können einander gegenübergestellt wer-
den (s. Konfrontation). Die beisitzenden Nichter,
Geschworenen, Schöffen,Staatsanwalt, Angeklagter
und Verteidiger haben die Befugnis, Fragen an die
Zeugen und Sachverständigen zu stellen, vorbehalt-
lich des Rechts des Vorsitzenden, ungeeignete oder
nicht zur Sache gehörige Fragen zurückzuweisen.
Die Deutsche Strafprozeßordnung gestattet in be-
schränktem Maße (§. 238) auch eine Vernehmung
der Zeugeu und Sachverständigen durch den Staats-
anwalt und Verteidiger (s. Kreuzverhör). Ausnahms-
weise, nach ß. 246 der Teutscheu Strafprozeßord-
nung nur, wenn zu befürchten ist, daß ein Mit-
angeklagter oder ein Zeuge bei seiuer Vernehmnng
in Gegenwart des Augeklagten die Wahrheit nicht
sagen werde, kann das Gericht letztern während dieser
Vernehmung abtreten lassen; doch muh der Vor-
sitzende den Angeklagten, sobald er wieder vor-
gelassen, nach der Österr. Strafprozeßordnung jeden-
falls vor Schluß des Beweisverfahrens, von dem
in feiner Abwesenheit Verhandelten unterrichten.
Das gleiche Verfahren verlangt die Deutsche Straf-
prozeßordnung auch dann, weun Angeklagter wegen
ordnungswidrigen Benehmens zeitweife entfernt
war, während §. 234 der Österr. Strafprozeßord-
nung in solchen Fällen sogar Fortführung der Ver-
handlung bis zur Urteilsverkündung in Abwesenheit
des Angeklagten gestattet. Die Beweisaufnahme
über den Inhalt von Urkunden, insbesondere von
frühern Strafurteilen, Straflisten, Auszügen aus
Kirchen- und Standesamtsbüchern, Augenscheins-
protokollen, Erklärungen öffentlicher Behörden, die
ein Zeugnis oder Gutachten enthalten, erfolgt durch
Verlesung. Dagegen darf durch die Verlesung von
Protokollen oder schriftlichen Erklärungen nach
der Regel der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit die
Vernehmung derjenigen Personen uicht ersetzt wer-
den, auf deren Wahrnehmung der Beweis einer
Thatfache beruht; insbesondere auch dann nicht,
wenn ein im Vorverfahren vernommener Zeuge erst
in der H. von dem Rechte der Zeugnisverweigerung
(s. d.) Gebrauch macht. Zulässig ist dagegen die we-
nigstens teilweise Verlesung früherer Protokolle zur
Unterstützung des Gedächtnisses oder zur Hebung
von Widersprüchen bei der Vernehmung der in der
H. erschienenen Zeugen oder Sachverständigen. Aus
letzterm Grunde ist auch die Verlesung früherer ge-
richtlicher Ausfagen, insbesondere von Geständ-
nissen des Angeklagten zulässig. Ausnahmsweise
zugelassen ist endlich die Verlesung der Protokolle