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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Isländische Sprache und Litteratur
prosaische Erzählung, die schon in sehr früher Zeit neben dem mündlichen Vortrag dieser Lieder begann, gewann allmählich in dem oben beschriebenen Saga-Stil die Oberhand; so sind uns erhalten die "Volsungasaga" (nach Bugges Text mit Einleitung und Glossar hg. von Ranisch, Berl. 1891), "Hálfssaga", "Fridthjófssaga", "Hervararsaga" und viele andere. Die romantischen Sagas sind ihrem Kerne nach Sagen und Märchen, im Volke entstanden und Ausdruck seiner abergläubischen Vorstellungen von einer Welt des Wunderbaren, namentlich der dem Menschen feindlichen Mächte, Riesen, bösen Geister u. dgl., mit denen die Phantasie die nordischen Felsengeklüfte und Einöden bevölkerte. Die Gestalt jedoch, in der sie vorliegen, erhielten sie jedenfalls erst unter der Hand des spätern Saga-Erzählers, der ihnen teils durch Einmischung von mythischen und heroischen oder auch histor. Namen und Begebenheiten, teils durch Herbeiziehung des abendländ. Rittertums einen besondern Reiz zu verleihen suchte. Hierher gehören z. B. die Sagas vom Ketil Hæng von Hrafnista (einer norweg. Insel) und von dessen Nachkommen, die "Bardarsaga", "Jökulssaga" und viele andere. Unter den Fornaldarsögur Sudrlanda begreift man die zahlreichen Sagas, die lat., franz., deutschen, engl. Quellen entstammen. Bei diesen scheint Island unter dem Einflusse Norwegens zu stehen. So entstanden nach franz. Quellen die "Magússaga", "Konradssaga", "Floventssaga", "Beverssaga"; nach lat. Originalen die "Alexanderssaga", "Trojumannasaga", "Bretasaga", "Stjórn" (ein Teil des Alten Testaments) und viele andere. (Vgl. G. Cederschiöld, Fornsögur Sudrlanda, Lund 1884.) Die überaus große Anzahl der zunächst zu kirchlichem Gebrauch und zur Erbauung bestimmten Legenden ("Postola sögur", "Mariusaga" und "Heilagra manna sögur") ist gleichfalls nach fremden Originalen bearbeitet.
Außer den Sagas hat die isländ. Prosa weder viele noch bedeutende Leistungen aufzuweisen. Grammatische Traktate, unter Zugrundelegung des Priscian und Donat, finden sich einer Handschrift der Snorreschen Edda beigefügt, komputistische unter dem Namen "Rímbegla" vereinigt und herausgegeben. Noch sei der durch ihre zum Teil sehr alte Überlieferung sprachlich bemerkenswerten Homilien gedacht sowie der wichtigen isländ. Gesetze, Rechtsbücher, Urkunden u. dgl.; unter ihnen ist das älteste und bedeutendste die "Grágás", d. i. graue Gans. - Darstellungen der altisländ. Litteratur geben Petersen, Bidrag til den oldnordiske Literaturs Historie (Kopenh. 1866); Keyser, Nordmændenes Videnskabelighed og Literatur i Middelalderen (Krist. 1866); Schweitzer, Geschichte der altskandinav. Litteratur (Lpz. 1886); E. Mogk in Pauls "Grundriß der german. Philologie" (2 Bde., Straßb. 1890-92); F. Jonsson, Den oldnorske og oldislandske Literaturs Historie (Kopenh. 1893 fg.). Vgl. ferner K. Maurer, Über die Ausdrücke: Altnord., altnorweg. und isländ. Sprache (Münch. 1867).
Vom 15. Jahrh. an beginnt der Verfall der isländ. Litteratur. Anfänglich lebt noch die Freude am Dichten fort. Die Drapa wird besonders von den Mönchen gepflegt, im Volke aber entsteht eine neue Form für das Lied, die Rima, eine Form, in der die vierzeilige Strophe die alte Allitteration und den von Süden eingedrungenen Endreim zeigt. Inhaltlich wird in der Drapa namentlich das Leben der Jungfrau Maria, der Apostel, der Heiligen besungen, in der Nima dagegen der Stoff der alten Sagas, sowohl der geschichtlichen als auch der romantischen. Auch Volkssagen, Märchen, mytholog. Stoffe enthält die Rimurdichtung. Vorgetragen wurde die Rima in der Regel zum Tanzen. Am bekanntesten ist die "Skídaríma" des Sigurd fostri (hg. von K. Maurer, Münch. 1869), ein Gedicht, das den Traum eines Bettlers enthält, der das ganze Leben und Treiben in Walhall beobachtet hat. Unter den Dichtern geistlicher Drapas hat sich namentlich der Mönch Eystein Asgrimsson hervorgethan (gest. 1360); seine "Lilja" (deutsch mit Einleitung von Baumgartner, Freib. i. Br. 1884), ein Lied auf Christi Geburt, Leben und Tod, war so berühmt, daß es jeder selbst gedichtet zu haben wünschte; es ist eins der schönsten Gedichte des spätern Mittelalters. - Vgl. Jon Thorkelsson, Om Digtningen på Island i det 15. og 16. Aarhundrede (Kopenh. 1888).
Bis zur Reformation lag dann auf Island die litterar. Produktion ganz danieder. Erst mit dieser erwachte sie von neuem, zumal da 1530 der Bischof Jon Arason die Buchdruckerkunst eingeführt hatte. 1540 erschien die Übersetzung des Neuen Testaments von Odd Gottskalksson (gest. 1556), 1584 die der ganzen Bibel nach Luthers Verdeutschung vom Bischof Gudbrand Thorlaksson. Im 17. Jahrh. that sich namentlich Hallgrimur Pjetursson (1614-74) als Psalmendichter hervor. Er war Prediger zu Saurbœ; seine 50 Psalmen, die namentlich die Leidensgeschichte Christi enthalten, sind noch heute das beliebteste Gesangbuch auf Island. Auch das treffliche Predigtenbuch, die Vidalinspostilla des Jon Thorkelsson Vidalin, des Cicero Islands, des Bischofs von Skalholt, erschien wenige Jahrzehnte später (1718). Ganz besonders aber blühte seit dem Schlüsse des 16. Jahrh. die Altertumskunde; es begann die Zeit der isländ. Renaissance. An der Spitze dieser wissenschaftlichen Bestrebungen steht der Propst Arnarimur Jonsson (gest. 27. Juni 1648), der gelehrteste Mann seiner Zeit, der die alten Werke sammelte, übersetzte, eine Geschichte seiner Heimat schrieb und überall Interesse für das Altertum weckte. Ihm zur Seite standen der Bischof Brynjölfur Sveinsson (1605-75), der die einzige Handschrift der Eddalieder entdeckte, Björn Jonsson (1574-1655), ein Bauer auf Skardsa, der Vater der neuern isländ. Geschichtskunde. Auch auf grammatischem Gebiete war man thätig; so gab Runolf Jonsson 1651 die erste isländ. Grammatik heraus, jo schrieb Magnus Olafsson (gest. 1636) das erste isländ. Wörterbuch (hg. von Ole Worm 1650). Ihre höchste Blüte erreichte die Altertumskunde unter Thormodur Torfason (Torfäus, geb. 23. Mai 1636, gest. 12. Jan. 1719), der in Kopenhagen Antiquarius regius war und als solcher isländ. Handschriften sammelte und übersetzte. Sein Hauptwerk ist die Geschichte Norwegens. In seine Fußstapfen trat Arm Magnusson (s. d.). Im 18. Jahrh. schrieben ferner Finnur Jonsson (1704-89) seine berühmte und noch heute nicht ersetzte Kirchengeschichte Islands ("Historia ecclesiastica Islandiae", 4 Bde., Kopenh. 1772-78) und Jon Olafsson (1731-1811) sein treffliches Werk über die altisländ. Dichtkunst ("Om den gamle nordiske Digtekonst", ebd. 1786). Dieser Eifer für das Studium der ältern Zeit setzte sich im 19. Jahrh. fort. In diesem wirkten außer Finnur Magnusson (s. d.)