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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Israel

form erschien, und ging von der Voraussetzung aus, daß Jahwe im besten Einvernehmen mit I. sein Volk schütze. Es war aber vorauszusehen, daß sich die Assyrer auf I. stürzen würden, nachdem sie mit den syr. Staaten fertig geworden. Wäre I. damals dem Angriffe des Assyrischen Reichs erlegen, so würde I.s Religion mit vernichtet worden sein, denn ihre Grundvoraussetzung, das Vertrauen auf Jahwe, den Herrn des Landes Kanaan, wäre zerstört worden. Es ist daher eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Weltgeschichte, daß sich in I. zu eben der Zeit die Predigt der schriftstellernden Prophetie erhebt, wo die assyr. Heere sich den Grenzen Palästinas nähern. Diese Prophetie verkündigt Jahwe als den gerechten Gott, der an I. sittliche Forderungen gestellt hat und sein Volk züchtigen wird, wenn es diesen nicht genügt. In den vorwärts drängenden Assyrern erkennt sie die Werkzeuge der göttlichen Gerechtigkeit. So lehrt sie I. seinen drohenden Untergang verstehen, ohne daß dieses an seinem Gotte irre wird, ja sie bahnt eben dadurch eine Vertiefung des Gottesglaubens an. Die sittlichen Forderungen, die Jahwe an I. stellt, haben sich später im Gesetze niedergeschlagen. Indem die Prophetie für den Fall der Bekehrung die Wiederherstellung des Staates in altem Glanze (Messianische Hoffnung) weissagt, schafft sie das Ideal, das I. im Exil tröstet und das es durch das Gesetz zu verwirklichen sucht. 735 erklärte sich Ahas von Juda, von den damals verbündeten Syrern und Israeliten hart bedrängt, in seiner Not als Vasallen Teglattphalasars III. von Assyrien. Dieser unterwarf hierauf 734 I. und zerstörte 732 Damaskus. Doch ließ sich I. nicht warnen und knüpfte mit Ägypten an. Das zog den Untergang des nördl. Reichs herbei. Samaria wurde 722 durch Sargon von Assyrien zerstört, seine Bewohner und das kriegsgefangene Heer (27280 Menschen) deportiert, das Land zum Assyrischen Reiche geschlagen; fremde Kolonisten kamen ins Land. Man hat sich das nicht so zu denken, als seien zehn Stämme deportiert worden, weshalb man auch nicht nach deren Verbleib zu suchen hat. Die Hauptmasse der israel. Bevölkerung ist im Lande geblieben und hat sich mit den fremden Kolonisten vermischt, wie andererseits die Deportierten in die assyr.-babylon. Bevölkerung aufgegangen sind.

Das Reich Juda hatte bis 705 Ruhe. Da aber ließ der König Hiskias sich verleiten, an der Spitze eines Bundes syr. Staaten sich gegen Sanherib zu empören. 701 erfolgte das Strafgericht: Palästina wurde wieder unterworfen, Judäa greulich verwüstet, Hiskias mußte sich unterwerfen. Doch sah sich Sanherib genötigt, von der Forderung der Übergabe Jerusalems abzustehen, weil eine im Heere ausgebrochene Pest ihn zum Abzuge zwang. Dieser Abmarsch der Assyrer ist von der größten Bedeutung für die Entwicklung der Religion I.s geworden. In der Pest erkannte man den Würgengel Jahwes, den er in dem Augenblicke gegen den Feind gesandt hatte, wo dieser seine Stadt und seinen Wohnsitz, den Tempel, anzutasten wagte. Der Prophet Jesaias hatte im Namen Jahwes geweissagt, daß Jerusalem unerobert bleiben werde, da Jahwe dort sein Altarfeuer habe und seiner Stadt zur Rettung erscheinen werde. Unter dem Schutze Jahwes werde der Staat zu neuer Blüte gelangen, das Volk die Güter des Landes in reichster Fülle genießen (Messianische Hoffnung). Damit war Jesaias als Bote Gottes beglaubigt und erwiesen, daß Jahwe wirklich im Tempel zu Jerusalem wohne. Dieser erhob sich damit über alle andern Heiligtümer des Landes. Von hier datiert das Streben, Jerusalem zum alleinigen Heiligtum Jahwes zu erklären, und der Glaube, daß Jerusalem nicht erobert werden könne, der ein Jahrhundert später so verderblich wurde. Hiskias aber reformierte den Kult im Sinne des Jesaias, indem er die Gottesbilder beseitigte. Jedoch ging das Gewonnene unter Hiskias’ Sohne Manasse (s. d.) im Zusammenhange mit der allgemeinen polit. Lage wieder verloren. 701 hatte sich allerdings Jahwe in Jerusalem behauptet, aber das Messianische Reich, von dem Jesaias geweissagt, war nicht angebrochen. I. war nach wie vor Vasall Assyriens, dieses aber auf dem Gipfel seiner Macht. Es ist daher vom Standpunkte des damaligen Gottesglaubens sehr verständlich, daß Manasse den assyr. Göttern, die schon sein Großvater Ahas verehrt hatte, im Tempel Salomos einen offiziellen Kult errichtete. Vor allem aber hatte der Kult des Moloch (s. d.) im Thale Hinnom (s. Gehenna) große Anziehungskraft und beeinflußte auch den Kult des Nationalgottes. Die von Hiskias beseitigten Formen altisrael. Kultes gewannen neues Leben. Die Prophetie wurde zurückgedrängt. Mit den assyr. Kulten wanderten auch die assyr.-babylon. Sagen und Mythen ein und verschmolzen mit den palästin. Vorstellungen. Die Mythen der ersten elf Kapitel des 1. Buches Mose geben den Niederschlag dieses Prozesses. Für den prophetischen Standpunkt galt diese Periode des religiösen Synkretismus als eine Zeit völligen Heidentums. Jeremias (s. d.) hat mit dieser Versündigung Manasses den später erfolgten Untergang Judas erklärt, die Männer des Exils haben sogar I.s ganze Vergangenheit um dieser Zeit willen als heidnisch verworfen, so Ezechiel. Es scheint, daß, wie in andern asiat. Staaten und in Ägypten, so auch in I. eine nationale Reaktion gegen das Fremde aufkam. Damals scheint man zuerst das alte Herkommen in Kultus und Recht niedergeschrieben zu haben, um es vor dem Untergang zu sichern. Die Führung gewannen die Propheten. Ihr Eintreten für Jahwe war Eintreten für die nationale Sache. Der Kontrast, in dem sie durch ihre Predigt vom Untergange des Staates zum nationalen Empfinden standen, schwand, ihre Forderungen leuchteten ein.

Aber erst im 18. Jahre Josias (621) erfolgte der Umschlag. Damals wurde im Tempel ein "Buch der Lehre" (Thora) aufgefunden und dem König Josia übergeben. Aus Schreck, daß sein Volk die Vorschriften dieses von ihm für alt gehaltenen Buches nicht befolgt hatte, veranlaßte er in einer Volksversammlung die Proklamation des Inhalts zum Reichsgesetz. Dieses Buch, das jetzt einen Bestandteil des 5. Buches Mose ausmacht und auch das "Deuteronomium Josias" genannt wird, ist eine der wichtigsten Stufen der Umbildung I.s zum Judentum. Es ist ein Versuch, den prophetischen Anforderungen an I.s Kult und Sitte dadurch Geltung zu verschaffen, daß man sie als ein von der ganzen Nation zu befolgendes Gesetz formulierte, und dadurch das Messianische Reich zu verwirklichen. Die idealen Forderungen der Prophetie sind damit ins Praktische übersetzt. Indem dieses Buch Reichsgesetz wurde, gewann das Volk eine heilige Schrift und die religiös-kultische Aufgabe, den schriftlich formulierten Willen Jahwes zu erfüllen. Um