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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Jugendschriften
In Deutschland war im spätern Mittelalter die
Legende Hauptgegenstand der Unterhaltung für Kin-
der; eine Iugendschrift bot Konrad vonDankrotz-
heim (1435) in seinem "Neimkalender" mit den
Heiligen des Jahres und Wetterregeln. Früher noch
(um 1400) erschien "Der Seele Trost", ein Exempel-
buch zu den Zehn Geboten in Gesprächsform, das
in spätern Auftagen (bis 1500 erschienen deren 10)
mit 11 Holzschnittbildern versehen war, die erste be-
deutende deutsche Kinderschrift. Im Reformations-
zeitalter erschienen eine ganze Reihe von kleinen
Kinderbüchern mit gereimten Sonntagsevangelien,
frommen Wiegenliedern, Gebeten und Sprüchen,
so z. B. von Nik. Hermann, Joh. Heer-
mann, Barth. Ningwaldt. Die erste Stelle
als Hausbuch für jung und alt in Deutschland
verschaffte sich aber die Bibel, wofür die Aus-
schmückung mit Bildern (schon die 1477 in Augs-
burg gedruckte besäst Holzschnitte) von großer Wich-
tigkeit war. Bald folgten der Vollbibel Kinder-
bibeln, biblische Geschichten, denen ebenfalls Bilder
deigegeben wurden, z. V. war die von Luther
herausgegebene mit 50 Holzschnitten versehen. Sie
waren eine sehr beliebte und allgemein verbreitete
Lektüre, auch viel später uoch, denn Hübners
illustrierte biblische Historien erlebten vom I. 1715
an 99 Austagen. Auch die Schulkomödie, für die
Luther warm eintrat, wurde vielfach zur Lektüre
verwendet. Sie legte klassische Stücke, neulat. Ge-
dichte und biblische Stoffe zu Grunde, wurde in den
prot. Lateinschulen und in den Instituten der Je-
suiten bis zum Ende des 18. Jahrh, behandelt;
Chr. Weiße in Zittau schrieb 54 Schauspiele, von
denen 31 im Druck erschienen. Aus der klassischen
Litteratur dienten im 16. und 17. Jahrh, neben dem
Schulgebrauch zur freien Lektüre Virgil, Ovid, Te-
renz; Erasmus' "l^oiiocinia" wurden viel zu Hause
gelesen; Comenius knüpfte mittels des Latei-
uischen in seinem "0rl)i8 picw3" (1659) an das
praktische Leben an, während F<5nelons "Tele-
inach", der in 130 Ausgaben gedruckt wurde, in An-
lehnung an antike Verhältnisse moderne Zustände
schilderte. Bis zum Ende des 18. Jahrh, bestand
die nationale Iugendlektüre in Volksliedern, Mär-
chen, Abenteuern, Nitterromanen, insbesondere aber
volkstümlich gehaltenen Geschichten (z. B. von dem
armen Heinrich, den Haimonskindern). Von der
didaktischen Poesie sind aus diesen Jahrhunderten
der "Freidank" und die für die reifere Jugend be-
stimmten Lehrgedichte "Winsbeke" und "Winsbekin"
zu nennen. Von dauerndem Interesse noch für Volk
und Jugend war die Fabeldichtung, namentlich
"Reineke Fuchs". Auch moralische Geschichten für
das heranwachsende Geschlecht fehlten nicht; von
hvnher gehörigen histor. Schriften seien die "Kaiscr-
chronik" von Gottfried von Vitcrbo(l2.Jahrh.),
von geogr. Dichtungen die Reifen des Engländers
MandeviNe (Montevilla, 14. Jahrh.; deutsche
Bearbeitung von Otto von Diemermgen um 1470)
und Defoes "Robinson" (1719) erwähnt.
Die ersten modernen I. verdanken ihre Ent-
stehung der Rousseau-Basedowschen Schule. In
demselben Jahre (1776) wie Rochows "Kinder-
freund", das erste deutsche Lesebuch für die Schule,
erschien auf Anregung Basedows von dem oben
erwähnten Rektor Christian Felix Weihe als
Fortsetzung des fünf Jahre vorher von Adelung ge-
gründeten "Wochenblattes für Kinder" der "Kinder-
sreund", der 24 Bände zählt (1775-84). Er ent-
hält Geschichten zur Belehrung, Kinderschauspiele
und Gedichte und fand in mehrern Auflagen eine
weite Verbreitung. Noch mehr aber die ebenfalls
in philanthropistischem Sinne abgefaßte Jugend-
litteratur, die Joachim Heinrich Campe be-
gründete. "Robinson Crusoe" war bereits von
Rousseau als der köstlichste Vücherschatz seines "Emil"
gepriesen und Defoes Ausgabe bis 1760 in 40
verschiedenen Nobinsonaden nachgebildet worden.
Campes Bearbeitung jedoch hatte den durchschla-
gendsten Erfolg. Sehr viel Anklang fand auch
desselben Schriftstellers "Geschichte der Entdeckung
Amerikas", die ebenfalls noch heute aufgelegt wird.
Weniger glücklich wählte Campe feine übrigen Stoffe
("Kinderbibliothek", 6 Bde., "Reisebeschreibungen",
19 Bde., "Theophron", "Väterlicher Rat für meine
Tochter" u. s. w.). Moralisierende Kinderschriften
waren schon von dem Hallenser Rektor I. P. Mil-
ler (von 1753 an) und I. I. Vodmer mit gutem
Erfolg geschrieben worden; grundlegend für diese
Gattung wurde aber erst der gemütreiche und einfach
fromme Cbrist. Gotthold Salzmann mit sei-
nem moralischen Elementarbuch (1782), seinem
"Sittenbüchlein" und namentlich "Joseph Schwarz-
mantel". Nicht so volkstümlich wie Salzmanns
Iugendschriften waren diejenigen Kaspar Fried r.
Lossius' in Erfurt, der in feinem "Gumal und
Lina" (3 Bde., 1795-1800) unter Anlehnung an
die Nousseauschen Gedanken in christl. Sinne zu
veredeln suchte. Viel Anklang fand in dieser Rich-
tung ferner Jakob Glatz in Wien mit feinen
21 Bänden (1800 fg.), besonders seinem "Roten
Buch" und "Rosaliens Vermächtnis", und I. A.
Ch. Löhr mit seiner "Vildergeographie. Eine Dar-
stellung aller Länder und Völker der Erde" (4 Bde.,
1810) und seinen "Kleinen Plaudereien" (1801).
In der Flut von Schriften für die Jugend, die am
Ende des 18. Jahrh., vielfach veranlaßt durch den
großen Erfolg der soeben (von Weiße an) aufge-
führten Schriftsteller, auftauchten, war eine der
wertvollsten die u. d. T. "Palmblätter" (4 Tle., 1787
-1800) von Herder veranstaltete Auswahl von
Morgenland. Erzählungen. Pestalozzis "Lien-
hard und Gertrud" (1781) wurde in vielen Häu-
sern gemeinsam von jung und alt gern gelesen,
besonders aber war bei Knaben und Mädchen
Hebels "Schatzkästlein" beliebt. Gediegene I.
lieferte der Philolog Friedr. Jacobs ("Alwin
und Theodor", 1802, "Rosaliens Nachlaß", 1812,
"Feierabende in Mainau", 1820 u. s. w.) in
der Zeit, als die Brüder Grimm den mit zahl-
reichen höchst minderwertigen Kinderschriften be-
setzten Büchermarkt durch ihre "Kinder- und Za.us-
märchen" (1812) bereicherten. Aber bis in die un-
bemitteltsten Kreise hinein konnten erst wegen ihrer
bis dahin beispiellosen Wohlfeilheit die Schriften
des Augsburger kath. Domherrn Christoph von
Schmid gelangen. Sein feines Verständnis der
Kindesnatur und seine, freilich nicht überall unbe-
merkt genug bleibende christl. Tendenz machten ihn
zu einem der gelesensten und beliebtesten Autoren
("Genovefa", 1819, "Ostereier", 1819, "Heinrich von
Eichenfels", "Rosa von Tannenburg" u. s.w.). Ein
Jahrzehnt später folgte GustavNieritz (gest. 1876)
mit seiner erstaunlichen Anzahl von Kinderromanen
und nicht lange darauf Franz Hoffmann (gest.
1882), der gleich dem letztern äußerst produktiv war
und ebenso, bei aller Breite der Darstellung, das
Interesse ungemein zu spannen, noch mehr aber als