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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: Ludwig

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Ludwig XVIII. (König von Frankreich)

die Anmaßungen Héberts protestierte. Dieser angeblich "echte L." war ein Deutscher, Karl Wilhelm Naundorff. Früher Uhrmacher und Vater einer zahlreichen Familie in Spandau, später in Brandenburg, dann in Crossen, stand er im Rufe eines rechtlichen und arbeitsamen Mannes. Schon längst gab er sich für den Herzog von der Normandie aus, erzählte seine romantische Flucht aus dem Temple und wandte sich an die Regierungen und die Herzogin von Angoulême. Nach der Julirevolution ging er mit seiner Familie nach Frankreich, wo er wegen seines bourbonischen Gesichtsschnittes und der Ähnlichkeit seiner Tochter mit Marie Antoinette viele Anhänger fand. Er wandte sich an die Kammern, wollte aber auf die Krone zu Gunsten der Dynastie Orléans unter der Bedingung verzichten, daß man ihn standesgemäß unterhielte. Im Febr. 1836 wurde er beim Zuchtpolizeigericht zu Paris als Betrüger verklagt. Das Gericht sah in ihm nur einen Verblendeten und sprach ihn von der Anklage frei; doch wurde er ausgewiesen. Seitdem lebte er mit seiner Familie in ziemlich günstigen Verhältnissen bald in Belgien, bald in England und starb 10. Aug. 1845 in Delft. Sein Sohn, der das Prätendententum fortsetzte und Offizier in der niederländ. Armee war, veranlaßte 1851 und 1873 einen Prozeß gegen den Grafen von Chambord, wobei Jules Favre seine Sache vertrat, wurde aber beidemal mit seinen Ansprüchen zurückgewiesen; er starb im Nov. 1883 in Breda. 1893 bildete sich in Paris eine Société d'études sur la question Louis XVII, die zu dem Zweck, die Identität Naundorffs mit dem Dauphin nachzuweisen, monatliche "Bulletins" herausgiebt. - Vgl. Bülau, Geheime Geschichten und rätselhafte Menschen, Bd. 2 (Lpz. 1850; 2. Aufl. 1863).

Ludwig XVIII., Stanislaus Xaver, König von Frankreich (1814-24), geb. 17. Nov. 1755 zu Versailles, war der vierte Sohn des Dauphin Ludwig, des einzigen Sohnes Ludwigs XV. aus der Ehe mit Marie Josephe von Sachsen. Er erhielt den Titel eines Grafen von Provence und verheiratete sich 1771 mit Marie Josephine Luise, der Tochter Victor Amadeus' III. von Sardinien. In der Nacht vom 20. zum 21. Juni 1791 begab er sich zugleich mit seinem Bruder, dem König Ludwig XVI., auf die Flucht und gelangte unangefochten nach Brüssel. Jetzt erklärte er sich offen gegen die Nationalversammlung, rief die Hilfe der fremden Mächte an und sprach mit seinem Bruder Artois (spätern Karl X.) durch die Deklaration von Pillnitz dem König das Recht ab, die Verfassung anzunehmen. Diese feindseligen Schritte der Prinzen, um die sich zu Koblenz ein förmlicher Hof bildete, ihr Eifer in der Bildung eines Emigrantenheers richteten Ludwig XVI. vollends zu Grunde. Durch Dekret vom 16. Jan. 1792 erklärte die Nationalversammlung den Grafen von Provence des Rechts auf die Thronfolge verlustig. Im Juli 1792 vereinigte der Prinz ein Emigrantenkorps von 6000 Mann mit dem preuß. Invasionskorps. Nach dem Rückzüge aus der Champagne wandte er sich nach Hamm in Westfalen. Auf die Nachricht von der Hinrichtung Ludwigs XVI. veröffentlichte er ein Manifest, worin er den Dauphin als Ludwig XVII. ausrief, sich selbst aber zum Regenten und den Grafen von Artois zum Generallieutenant von Frankreich ernannte. Er begab sich nach Verona und nannte sich Graf von Lille.

Nach dem Tode seines Neffen nahm er 1795 den Königstitel an. Die Drohungen, die Bonaparte an die venet. Republik richtete, hatten die Ausweisung des Prinzen zur Folge. Er ging im April 1796 über den St. Gotthard und vereinigte sich mit dem Korps des Prinzen Condé, das mit der österr. Armee verbunden war, begab sich aber bald darauf nach Dillingen in Schwaben und dann nach Blankenburg im Braunschweigischen. Nach den Ereignissen vom 18. Fructidor (4. Sept. 1797) in Frankreich gewährte ihm der Kaiser Paul von Rußland ein Asyl zu Mitau, wo er im März 1798 eintraf. Die Verhandlung Pauls mit der franz. Konsularregierung hatte jedoch zur Folge, daß der Graf von Lille Mitau 1801 verlassen mußte, worauf er sich nach Warschau wandte. Mit Genehmigung des Kaisers Alexander I. kehrte er von Kalmar, wohin er 1804 gegangen war, 1805 nach Mitau zurück; aber der Friede zu Tilsit nötigte ihn, 1807 Zuflucht in Schweden und endlich in England zu suchen. Hier kaufte er 1809 das Schloß Hartwell (Grafschaft Buckingham), das er fortan bewohnte, und wo 1810 seine Gemahlin starb. Als der Sturz Napoleons I. in Aussicht stand, erließ er mit dem Grafen von Artois und dem Herzog von Angoulême eine vom 1. Febr. 1814 datierte Proklamation, worin er liberale Einrichtungen versprach. Der Senat ernannte hierauf eine provisorische Regierung, an deren Spitze Talleyrand stand. Diese veröffentlichte einen vom Senat 5. April 1814 angenommenen Verfassungsentwurf, wonach die Bourbons auf den Thron zurückgerufen wurden. L. landete 26. April zu Calais, hielt 3. Mai als König von Frankreich seinen Einzug in Paris und erließ 4. Juni die konstitutionelle Charte.

L. würde sich bei der Milde seiner Gesinnung und seiner guten Bildung mit dem neuen Zustande versöhnt haben, hätte sich nicht die alte Adels- und Priesterpartei, an ihrer Spitze der Graf von Artois, zwischen ihn und das Volk gestellt. Die wichtigsten Bestimmungen der Charte, Preßfreiheit, Eigentumsrecht, Rechtsschutz, wurden zugleich mit Füßen getreten und die Anhänger des Kaisers, die Republikaner und die Protestanten verfolgt. Erst auf die Nachricht von der Landung Napoleons lenkte der König selbst um, beschwor aufs neue die Charte und erließ vergeblich freisinnige Proklamationen. Bei der Annäherung Napoleons floh er mit seiner Familie in der Nacht vom 19. zum 20. März 1815 nach Lille, von wo aus er sich nach Gent begab. Nach der Schlacht von Waterloo erließ L. zu Cambrai 25. Juni eine Proklamation, in der er eine allgemeine Amnestie, mit Ausnahme der Verräter, und die Sicherung der Charte durch neue Bürgschaften versprach. Unter dem Schutze des Herzogs von Wellington hielt er 9. Juli 1815 seinen Einzug in Paris. Dennoch vermochte er anfänglich fast nichts gegen die Ultraroyalisten. Erst als er die aus den extremsten Elementen bestehende sog. "Chambre introuvable" 5. Sept. 1816 aufgelöst hatte, begann eine ruhigere Entfaltung des öffentlichen Lebens. (S. Frankreich, Bd. 7, S. 99 b.) L. starb 16. Sept. 1824. Die "Mémoires de Louis XVIII" (12 Bde., Par. 1831-33) sind ein apokryphes Werk, welches mehrern Autoren sein Entstehen verdankt. - Über L. in der Verbannung in Rußland vgl. E. Daudet, Histoire de l'émigration. Les Bourbons et la Russie pendant la révolution (Par. 1886). Über seine Regierung: Duvergier de Hauranne, Histoire du gouvernement parlementaire en France, 1814-48 (7 Bde., Par. 1857-65); Biel-Castel, Histoire de la Restauration (ebd. 1860 fg.).