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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Lungenentzündung

chronische Verdickungen und Verhärtungen des Lungengewebes verursacht; die käsige Pneumonie, welche durch Nekrose der hepatisierten Lungenteile und dadurch bedingte weitere Veränderungen (Erweichung, Kavernenbildung) zur Lungenschwindsucht (s. d.) führt; ferner die Schluckpneumonie, welche bei Kindern, bei Geisteskranken und bei Individuen, welche am Zungen-, Kehlkopf- oder Speiseröhrenkrebs leiden, durch Verschlucken von Speiseresten oder sonstigen zersetzungsfähigen Substanzen in die Luftröhre und Bronchien zu stande kommt und häufig in Lungenbrand (s. d.) übergeht; und die Senkungspneumonie oder hypostatische Pneumonie, welche sich bei Schwerkranken, die viele Wochen in Rückenlage im Bett zubringen müssen, in den tiefstgelegenen Partien der Lunge durch Senkung des Blutes nach unten entwickelt. Je größer die Ausbreitung einer L. ist, um so schwerer und gefahrdrohender ist gewöhnlich auch ihr Verlauf; wer einmal von einer L. ergriffen wurde, behält oft längere Zeit hindurch eine große Neigung zu erneuten Entzündungen des Lungengewebes.

Die Ursachen der L. sind teils örtliche, wie Stoß, Schlag und andere Verletzungen der Brust, fremde Körper, welche in die Luftwege gelangen, reizende oder staubige Einatmungen, gewaltsame Anstrengungen der Atmungsorgane u. dgl., teils allgemeine, wie heftige Erkältungen und gewisse epidemische nicht näher bekannte Einflüsse, durch welche die Krankheit bisweilen in größerer epidemischer Verbreitung auftritt. Bei entkräfteten Kranken und Verletzten, die lange auf dem Rücken liegen müssen, bildet die infolge der Herzschwäche eintretende Blutstockung (Hypostase) in den Lungen eine häufige Ursache der Brustentzündung. Ferner ergeben neuere Forschungen, daß die sog. primäre oder kruppöse L. zu den infektiösen Krankheiten gehört, indem sich immer im Blute und im Auswurf der Kranken ganz specifisch geformte Bakterien, die sog. Pneumokokken, vorfinden. Man hat bei der L. mehrere Bakterienformen gefunden. Die wichtigste ist der sog. Diplococcus pneumoniae, welcher von Fränkel und Weichselbaum beschrieben wurde; derselbe repräsentiert rundliche Bakterien, die meist zu zwei, doch auch gelegentlich in Ketten zusammenliegen und eine Kapsel besitzen («Kapselkokken»). In den Kulturen verliert der Kokkus seine Virulenz sehr rasch, so daß man ihn, um ihn virulent zu erhalten, in kurzen Perioden immer wieder auf ein Tier verimpfen und von diesem dann neue Kulturen anlegen muß. Durch Einbringung abgeschwächter Kulturen in das Blut und namentlich in die Lunge kann man bei Tieren echte kruppöse L. hervorrufen, wenn auch das Experiment nicht immer beweiskräftig ausfällt. Bei der menschlichen L. fehlt er nie.

Die Symptome der L. können sich je nach dem Sitz, der Ausdehnung und Intensität des Krankheitsprozesses sowie nach den individuellen Verhältnissen verschieden gestalten. Die primäre oder kruppöse L. beginnt in der Regel plötzlich mit einem intensiven Schüttelfrost, hohem, oft von Delirien begleitetem Fieber (39‒41° C.) und erhöhter Pulsfrequenz, großer Mattigkeit, Fieberkopfschmerz und Schlaflosigkeit, wozu sich sehr bald Atemnot und Beklemmung, Seitenstechen, kurzer trockner Husten und zäher, durch beigemischtes Blut rostfarbiger Auswurf gesellen. Allmählich wird der Husten feuchter und lockerer, die Schmerzhaftigkeit geringer und nach fünf oder sieben oder neun Tagen tritt bei normalem Verlauf meist in Form einer Krisis, d. h. unter plötzlichem Nachlaß des Fiebers und der subjektiven Beschwerden, die Genesung ein. Abweichend sind Verlauf und Symptome der sekundären oder katarrhalischen L., die niemals so plötzlich beginnt, sondern sich immer an vorausgehende Katarrhe oder andere Krankheiten anschließt, meist mit schleimig-eiterigem Auswurf verbunden ist und nicht mit plötzlicher Krisis, sondern nur allmählich in Genesung übergeht. Die angeführten Symptome genügen übrigens nicht, um die Diagnose einer L. zu begründen, sondern hierzu ist stets genaue physik. Untersuchung der Brust (vermittelst Perkussion und Auskultation) nötig. Beim Beklopfen hört man über den entzündeten Lungenteilen einen gedämpften oder leeren Schall, welcher sich von dem lauten und vollen Schall des gesunden Lungengewebes deutlich unterscheiden läßt, während man beim Behorchen an Stelle des normalen weichen Atmungsgeräusches (Vesikuläratmen) ein scharfes, rauhes Geräusch, das sog. Bronchialatmen (s. d.) sowie feines Knisterrasseln vernimmt.

Hinsichtlich des anatomischen Vorgangs pflegt man bei der primären L. drei Stadien zu unterscheiden, das Stadium der Anschoppung, in welchem die Haargefäße des erkrankten Lungenabschnitts beträchtlich erweitert und mit stockendem Blute übermäßig erfüllt sind, das Stadium der roten Hepatisation, in welchem die entzündete Lungenpartie gleichmäßig dunkelbraunrot, leberartig derb (hepatisiert) und vollkommen luftleer ist und die Lungenbläschen von einer festen fibrinösen Masse erfüllt sind, und endlich das Stadium der grauen oder gelben Hepatisation, in welchem der kranke Lungenteil eine graue oder gelbliche Farbe besitzt und die geronnene Ausschwitzungsmasse allmählich wieder resorbiert und so die Heilung eingeleitet wird. Der Ausgang der L. ist sehr verschieden: entweder erfolgt, wie in den meisten Fällen, vollständige Lösung und Aufsaugung der ausgeschwitzten Massen und damit völlige Genesung, oder es kommt nur zu unvollständiger Zerteilung, das Exsudat dickt ein, erfährt eine käsige Umwandlung und verursacht chronisch entzündliche Reizungen, welche weiterhin einen häufigen Ausgangspunkt der Lungenschwindsucht (s. d.) bilden; in seltenen Fällen endlich entstehen mehr oder minder große umschriebene, mit flüssigem Eiter gefüllte Höhlen im Lungengewebe, sog. Lungenabscesse (s. d.) oder brandiges Absterben einzelner Lungenpartien, wobei jauchige Massen ausgehustet werden. (S. Lungenbrand.) Bisweilen erfolgt auch Lungeninduration oder Lungenschrumpfung (s. d.).

Bezüglich der Behandlung ist zu betonen, daß der Kranke während der Dauer der L. in strengster Ruhe im Bett liege, beständig eine reine, gleichmäßig warme und mäßig feuchte Luft atme, wenig spreche und eine schmale entzündungswidrige Diät erhalte; der Stuhlgang ist täglich durch ableitende und erweichende Klystiere zu regulieren. Übermäßig hohes Fieber muß durch kalte Kompressen, kühle Bäder oder antipyretische Heilmittel (Chinin, Antipyrin, salicylsaures Natron) bekämpft werden. Gegen die vorhandenen Atmungsbeschwerden und Brustschmerzen erweisen sich meist Senfteige, warme Umschläge oder Schröpfköpfe auf die Brust sowie die narkotischen Mittel nützlich. Bei stockendem Auswurf sind kleine Gaben von Brechweinstein oder Ipecacuanha, bei drohender Herzschwäche kräftige