Schnellsuche:

Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

441

Madagaskar

sehr regelmäßig, allerdings meist von Ost nach West weht. Im November treten großartige Gewitter auf. Der Regen wird größtenteils ans den Gebirgen der Ostseite niedergeschlagen, so daß der westl. Teil M.s regenarm ist. Infolge der eigentümlichen Bodengestaltung zeigt das Klima bedeutende Unterschiede. Tropische Hitze erzeugt in den Sumpfniederungen der Küstenstriche Miasmen und die den Europäern fast stets tödlichen, unter dem Namen der Madegassischen Fieber bekannten Gallenfieber, die der Insel den Namen des europ. Kirchhofs verschafft haben. Die Hochebenen des Innern dagegen sind gesund; hier steigt die Temperatur selten über 23°, und die Berggipfel zeigen Eis, aber nie Schnee.

Mineralreich. Es finden sich viel Kupfer, Mangan und Blei, dann Eisen, Schwefel, Graphit, Braunkohlen und Marmor, sowie Bergkrystalle. Gold ist vorhanden, besonders der Betsiboka ist goldführend. Auch Salz gewinnt man neuerdings.

Pflanzen- und Tierwelt. Die Vegetation, obschon vielfach der südafrikanischen und indischen ähnlich, ist selbst von der der Inseln Reunion und Mauritius verschieden. Gegen 100 Gattungen sind jetzt als M. eigentümlich gefunden, darunter solche von eigenem Familiencharakter (Chlaena, Brexia). Besonders in den Küstengegenden ist der Pflanzenwuchs von wunderbarer Mannigfaltigkeit. Urwaldungen umgeben in einigem Abstand von der Küste und bis zum Centralmassiv heraufreichend die ganze Insel; ja im Osten ist der Gürtel sogar doppelt. Eine größere Einbuchtung findet sich nur in der weiten Steppengegend rechts vom untern Betsiboka. In ihnen treten Palmen auf (Bismarkia, Latania, Pandanus), und aus der Bananenfamilie der durch seine Riesenkrone zweizeilig gestellter Blätter berühmte "Baum der Reisenden" (Ravenala madagascariensis Poir.). Im Innern, im Savannenlande, wachsen viele auf das Kapland hinweisende, Trockenheit liebende Arten. Trotz der reichen tropischen Vegetation ist der größte Teil unfruchtbar, so fast das ganze Centralmassiv und die Savannen. Doch besitzt die centrale Region eine große Anzahl Thäler, wo die Flüsse eine dicke fruchtbare Erdschicht zusammengetragen haben; hier wird besonders Reis, das Hauptnahrungsmittel der Madagassen, dann aber auch fast alle europ. Getreidearten sowie verschiedene tropische Gewächse (Zucker, Kaffee, Baumwolle) gebaut.

Die Fauna ist eine der merkwürdigsten der Erde. Es fehlen ihr viele der im kontinentalen Afrika vertretenen Familien, wie Katzen, Hyänen, Affen, Pferde, Wiederkäuer u. s. w. Charakteristisch sind die Halbaffen oder Lemuren, von denen hier drei Fünftel (34) aller Arten, darunter das seltsame Aye-Aye, gefunden werden. Fledermäuse sind 6 Arten, darunter 2 fliegende Hunde vorhanden. Die Insektivoren sind, abgesehen von einer Spitzmaus, durch 10 Arten der Familie der Madagaskarigel (Centetidae) vertreten. Von Raubtieren treten 8 Viverren und ein sehr merkwürdiges Tier, die Fossa (Cryptoprocta ferox Benn.), auf. Weiter findet sich ein Schwein und 3 Arten Nager; zusammen 15 Arten Landsäugetiere. Landvögel sind etwa in 130 Arten vorhanden, einige wenige (etwa 12) finden sich davon auch im kontinentalen Afrika; 33 Gattungen mit 50 Arten werden nur auf M. gefunden. Reptilien sind zahlreich und zeigen Beziehungen zu ind., austral. und selbst südamerik. Formen. Giftschlangen sind selten (3 - 4 Arten) und treten nur im Tiefland an der Küste auf. Krokodile sind außerordentlich häufig. Schildkröten sind mehrere Arten, deren eine eine eigentümliche Gattung bildet, vorhanden. Eidechsen finden sich in Menge, besonders sind schöne farbenprächtige und am Kopf mit Hörnern gezierte Chamäleons hervorzuheben. Die Süßwasserfische sind wenig bekannt und scheinen nichts besonderes zu bieten. Spinnen sind sehr häufig, manche sehr groß und bunt, einige sollen giftig sein. Die Skorpione sind wenig artenreich und klein, während Tausendfüßer äußerst gemein sind und in manchen Arten eine Länge von 20 cm erreichen sollen. Die Insekten sind sehr gut vertreten und bieten Beziehungen zu ind.und südamerik. Formen. Schmetterlinge (darunter Nachtfalter mit 18 cm Spannweite) sind prachtvoll, von zwei Arten wird Seide gewonnen. Auch Käfer und besonders Heuschrecken sind vertreten. Geflügel zieht man überall, sowie eingeführte Schafe, Ziegen und besonders viele Rinder.

Bevölkerung. Die Bewohner der Insel, die sich selbst Malagassi nennen, woraus die Europäer Madegassen, Malagasch oder Malgaschen gebildet haben, und deren Zahl auf 3 520 000 geschätzt wird, gehören zwei Hauptvölkern an, aber in vielfachen Mischungen, nach Mullens sogar nur einem einzigen, einem malaiischen, auf den an der Westseite afrik. Einwanderer aufgepfropft sind. Außerdem giebt es Tausende von Negersklaven. Abgesehen von eingewanderten Indiern, Arabern, Makua von der Mozambiqueküste und Suaheli, besonders im Norden und Süden, wohnt auf der Ostseite und im Innern ein oliven-, zum Teil ziemlich hellfarbiges, schön gebildetes Volk, mit schlichtem oder krausem Haar, den Malaien nahe verwandt; auf der ganzen Westseite ein schwarzes, viel kräftigeres Volk, die Sakaláwa (etwa 1 Mill.), mit Wollhaar, aber nicht mit dem Negertypus der Mozambiquer, sondern vom Kafferncharakter. Die schmale Hochebene zwischen der Ostküste und dem östlichsten Terrassenabfalle nehmen die Betsimisáraka (etwa 400 000) ein, den übrigen Osten die Bezanozáno (die fast allein als Träger den Verkehr mit der Hauptstadt vermitteln), Antánala, Antáisaka, Antáimoro. Jener hellere Teil der Bevölkerung, der vorherrschende auf der Insel, zeigt sich civilisierter als der dunkle. Alle Bewohner M.s sprechen dieselbe Sprache, das Malagassi, das zum malaiischen Sprachstamme gehört und zunächst mit dem Tobadialekt der Vatak (s. d.) verwandt ist. Sie sind meist Landbauer oder Hirten, Jäger und Fischer; nur die Howa und ihre Stammverwandten, die Betsiléo (d. h. die Unbesieglichen, etwa 600 000) im Süden des Ankaratragebirges und die Antsiánaka (d. h. Seebewohner) um den Alaotrasee treiben auch Industrie und sind geschickt in Anfertigung von Gold- und Silberarbeiten, Holz- und Eisenwaren, Filigranarbeiten, Seiden- und Wollgeweben, namentlich von kostbaren Teppichen.

Die einzelnen Stämme der Madegassen in der Westhälfte der Insel stehen unter der völlig despotischen Herrschaft zahlreicher Häuptlinge. In der Osthälfte ist der Stamm der Howa (s. d. und Tafel: Afrikanische Völkertypen, Fig. 7) oder Owa (etwa 1 Mill.), deren Sprache auch die ausgebildetste, der bedeutendste, civilisierteste und herrschende; ihnen gehört die schönere und wertvollere Hälfte der Insel, besonders das Centralplateau und die Umgegend des Alaotrasees mit einem Drittel der Gesamtbevölkerung. Sie erscheinen aber erst gegen die Mitte des 18. Jahrh. in der Geschichte, als sie sich von den