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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Marokko (Stadt)

Kriege mit Frankreich (Mai 1844). Eine franz. Flotte unter dem Prinzen von Joinville bombardierte Tanger 6. Aug. 1844, Mogador 15. Aug., und ein Landheer unter Marschall Bugeaud schlug das große marokk. Heer 14. Aug. 1844 beim Flusse Isly aufs Haupt. Der 10. Sept. 1844 zu Tanger abgeschlossene Friedensvertrag erkannte die alten Grenzen M.s gegen Algerien an. Bald jedoch entstanden neue Verwicklungen durch Abd el-Kader, der das Land zum Kampfe gegen die Franzosen aufforderte und, da der Sultan sich ihm anzuschließen verweigerte, seit 1846 auch diesen bekämpfte, dessen Truppen 1847 zwei Niederlagen erlitten. Abd el-Kader eroberte die marokk. Stadt Thesa und bedrohte die franz. Provinz Oran. Da entschloß sich Frankreich zu einer nachdrücklichen Intervention in M. und zwang Abd el-Kader 22. Dez. 1847 sich zu ergeben. (S. Algerien, Bd. 1, S. 395 a.) Jetzt hatte M. auf einige Zeit Ruhe nach außen, obgleich noch einige Mißhelligkeiten mit Frankreich entstanden, die 26. Nov. 1851 zum Bombardement der Stadt Sale durch die Franzosen führten. Nach Abd ur-Rahmâns Tod bestieg 6. Sept. 1859 sein Sohn Sidi Mohammed den Thron. Inzwischen hatten die Spanier für eine Reihe von Unbilden vergeblich Genugthuung und Entschädigung verlangt und erklärten 22. Okt. 1859 an M. den Krieg. Die span. Streitmacht unter Oberbefehl O'Donnells begann im Dezember den Kampf auf afrik. Boden und siegte in zwei blutigen Schlachten, 4. Febr. 1860 bei Tetuan und 23. März im Westen dieses von den Spaniern besetzten Platzes. Die Marokkaner baten um einen Waffenstillstand, der zu dem Frieden vom 26. April führte. Der Sultan zahlte an Spanien 20 Mill. Piaster Kriegsentschädigung und mußte in eine geringe Gebietsabtretung willigen. Sidi Mohammed starb 1873, worauf 25. Sept. 1873 sein Sohn Mulei Hassan als Sultan proklamiert wurde, der freundschaftliche Beziehungen zu den europ. Mächten durch große Gesandtschaften (1876 und 1878) anzuknüpfen suchte. 1880 fand in Madrid eine sog. Marokkokonferenz statt, auf der die Bedingungen festgestellt wurden, unter denen die Konsuln der fremden Mächte marokk. Unterthanen unter ihre Schutzbefohlenen aufnehmen dürfen. Ein Handelsvertrag mit Deutschland wurde 1. Juni 1890 abgeschlossen. Ungerechtigkeiten und drückende Steuern trieben die Kabylenstämme zu häufigen Empörungen, von denen der Aufstand der Angheriner, die unter ihrem Scheik Sid Abd Esslam El-Hemam im Sommer 1892 Tanger belagerten, einen besonders bedrohlichen Charakter annahm. Erst nach heftigen Kämpfen gelang es dem Sultan, die Aufständischen zur Unterwerfung zu bringen. Noch ernstlicher war ein Konflikt, in den M. mit Spanien geriet. In der Nacht vom 1. zum 2. Okt. 1893 wurde die schwache span. Besatzung eines Forts bei Melilla von den benachbarten Kabylenstämmen angegriffen. Es kam zu heftigen Gefechten, in deren einem der Gouverneur von Melilla, General Margallo, fiel. Erst als die Spanier bedeutende Verstärkungen heranzogen und der Sultan seinen Bruder absandte mit dem Befehl, die Waffen niederzulegen, bequemten sich die Kabylen, die Feindseligkeiten einzustellen. General Martinez Campos ging in besonderer Mission zu dem Sultan nach der Hauptstadt und schloß im März 1894 mit ihm einen Vertrag, in dem M. sich verpflichtete, 20 Mill. Pesetas Kriegsentschädigung zu zahlen, die Kabylen zu züchtigen und eine neutrale Zone um Melilla zu bilden sowie dort eine ständige Wachmannschaft zur Verhütung neuer Angriffe zu stationieren. Bald nach Beilegung dieses Streites starb der Sultan plötzlich 7. Juni 1894 in Tedla, einem kleinen Orte in der Nähe von Arbat. Ihm folgte sein jüngerer Sohn Abd ul-Asis, ein etwa 16jähriger Jüngling; die eigentliche Regierung liegt in den Händen des ersten Ministers Sidi al-Gharnit.

Litteratur. Gråberg von Hemsö, Specchio geografico e statistico dell' imperio di M. (Genua 1834; deutsch von Reumont, Stuttg. 1833); Rohlfs' Reiseberichte in Petermanns "Mitteilungen" (Gotha 1863-65); ders., Reise durch M. (4. Aufl., Norden 1884); E. Schlagintweit, Der span.-marokk. Krieg in den J. 1859 und 1860 (Lpz. 1863); von Maltzan, Drei Jahre im Nordwesten von Afrika (2. Aufl., 4 Bde., ebd. 1868); Leared, Morocco and the Moors (Lond. 1875); de Amicis, Marocco (Mail. 1876; deutsch von Schweiger-Lerchenfeld, Wien 1883); Pietsch, Marokko (Lpz. 1878); Conring, M., das Land und die Leute (Berl. 1880; neue Ausg. 1884); Ezziani, Le Maroc de 1631 à 1812 (Par. 1886); O. Lenz, Timbuktu, Reise durch M., die Sahara und den Sudan in den J. 1879 und 1880 (2 Bde., Lpz. 1884; 2. Aufl. 1892); Erckmann, Le Maroc moderne (Par. 1885); Stutfield, El Mahreb: 1200 miles ride through Morocco (Lond. 1886); Jannasch, Die deutsche Handelsexpedition 1886 (Berl. 1887); Lamartinière, Morocco. Journeys in the kingdom of Fez and to the court of Mulei Hassan (Lond. 1889); Harris, Travels in the Atlas and South Morocco (ebd. 1889); Playfair und Brown, A Bibliography of Marocco (2243 Titel, ebd. 1891); Diercks, M. Materialen zur Kenntnis des Scherifenreichs und der Marokkofrage (Berl. 1894).

Marokko, eigentlich Marrakesch, Hauptstadt des Reichs M. und die erste Residenz des Sultans, auf einer weiten Hochebene, einige Kilometer vom Wadi Tensift in gesunder Lage, in 408 m Höhe am Nordabhang des Atlas, hat 40-50 000, wenn der Sultan mit Armee anwesend ist, 70 000 E., aber einen gewaltigen Umfang, der auf die frühere Größe (100 000 Häuser im 12. Jahrh.) schließen läßt. Das Klima ist gemäßigt und die Stadt gut bewässert, aber schmutzig und winkelig gebaut. Die Juden (6000) wohnen im Ghetto, Mellâch (wörtlich Saline) genannt. Für die zahlreichen Aussätzigen besteht ein eigenes Quartier im Norden (Hârrah). Die Häuser sind einstöckig. Von den 19 Moscheen ist die im 12. Jahrh. erbaute El-Kutsâbiah (Katubia), siebenstöckig, 65 m hoch, die merkwürdigste und schönste. Hauptheiligtum ist das Grab des Sidi bel Abbas im Norden der Stadt. Der Palast des Sultans, aus mehrern Gebäuden bestehend, ist von einer Mauer umgeben, deren Innenraum 3,3 und 1,8 km mißt, aber nur zum achten Teil mit Gebäuden besetzt ist. Der schönste Garten ist der des Sultans im Süden der Stadt. Eine Brücke (35 Bogen), 1637 erbaut, führt über den Fluß. Der Handel ist ziemlich bedeutend, besonders nach den südl. Landesteilen, aber die Industrie liegt danieder. Gartenbau ist die Hauptbeschäftigung. Die Ledergerberei hat ganz aufgehört. In M. erscheinen in span. Sprache die Wochenblätter "El Eco Mauritano" und "La Linterna". "The Times of Marocco" vertritt die englischen, "Le Reveil du Maroc" die franz. Interessen. - M. wurde von Jussuf ben Taschsin, nach