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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Mensch

wie der untern Extremitäten, von welchen letztern die Fähigkeit des aufrechten Ganges besonders abhängt. Von den Anthropoiden hat nur der Gibbon einen aufrechten Gang, der ihm aber nur ermöglicht wird, indem er mit den weit fortgestreckten langen Oberextremitäten den schwankenden Körper im Gleichgewicht hält. Die andern Anthropoiden gehen nicht vollständig aufrecht, sondern sie benutzen beim Gehen die Rückenfläche der Hände zur Stütze; somit gehen sie also auf allen Vieren. Einem allgemeinen Gesetze zufolge liegt in der Teilung der Arbeit ein Princip der höhern Vervollkommnung, und es steht deshalb der Affe, bei dem alle vier Extremitäten in Händen endigen und gleichmäßig sowohl zum Greifen als zur Ortsbewegung benutzt werden, tiefer als der M., obgleich Hände mit entgegenstellbarem Daumen an und für sich weiter entwickelte Organe sind als Füße, deren Großzehe mit den übrigen Zehen in derselben Ebene liegt. In zoolog. Hinsicht ist deshalb die Bildung der Füße für den M. charakteristisch und auszeichnendes Merkmal gegenüber den Affen. Der menschliche Fuß unterscheidet sich durch die Größe und Dicke der ersten Zehe, die Kürze der übrigen Zehen, die feste Verbindung der Knochen des Mittelfußes und der Fußwurzel, die ein elastisches Gewölbe bilden, durch die Größe und Ausbildung des Fersenbeins, das den hintern Stützpunkt des Fußgewölbes abgiebt. Bisweilen ist aber die zweite Zehe etwas länger als die erste. Mit dieser Bestimmung des Beins als Stütz- und Bewegungsorgan hängt auch zusammen die Größe und Festigkeit des Schienbeins und namentlich des Schenkelbeins, das beim M. allein den längsten Knochen des Skeletts bildet, während bei den Affen das Oberarmbein den Schenkel an Länge übertrifft oder ihm wenigstens gleichkommt; ferner die Breite und Ausdehnung des Beckens, besonders der Darmbeine, die großenteils das Gewicht der Eingeweide bei der aufrechten Stellung zu tragen haben; die doppelt S-förmige Krümmung der Wirbelsäule, sowie in den weichen Teilen namentlich die Konzentration der Muskeln des Unterschenkels zu einer Wade, des Oberschenkels und des Gesäßes zu abgerundeten Massen. Weit geringer sind, abgesehen von ihrer weit beträchtlichern Länge und Stärke, die Unterschiede der Arme und Hände; doch ist bei dem Affen der Daumen weniger ausgebildet und namentlich der Ballenmuskel des Daumens weniger vorstehend, sowie der Oberarm bei dem M. im Verhältnis zu den übrigen Teilen, Vorderarm und Hand, länger. Endlich beruht in der aufrechten Stellung und der damit zusammenhängenden Balancierung des Kopfes auf der Wirbelsäule die geringere Ausbildung der Dornen der Halswirbel und des Nackenbandes, das sich einerseits an diese Dornen, andererseits an das Hinterhaupt festsetzt. Der Unterstützungspunkt des Kopfes ist bei dem Affen an dem Hinterrande der Schädelbasis, bei dem M. sehr annähernd in der Mitte gelegen, was für die aufrechte Haltung des Kopfes beim M. von Wichtigkeit ist.

Der Kopf des M. unterscheidet sich wesentlich durch die sehr beträchtliche Ausbildung des Gehirnschädels und des Gehirns im Verhältnis zum Gesicht. Zwar hat der M. weder das absolut größte Gehirn in der Tierwelt (Elefant, Walfisch übertreffen ihn in dieser Hinsicht), noch auch das größte Gehirn im Verhältnis zum Körper (einige kleine Affen und Singvögel stehen ihm hierin voran), auch steht er nicht in Bezug auf die Ausbildung aller einzelnen Teile des Gehirns höher als die übrigen Tiere (der Hund z. B. übertrifft ihn durch die große Ausbildung des Riechlappens); aber die für die geistigen Funktionen allerwichtigsten Teile des Gehirns, die Großhirnhemisphären, sind in ihrem Verhältnis zu den übrigen Teilen des Gehirns bedeutend größer als bei allen Tieren, auch übertreffen sie die tierischen Großhirnhemisphären ganz wesentlich durch bedeutend größere Zahl und Ausbildung der sog. Gehirnwindungen, und hiermit durch eine erhebliche Vergrößerung der Großhirnrinde und durch eine Vermehrung der in der letztern liegenden Ganglienzellen. Die Hinterhauptslappen der Großhirnhemisphären ragen nur bei dem M. über die Hemisphären des Kleinhirns hinaus und verdecken dieselben gänzlich; bei den Tieren bleiben die letztern teilweise unverdeckt, und zwar sind sie um so weniger verdeckt, je niedriger die Stufe ist, auf welcher die Tierart steht. Man hat sich über die Frage gestritten, ob der M. besondere Hirnteile besitze, die andern Tieren und namentlich auch den menschenähnlichen Affen nicht zukämen, und es war namentlich der Vogelsporn oder kleine Seepferdefuß (s. Gehirn, Bd. 7, S. 676 a), dessen Anwesenheit für das Affengehirn geleugnet wurde. Dieser Streit ist jetzt durch genaue Erörterung der Thatsachen dahin entschieden, daß nur quantitative, aber keine qualitativen Unterschiede existieren; daß die Affen alle wesentlichen Hirnteile besitzen, welche der M. auch hat; daß ihre Windungen des Großhirns im ganzen nach demselben Plane angelegt sind; daß sich der M. aber unterscheidet durch die größere Komplikation der Windungen, durch die Ausbildung der auf dem Augendache ruhenden untern Vorderhirnwindungen und durch die größere Masse, Höhe und Breite des Großhirns, das überhaupt als Organ der Intelligenz zu bezeichnen ist. Dieser Ausbildung des Gehirns entsprechend, ist die knöcherne Kapsel desselben, der Schädel, über das Gesicht herübergewölbt und namentlich über die Augen herübergeschoben, so daß eine wirkliche, mehr oder minder senkrecht stehende Stirn gebildet ist, die den Tieren entweder ganz fehlt oder nur eine stark geneigte Fläche darstellt. Die Schädelkapsel ist dabei rundlich, harmonisch gewölbt, und es sind keine vorspringenden Leisten zur Anheftung der Muskeln an ihr ausgebildet. Hiermit in Übereinstimmung sind das Gesicht und ganz besonders die Kiefer weit weniger entwickelt, nicht schnauzenförmig vorstehend, die Nase dagegen vorragend und auch ein vorspringendes Kinn gebildet, während bei allen Affen der Unterkiefer von den Schneidezähnen an zurückweicht, ohne eine vordere oder untere Ecke zu bilden, ein Kinn also bei ihnen nicht zur Entwicklung kommt. Hinsichtlich der Zahl und Bildung der Zähne stimmt der M. mit den Affen der Alten Welt überein. Von allen Affen aber unterscheidet er sich dadurch, daß die Kronen seiner Eckzähne nicht über die der andern Zähne hervorragen und also auch keine Lücken in der Zahnreihe sich finden, in welche diese vorspringenden Eckzähne eingreifen.

Über das Verhältnis der Ordnung und Gattung M. zu den Affen besteht noch immer heftiger Streit. Die Darwinianer sehen im M. die Vollendung des in den Affen begonnenen Typus und betrachten den Dryopithecus Fontani (s. d.) als das Missing link, den "Vormenschen" oder Proanthropos. Ganz neuerdings hat Eugen Dubois in den von ihm in