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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Nigritien - Nihilisten

nahm er an den ihm folgenden Züricher Verhandlungen teil. Er blieb bis 1876 Leiter der Gesandtschaft in Paris, worauf er als Botschafter nach Rußland, Nov. 1882 nach England, 1885 nach Österreich ging; 1882 wurde er zum Grafen erhoben, Dez. 1890 zum Senator ernannt. N. wird nicht nur als Diplomat, sondern auch als Schriftsteller geschätzt auf Grund seiner Arbeiten über ital. Dialekte und Volkslieder und seiner Ausgabe der "Glossae Veteres Hibernicae" (Par. 1869); in deutscher Übersetzung erschienen von ihm "Idyllen" (Wien 1894); 1876 erschien ein Bericht N.s aus dem J. 1866, in welchem er Napoleons Politik gegenüber Deutschland voraussagte.

Nigritĭen, s. Sudan.

Nigritĭer, die wollhaarigen Schwarzen des Sudan, seltener im weitern Sinne soviel wie Neger (s. d.).

Nigrosīn, Farbstoff, s. Induline.

Nigua, s. Sandfloh.

Niguazecke, s. Tique-Caraputo.

Nihil (lat.), nichts; N. ad rem, es thut nichts zur Sache; N. est ab omni parte beātum, "es giebt kein vollkommenes Glück", Citat aus Horaz’ "Oden" (II, 16, 27).

Nihil humani a me alienum puto, s. Homo sum, humani nihil a me alienum puto.

Nihil in intellectu, quod non ante in sensu (lat.), "nichts ist im Verstande, was nicht vorher in der sinnlichen Wahrnehmung ist", Grundsatz des Sensualismus (s. d.).

Nihilismus (vom lat. nihil, "nichts"), in der Politik und Socialwissenschaft die Lehre der Nihilisten (s. d.); in der Theologie die dem Scholastiker Petrus Lombardus (s. d.) fälschlich beigelegte Lehre, daß die menschliche Natur Christi, weil sie nicht selbständig existierte, kein Individuum, also nichts sei. Die Lehre wurde 1179 von Alexander III. verdammt. Neuerdings bezeichnet man in der Theologie mit N. die Leugnung aller religiösen Wahrheiten überhaupt.

Nihilisten, die Anhänger einer in Rußland verbreiteten, auf einen Umsturz der bestehenden polit. und socialen Verhältnisse gerichteten Theorie (Nihilismus). Der Name wurde zuerst (1861) durch Turgenjews Roman "Väter und Söhne" populär. Die in den sechziger Jahren entstandene Partei nannte sich zuerst eine socialrevolutionäre; aus dieser bildete sich zu Ende des J. 1876 eine neue Partei, die Volkspartei, welche den Umsturz der staatlichen Ordnung und die Gründung einer neuen Verwaltung auf socialistischer Grundlage anstrebte. Die N., die sich zumeist aus der studierenden Jugend rekrutieren, sind weder über ihre letzten Ziele einig (es giebt Liberale, Socialisten und Anarchisten unter ihnen), noch sind sie sich im einzelnen über ihr positives Wollen klar geworden. Gemeinsam aber ist ihnen allen ein konsequenter Materialismus der Weltanschauung und die Überzeugung, daß nur durch einen totalen Umsturz alles Bestehenden Raum geschaffen werden könne für eine neue, bessere Entwicklung. Ihre ganze Thätigkeit zielt daher zunächst auf diesen Umsturz ab. Ein ministerieller Erlaß vom 24. Mai 1865 forderte die Behörden zu energischer Bekämpfung dieser revolutionären Richtung auf, vermochte aber ihre weitere Ausbreitung nicht zu hindern. Besonders in den Universitätsstädten bildeten sich Geheimbünde mit dem Zweck der Propaganda der nihilistischen Ideen unter dem Landvolke und den Kleinbürgern durch Wort und Schrift. Der polit. Mord galt anfangs noch nicht als allgemein anzuwendendes Kampfmittel; als jedoch 1878 aus der Volkspartei eine neue Gruppe, die Partei der Terroristen, ausschied, die nur gewaltsame, blutige Mittel angewandt wissen wollte, galt der Kaisermord als das geeignetste Mittel zur Durchführung der socialpolit. Revolution. Das Attentat der Wjera Sassulitsch 1878, ihre Freisprechung durch das Geschworenengericht und besonders die Ermordung des Generals Mesenzew zeigten auf einmal den Abgrund, vor dem man stand.

Die Regierung war in der Ausführung von Gegenmaßregeln dadurch sehr gehindert, daß die Ausläufer dieser Verschwörung in alle Kreise der Bevölkerung, selbst in die Adels- und Offizierskreise, ja sogar in die Organe der Geheimen Polizei hineinreichten. Seit 1879 hatte die Partei eine strenge Organisation: eine anordnende Kommission und ein Exekutivkomitee, ohne deren Wissen und Willen nichts unternommen werden durfte, wurden gewählt. Die Nihilistenkongresse zu Lipezk im Juni und zu Woronesch im Juli 1879 waren hierfür maßgebend. Das nihilistische Programm vom 26. Jan. 1880 forderte Volksvertretung, Selbstverwaltung, volle Freiheit der Gewissen, des Wortes, der Presse, der Vereine, der Versammlungen, allgemeines Wahlrecht, Umwandlung des stehenden Heers in ein territoriales. Das nihilistische Exekutivkomitee hatte seine Beziehungen über ganz Rußland, besonders über die großen Städte ausgebreitet, fällte förmliche Todesurteile gegen mißliebige Beamte, sorgte für die Vollstreckung der Urteile, bestrafte jeden Verrat mit dem Tode, war im Besitz mehrerer geheimen Druckereien, verteilte Flugschriften und erließ Proklamationen voll blutigen Hasses gegen die Regierung und den Kaiser. So viele Druckereien auch die Regierung aufhob, so viele Personen sie auch festnahm, verbannte oder hinrichten ließ, immer neue Druckschriften zeugten von dem Vorhandensein neuer Druckereien, immer neue Attentate waren ein Beweis für die Fortdauer der Verschwörung. Das J. 1879 war besonders reich an nihilistischen Attentaten. Trotz außerordentlicher Sicherheitsmaßregeln erfolgte 17. Febr. 1880 die Dynamitexplosion im Winterpalast und 13. (1.) März 1881 die Ermordung des Kaisers Alexander II.

Gemäß der als Antwort auf das kaiserl. Manifest vom Mai 1881 erlassenen Drohung des nihilistischen Exekutivkomitees nahmen die Attentate auch unter Alexander III. ihren Fortgang. Am 25. Nov. 1881 wurde auf General Tscherewin, welcher im Ministerium des Innern die polit. Polizei zu leiten hatte, in Petersburg geschossen; 30. März 1882 wurde der Prokurator des Militärgerichts in Kiew, General Strelnikow, einer der eifrigsten Verfolger der N., in Odessa durch einen Revolverschuß ermordet; 28. Dez. 1883 der Polizeioberstlieutenant Sudejkin in Petersburg getötet. Die 1883 und 1884 verhandelten Nihilistenprozesse ließen keinen Zweifel darüber, daß der Nihilismus selbst in den Kreisen der russ. Offiziere bedeutende Fortschritte gemacht hatte. In Warschau andererseits fanden Juli 1884 und April 1886 zahlreiche Verhaftungen von Arbeitern wegen Teilnahme an nihilistischen Verschwörungen statt. Im Febr. 1887 wurden in den Kreisen der Linien- und Marineoffiziere und in dem Kadettenkorps in Petersburg mehrere Verhaftungen wegen nihilistischer Umtriebe vorgenommen. Am 13. März 1887, dem Todestag des Kaisers Alexander II., sollte ein Bombenattentat auf Alexander III. ausgeführt werden, das jedoch vorher entdeckt wurde. Ebenso