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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Nordische Mythologie

lediglich: nord. Zunge, d. h. Sprache des skandinav. Nordens. Diese altnorweg.-isländ. Sprache behauptet in der german. Sprachwissenschaft, obwohl ihre Schriftdenkmäler um mehrere Jahrhunderte jünger sind als die der got., deutschen und sächs. Sprachen, sowohl durch die Altertümlichkeit und scharf ausgeprägte Eigenheit ihres Laut- und Flexionssystems als auch durch die unvergleichliche Fülle ihres Wortschatzes einen gleich hervorragenden Platz. (Vgl. Möbius, Über die altnord. Sprache, Halle 1872; Noreen, De nordiska Språken, Stockh. 1887.) Ihre Grammatik, schon den alten Isländern Gegenstand gelehrten Studiums, erhielt, abgesehen von dem Versuche des Isländers R. Jónsson (1651), eine wissenschaftliche Bearbeitung zuerst durch den Dänen R. Kr. Rask, sodann durch Jak. Grimm in seiner Deutschen Grammatik; neuerdings haben teils norweg. Gelehrte (Munch, Unger, Aars, Bugge), teils isländische (Gíslason, Thorkelsson, Fridriksson), teils dänische (Wimmer), auch deutsche (Brenner) und schwedische (Noreen) schätzbare grammatische Arbeiten geliefert. Von Wörterbüchern sind zu nennen das Lexikon von Björn Haldórsson (Kopenh. 1814), eins für die poet. Sprache von Sveinbjörn Egilsson (ebd. 1860) und drei für die Prosa: vom Isländer Erik Jónsson (ebd. 1863), vom Norweger Fritzner (2. Aufl. 1883 fg.) und vom Isländer Gudbrand Vigfússon (Oxf. 1869 fg.). Deutsche Hilfsbücher zur Erlernung der altnord. Sprache verfaßten Dietrich (2. Aufl., Lpz. 1864), Friedrich Pfeiffer (ebd. 1860) und Th. Möbius (Analecta norrœna, 2. Aufl., ebd. 1877, und Altnord. Glossar, ebd. 1866).

Die Litteraturen der nord. Sprachen sind nach Alter, Umfang, Gehalt wesentlich voneinander verschieden. Die schwed. und die dän. Litteratur beginnen, abgesehen von Runeninschriften, gegen das Ende des 13. Jahrh., und was sie an originaler Produktion aufzuweisen haben, beschränkt sich in den ersten Jahrhunderten auf Schriften des praktischen Bedürfnisses: Gesetze, Urkunden, Genealogien, chronikalische Aufzeichnungen, Arzneibücher u. dgl.; der übrige Bestand sind mehr oder minder freie Übersetzungen und Bearbeitungen teils biblischer und geistlicher Schriften, teils fremder Romane, Unterhaltungsbücher, Historien u. s. w. Auch die altnorweg. Litteratur bietet im ganzen nicht viel mehr. Nur zeigen sich hier in der Wikingerzeit die Anfänge der Skaldendichtung und der Einfluß des von Norwegen aus besiedelten Island, der namentlich die Geschichtslitteratur zu einer gewissen Entfaltung bringt. Seit dem 14. Jahrh. hört in Norwegen überhaupt fast jede litterar. Thätigkeit auf; im 18. Jahrh. stehen einige hervorragende Dichter in dän. Diensten, und erst seit Anfang unsers Jahrhunderts hat sich eine neue, speciell norweg. Litteratur entwickelt. Von allen nord. Stämmen hat allein der isländische in alter Zeit eine Fülle wertvoller originaler Schöpfungen in Poesie und Prosa erzeugt. - Vgl. F. W. Horn, Geschichte der Litteratur des skandinav. Nordens (Lpz. 1879); Schweitzer, Geschichte der skandinav. Litteratur (Bd. 1, ebd. 1886); Rosenberg, Nordboernes Aandliv (3 Bde., Kopenh. 1878-85). (S. Dänische Sprache und Litteratur, Isländische Sprache und Litteratur, Schwedische Sprache, Schwedische Litteratur.)

Nordische Mythologie, die Wissenschaft von dem heidn. Glauben und Kultus der nordgerman. Völker, beruht in ihrer jüngsten Entfaltung vorzugsweise auf isländ., weniger auf norweg., dän. und schwed. Quellen. In ihren Grundzügen, die wir namentlich aus den volkstümlichen Erzählungen aller nord. Völker aus alter und neuer Zeit kennen, deckt sie sich mit der Deutschen Mythologie (s. d.), doch ist sie bald ihre eigenen Wege gegangen und hat in der Wikingerzeit fremden, selbst christl. Einfluß zu erfahren gehabt.

Die drei Schichten mythischer Vorstellung und religiöser Verehrung, die wir bei fast allen heidn. Völkern finden, haben wir auch bei den Nordgermanen. Die Seele vermochte sich vom Leibe zu trennen, sie erschien in allerlei Gestalten, namentlich als Fylgja, dem Menschen im Traume, sie lebte nach dem Tode fort, konnte wiederkommen, bald in der Gestalt eines Bären, Adlers, Wolfs, bald in der eines Schwanes (Schwanjungfrauen, s. d.), bald als Geist u. dgl. Sie lebte fort in den Scharen der Walkyren (s. d.) und Einherjer (s. d.). Deshalb brachte man Verstorbenen Opfer, die namentlich auf dem Grabhügel stattfanden. In Hügeln und Steinen, Hainen und Wasserfällen hielten sich besonders diese Geister auf; hier Haufen sie als Alfen und erhalten das Alfenopfer. Die Dämonen zeigen sich bald als Riesen, bald als Elbe. Namentlich ist die Vorstellung riesischer Mächte in der N. M. stark ausgeprägt. Im Meere hausen die Riesen Ägir, Hlér, Gymir, Mimir. Unter allgemeinem Namen leben die Dämonen des Wassers als Marmennill (Meermann), Margygr (Meerfrau), Nykr (Nix) bis heute fort. Über die Winde gebietet der Riese Hraesvelgr (Leichenschwelg) in Adlersgestalt, in der Luft hausen Kari, ein anderer Dämon der Winde, Thjazi, d. i. der Fresser, Thrymr, d. i. der Lärmer. In der Luft leben ferner die Lichtelfen, Versinnlichungen der milden Sonnenstrahlen. Über das Feuer gebietet der Riese Surtr, in der Erde wohnt die Hel mit ihrem Geschlechte, auf den Bergen eine Masse von Riesen, mit denen Thor zu kämpfen hat. Auch die Wasserfälle sind von dämonischen Wesen belebt. In den Bergen arbeitet der kunstfertige Zwerg (dvergr) Kleinode und Waffen für Götter und Menschen; unter ihnen hat der in Niederdeutschland ausgebildete Völund (s. d.) die größte Bedeutung erhalten. Daneben kannte man aber auch im Norden seit uralter Zeit persönliche Gottheiten.

Wie die alten Deutschen verehrten auch die Nordgermanen nach dem zuverlässigen Berichte des Procopius den Týr als höchsten Gott. Ihm wurden Menschenopfer gebracht; im Januar wurde ihm zu Ehren das höchste Fest gefeiert. Im alten Sigtuna oder Altupsala im Schwedenlande stand sein Heiligtum, der heiligste Ort in ganz Upland und den angrenzenden Landschaften. Hier hat sich die Verehrung des alten Himmelsgottes bis zum Ausgang des Heidentums erhalten, man verehrte ihn unter dem Beinamen Freyr, d. i. Herr. Ein zweites Hauptheiligtum dieses Gottes ist im norweg. Gebiet der Throndhjemr. Am ganzen norweg. Gestade wurde schon frühzeitig Thor als Hypostase des Himmelsgottes verehrt. Von Haus aus Gott des Gewitters, war er bald zur ethischen Gottheit geworden, der dem norweg. Bonden in allen Lebenslagen beistand und ihm vor allem im Kampfe gegen die riesischen Dämonen half.

Unterdessen brachten zur Zeit der Völkerwanderung von Norddeutschland nach Skandinavien vordringende Völkerstämme die Verehrung des niederdeutschen Wodan (Odin) nach dem Norden. Trotz der Unterwerfung dieser südgerman. Gauten durch die