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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Oper

rein poetische, Charaktere und Handlung dialektisch entwickeln und verstandesmäßig zurechtlegen, aber es kann sie mit einer unmittelbarern Naturkraft der Empfindung zur Anschauung bringen. Darum werden in der O. die Charaktere und Situationen weniger allmählich und in stetiger logischer Vermittelung vor unserm Auge aufwachsen wie im Drama, sondern mehr als gegebene gegeneinandergestellt, dabei aber um so breiter und tiefer in ihren Kontrasten ausgemalt. Die O. giebt eine Reihe dramat. Bilder, deren innerer Zusammenhang selbstverständlich sein muß, weil er musikalisch nicht im einzelnen entwickelt werden kann. Das schablonenhafte Ansehen, welches die äußere Anlage der O. dadurch erhält, wird noch erhöht durch die typische Gleichartigkeit der musikalischen Charaktere, die sich in höchstens sechs Stimmlagen (Sopran, Mezzosopran, Alt, Tenor, Bariton, Baß) bewegen müssen, und zwar so, daß durch den jeweiligen Charakter der Stimme der Charakter der Person beherrscht wird. Die Hauptpersonen der O. sind daher in ihren allgemeinen Zügen mit Recht stereotyp geworden.

Die O. als ein Kunstwerk, an dem mehrere Künste mitarbeiten müssen, wenn es zu stande kommen soll, ist, wie alle komponierten Werke, der Gefahr ausgesetzt, einzelne Teile auf Kosten der übrigen zu bevorzugen und dadurch das Ganze zu gefährden. Weil der Sologesang nirgends in solcher Unmittelbarkeit und Stärke wirkt als von der Bühne aus, liegt für die O. der Abweg nahe, in der Entfaltung virtuoser Gesangskünste fast ihre einzige Aufgabe zu suchen. Dies war der Mangel der im übrigen wahrhaft großen italienischen O. im 18. Jahrh. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrh.; sie wurde dadurch fast ein Konzert im Kostüm. Die deutschen O. des 19. Jahrh. dagegen, ja fast sämtliche O. der Gegenwart, leiden an einer zu starken Instrumentation auf Kosten des Gesangs, eine Folge verkehrter Anwendung des Beethovenschen Instrumentalorchesters auf die Gesangskomposition. Eine Übertreibung anderer Art, die aber gern mit lärmenden Instrumenten Hand in Hand geht, liegt nahe bei der Verwendung der Dekorationen, Maschinen und Verwandlungen. Schon gegen Ende des 17. Jahrh. war die O. auf diesem Abwege, den sie seit Meyerbeer abermals in bedenklichstem Maße betreten hat. Eine vierte Verirrung entsteht, wenn die O. auf das Gebiet des recitierenden Dramas übergreift und sich nicht begnügt, ein musikalisches Drama zu sein, sondern die Stellung eines Centraldramas einzunehmen strebt. Diese Ausschreitung ist von all den genannten anscheinend die berechtigtste, die legitimste, da aus einem Bestreben dieser Art die O. in der Renaissancezeit hervorging; aber sie ist zugleich die gefährlichste, da sie leicht dahin umschlägt oder bereits umgeschlagen ist, das Musikdrama an die Stelle des Dramas überhaupt zu setzen. Die ganze Geschichte der O. bewegt sich um das Einhalten oder Erreichen des richtigen Verhältnisses zwischen den dramat. und musikalischen Elementen. Zeiten, in denen die Dichter ihre Stoffe ohne Rücksicht auf die Natur der Musik wählten und ausführten, waren Perioden des Verfalls (die Altvenetianische O., die Meyerbeersche), ebenso die, in denen die Musik sich auf Kosten der Handlung vordrängte (die Periode der Neapolitaner von A. Scarlatti bis Hasse). Die an beiden Endpunkten notwendig hervorgerufene Reaktion wird durch die Namen Gluck (s. d.) und Wagner (s. d.) vertreten. ^[Spaltenwechsel]

Nach Art der Handlung und nach den verwendeten musikalischen Formen unterschied man von jeher mehrere Klassen von O. Am geläufigsten ist heute die Einteilung in große O. (opera seria bei den Italienern, tragédie lyrique bei den Franzosen) und komische oder Spieloper (ital. opera buffa; frz. opéra comique). In beiden Gattungen wird bei den Italienern die ganze Dichtung durchkomponiert. Bei den Franzosen und den Deutschen wird in der zweiten auch gesprochener Dialog verwendet. Das erklärt sich daraus, daß bei ihnen die komische oder Spieloper aus dem einfachen Lieder- oder Singspiel (das bei den Franzosen bis Adam de la Hale^[im Brockhaus neben Halle (heute nur so)] zurückgeht) hervorwuchs. Als Ausnahmen haben beide Völker auch einzelne ernste O. aufzuweisen, die in dieser Mischform gehalten sind: Cherubinis «Medea», Mozarts «Zauberflöte», Beethovens «Fidelio», Webers «Freischütz». Im Anfang des 18. Jahrh. nannte man in Deutschland alle O. auch die ital. Singspiele (s. d.); erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrh. wurde letzterer Name auf die Halbopern mit gesprochenem Dialog (im Französischen: Vaudevilles; im Englischen: Ballad-opera,) beschränkt. Gegenwärtig ist für diese Gattung der Titel Operette allgemein gebräuchlich. Als besondere Art der O. unterscheidet man wohl auch die in neuester Zeit besonders von Humperdinck und Goldmark kultivierte Märchenoper (vgl. L. Schmidt, Zur Geschichte der Märchenoper, 2. Aufl., Halle 1896).

Die O. entstand um 1590 in Florenz im Kreise der dortigen Platonischen Akademie aus dem Bestreben, die Weise der altgriech. Tragödie wieder aufzufinden und ihre Wirkung zu erneuern. Zu diesem Zweck wählte man pathetische, ergreifende Gedichte und wandte auf sie den eben erst erfundenen einstimmigen Gesang mit Begleitung (Monodie) an, der in der Folge durch das Musikdrama zur höchsten Ausbildung gelangte. Mit der Zeit verdrängte er sogar die in der ersten Periode noch mit großer Wirkung verwendeten Chorsätze vollständig. Das erstere größere Werk war «Dafne», 1597 aufgeführt, von Ottavio Rinuccini gedichtet und von Jacopo Peri komponiert. Das zweite und glänzendere Werk dieser Art war die auch in der Musik noch erhaltene «Euridice», von denselben Verfassern, 1600 bei der Vermählung Heinrichs Ⅳ. mit Maria von Medici zu Florenz mit großer Pracht dargestellt. Zu gleicher Zeit führte einer der florentin. Akademiker, Emilio del Cavalieri, in Rom das erste Oratorium in diesem neuen Stil auf. (S. Oratorium.) Durch das Hinzutreten eines so großen Komponisten wie Monteverdi, der Striggios «Orfeo» und Rinuccinis «Arianna» komponierte und 1607 und 1608 zu Mantua aufführte, kam in diese Bestrebungen ein neuer Geist, der sich nach und nach das ganze Gebiet der Musik unterthan machte. Sein bedeutendster Nachfolger war Francesco Cavalli. Rinuccinis «Dafne» verdeutschte Opitz, und Heinrich Schütz brachte sie 1627 in Musik. Doch faßte die O. erst gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland Wurzel; in Frankreich zur selben Zeit; gegen 1660 in England. Das erste öffentliche Operntheater entstand 1637 zu Venedig; das erste deutsche (von Schloßtheatern abgesehen) 1678 zu Hamburg. In Frankreich erstand Lully, in England Purcell, in Deutschland (Hamburg) Keiser, in Italien Scarlatti, sämtlich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrh. Von jenen vier Männern beherrschten Lully und Scarlatti die folgende Entwicklung. Die weitere Geschichte des musika-^[folgende Seite]