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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte)

Unterdes war in der innern Verwaltung Österreichs unter dem Minister Bach das System der Reaktion zur vollen Durchführung gelangt. Auf kirchlichem Gebiet brach man durchaus mit den Traditionen Josephs II. und schloß mit dem Papst das Konkordat vom 18. Aug. 1855, das eine Reihe ultramontaner Ansprüche zugestand und die Volks- und teilweise auch die Mittelschulen unter die Aufsicht des Klerus stellte. Erfreulicher zeigte sich dagegen die Regierungsthätigkeit, seit Bruck März 1855 wieder das Ministerium der Finanzen übernommen hatte. Namentlich begann die Ausführung der großen Eisenbahnbauten. Auch versuchte man die Regelung des Staatshaushalts und die Hebung des Staatskredits; doch wurden die erreichten finanziellen Resultate durch den Ausbruch des ital. Krieges (s. Italienischer Krieg von 1859) nur allzu schnell wieder rückgängig gemacht. Der Krieg verlief unglücklich, die Schlachten bei Magenta (4. Juni) und Solferino (24. Juni) brachten die Lombardei in die Hände Frankreichs, das sie an Sardinien gab. In den ital. Kleinstaaten flohen die mit Österreich verwandten Herrscher, und Volksabstimmungen erhoben nun das Haus Savoyen zur Herrschaft. (S. Italien, Geschichte.) Die Katastrophe von 1859 hatte einen innern Umschwung in Österreich zur Folge. Der Minister des Auswärtigen, Graf Buol-Schauenstein, legte sein Amt nieder; an seine Stelle trat Graf Rechberg (17. Mai 1859). Am 21. Aug. mußte auch Bach, der Minister des Innern, dem allgemeinen Hasse weichen und wurde durch Graf Goluchowski ersetzt, während Freiherr von Hübner das Polizeiministerium übernahm. Der Finanzminister Bruck (s. d.) empfahl eine Rückkehr zu dem konstitutionellen System, da nur auf diesem Wege der vollständig zerrüttete Staatskredit wiederhergestellt werden könne. Am 5. März 1860 ward der sog. verstärkte Reichsrat einberufen, der aus 38 vom Kaiser ernannten Mitgliedern aus den verschiedenen Teilen des Reichs bestand. Aber diese Schöpfung befriedigte nicht. Bruck selbst ward infolge von Unterschleifsprozessen unhaltbar, erhielt 22. April seinen Abschied und endete tags darauf durch Selbstmord. Durch das kaiserl. Diplom vom 20. Okt. 1860 wurde den zur ungar. Krone gehörigen Ländern eine neue Verfassung, den übrigen Ländern besondere Landtage zugesichert. Aber die Statute, die der "Staatsminister" Goluchowski für einzelne Länder ausarbeiten ließ, gewährten den Landtagen so geringe Rechte und räumten dem Adel und Klerus ein solches Übergewicht ein, daß sie allgemeine Unzufriedenheit hervorriefen. Goluchowski ward 13. Dez. 1860 entlassen, und an seine Stelle trat Schmerling, der Vertreter des reichseinheitlichen Gedankens, der 26. Febr. 1861 eine neue Reichsverfassung für den Gesamtstaat und neue Landesstatute für die slaw.-deutschen Kronländer verkündigte. Dieses Februarpatent schuf neben dem allgemeinen, aus Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden Reichsrat noch einen engern. In diesem sollten die gemeinschaftlichen Interessen der deutsch-slaw. Länder, in jenem die Angelegenheiten des Gesamtreichs, d. h. auch Ungarns und seiner Nebenländer, beraten werden.

Am 1. Mai 1861 wurde die erste Session des neuen Reichsrats eröffnet; aber es fehlten die Abgeordneten aus Ungarn, Kroatien, Siebenbürgen und Venetien, wo man von der Gesamtstaatsverfassung nichts wissen wollte und keine Wahlen vorgenommen hatte. So konnte die Versammlung nicht wohl als Vertretung des Gesamtstaates gelten, sondern die Regierung selbst bezeichnete sie (5. Juni) als engern Reichsrat. Nur Siebenbürgen bequemte sich nach einigen Jahren zur Anerkennung der gesamtstaatlichen Ordnung, und Okt. 1863 traten die siebenbürg. Abgeordneten in den Reichsrat ein, der sich seitdem als weiterer Reichsrat konstituierte. Dagegen traten die czech. Mitglieder aus Böhmen und Mähren aus, indem sie im Dez. 1864 erklärten, daß sie diesen unvollständigen Reichsrat nicht als eine Vertretung des Gesamtstaates ansehen könnten. Auch die legislatorischen Resultate des Reichsrates waren geringfügig, da die Regierung nur wenige eingreifende Vorlagen brachte und sich begnügte, das jährliche Budget bewilligen zu lassen.

In Deutschland trachtete Österreich seinen Einfluß dem preußischen gegenüber zu vergrößern und fand in den Mittelstaaten bereitwillige Unterstützung. So arbeitete die österr. Politik auf die Sprengung des Zollvereins hin, wohl in der Hoffnung, wenigstens die süddeutschen Staaten an sich zu ziehen. Sodann lud Kaiser Franz Joseph zum 16. Aug. 1863 die deutschen Fürsten und Freien Städte zu einem Kongreß in Frankfurt a. M. und legte hier den Entwurf einer Bundes-Reformakte vor. (S. Deutschland und Deutsches Reich, Geschichte.) Doch bei der Ablehnung Preußens mußte man in der deutschen Verfassungsfrage auf jeden wirklichen Erfolg verzichten.

Als beim Tode des dän. Königs Friedrich VII. (15. Nov. 1863) der langjährige dänisch-deutsche Konflikt (s. Schleswig-Holstein) zum offenen Ausbruch kam, ließen Österreich und Preußen ihre Heere in Holstein einmarschieren und verbündeten sich noch enger durch die geheime Konvention vom 16. Jan. 1864. Der nun folgende Krieg (s. Deutsch-Dänischer Krieg von 1864) wurde durch den in Wien 30. Okt. abgeschlossenen Frieden beendet (s. Wiener Friedensschlüsse), worin Christian IX. die Herzogtümer Schleswig-Holstein und Lauenburg an den Kaiser von Österreich und den König von Preußen abtrat. Die gemeinsame Herrschaft machte die alte Eifersucht der deutschen Vormächte bald wieder rege. Österreich gab jedoch in der schlesw.-holstein. Sache vorläufig den Wünschen Preußens nach, und die Gasteiner Konvention (s. Gastein), 14. Aug. 1865, schob die Entscheidung noch auf kurze Zeit hinaus. Auch der Streit auf dem volkswirtschaftlichen Gebiete wurde durch den Abschluß eines neuen Handelsvertrags zwischen Österreich und dem Zollverein 11. Aug. 1865 beigelegt.

Inzwischen hatte sich in den innern Verhältnissen Österreichs abermals ein Umschwung vollzogen. Der Versuch Schmerlings zur Durchführung der Februarverfassung war in der östl. Reichshälfte mißlungen; der Wiener Hof suchte daher wieder mit der altkonservativen Partei in Ungarn anzuknüpfen, wobei Graf Moritz Esterházy, seit 1861 Minister ohne Portefeuille, als Vermittler diente. Als Graf Georg Mailáth, ebenfalls ein hervorragendes Mitglied dieser Partei, 26. Juni 1865 zum ungar. Hofkanzler ernannt wurde, reichten tags darauf Schmerling, Plener und deren Anhänger im Ministerium ihre Entlassung ein, die auch angenommen wurde. Am 27. Juli kam das neue sog. Drei-Grafen-Ministerium zu stande, das aus föderalistischen und altkonservativ-ungar. Elementen zusammengesetzt war. Ministerpräsident und Staatsminister ward Graf Richard Belcredi, Finanzminister Graf Larisch, das