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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Persien (Handel u. Verkehr. Verfassung u. Verwaltung. Heerwesen. Finanzen)

Handel und Verkehr. Der geschätzte Wert des Gesamtaußenhandels hat seit Mitte der achtziger Jahre (7‒8 Mill. Pfd. St.) stetig abgenommen (1893 und 1894 etwa 5 Mill.), Einfuhrwaren sind: Baumwollwaren, Stoffe, Glas, Wollwaren, Wagen, Zucker, Petroleum, Thee, Kaffee, Droguen. Zur Ausfuhr kommen namentlich: Getrocknete Früchte, Opium, Baumwolle, Wolle, Seide, Teppiche, Perlen, Reis, Türkise u. s. w. Die wichtigsten Handelsplätze sind: Buschehr, Schiras, Bendarabbas, Lingeh im Süden, Meschhed, Astrabad, Rescht, Täbris im Norden. (S. diese Artikel.) Fahrstraßen existieren zwischen Teheran-Kaswin-Agha Baba und Teheran-Kum, ferner Täbris-Dschulfa und kurze Strecken um Teheran und Rescht, Lasttierstraßen von Rescht nach Agha Baba, von Teheran über Barferusch nach Meschhed-i-Sar, der Rest sind Saumpfade und Karawanenstraßen. Die durch eine engl. Gesellschaft in Angriff genommene Anlage einer großen Handelsstraße von Teheran über Sultanabad (Centrum der Teppichweberei) nach dem Persischen Golf ist infolge ungenügender finanzieller Mittel gescheitert. Dafür wurde eine andere einer russ. Firma bewilligte Straße von Kaswin nach Enseli am Kaspischen Meer 1895‒96 hergestellt. An Eisenbahnen besitzt P. eine Strecke von 18 km Schmalspurbahn von der Hauptstadt nach dem Wallfahrtsorte Schah Abd ul-Asim, andere größere Konzessionen sind vergeben, doch nicht in Arbeit genommen. Von großer Bedeutung ist die Nähe der Transkaspischen Eisenbahn. Telegraphen giebt es 6650 km (10320 km Drahtlänge) mit 99 Stationen; Postbureaus bestanden (1892) 95. Seit 1889 giebt es eine kaiserl. Bank mit 80 Mill. M. Kapital, 11 Filialen und vielen Agenturen; sie darf Noten bis zum Betrage von 16 Mill. M. ausgeben und hat das ihr überlassene Bergbaumonopol seit 1890 an die Persian Mining Rights Corporation Limited übertragen, welch letztere aber 1894 liquidierte. – Münze ist der Kran (s. d.), dessen Wert 1896 nur noch 0,39 M. betrug. Der Goldtoman, eigentlich = 10 Kran, ist jetzt 7,5 M. wert. Gewichtseinheit ist das Miskal = 4,6 g (s. Batman), Längenmaß ist der Zer oder Göß (s. d.).

Verfassung und Verwaltung. Die unumschränkte Gewalt ist in den Händen eines Schah vom turkoman. Stamme der Kadscharen. Ihm zur Seite steht der Ministerrat (Madschlis el vuzerā), bestehend aus Premierminister (Sader aazam), Minister des Äußern (Vezir dâwalet châredsche), Minister des Innern (Mustaufi el memâlek), der Finanzen (Muajir el memâlek), des Krieges (Sipâhsâlâr), des Kultus, der Bergwerke und Telegraphen (Muchbir eddauleh), der Post, der Justiz (Vezire adalet) und dem ersten Ratsherrn (Muschir eddauleh). Diejenigen Minister, welche über Einkünfte aus dem Betriebe verfügen, wie Post, Bergbau, Telegraphen, zahlen dem Schah eine bestimmte Pachtsumme, wofür sie über das Einkommen ihres Ressorts frei verfügen können, ebenso sind die Zollämter, Münze u. s. w. verpachtet. An der Spitze der schiitischen Priesterschaft des Landes steht der Imâm-Dschuma, dessen Amt dem des türk. Großmufti entspricht; unter ihm stehen sowohl die Männer des Gesetzes, der Scheich ul-Islâm, die Kâdis und Mollas, wie die eigentlichen Priester, die Imâms. Das Recht wird teils nach dem Koran, teils nach altem Herkommen, letzteres besonders in allen das öffentliche und Strafrecht betreffenden Fällen, gehandhabt. Schwere Verbrechen können auch durch eine an den Staat und die Angehörigen zu zahlende Geldsumme geahndet werden. Die Verwaltung der Provinzen wird wie in der Türkei von fast unbeschränkten, ganz nach dem Muster ihres Herrn mit der äußersten Willkür verfahrenden Statthaltern, Beglerbegs, auch Hakims genannt, geführt, die meist Prinzen des regierenden Hauses sind, welche den Titel Mirza hinter ihrem Namen führen.

Heerwesen. Die Armee ergänzt sich nach dem Kantonsystem, d. h. jeder Bezirk hat eine bestimmte Anzahl von Mannschaften zu stellen. Die Dienstzeit ist lebenslänglich; das Gesetz von 1875, welches sie auf 12 Jahr beschränkte, ist nie in Wirksamkeit getreten. Die Sollstärke beträgt: 85 Regimenter Infanterie zu 800 Mann (70000 Mann), 4 reguläre Kavallerieregimenter (1600 Mann), irreguläre Reiterei (60000 Mann), 18 Regimenter und 13 Compagnien Artillerie (6300 Mann). Die im Kriegsfalle aufzubringende Armee dürfte jedoch hinter diesen Zahlen erheblich zurückbleiben. Infanterie und Artillerie sind nur zu einem Drittel unter den Waffen, während zwei Drittel beurlaubt sind (jährlicher Wechsel). Die reguläre Kavallerie ist stets präsent, die irreguläre wird nur in Kriegszeiten einberufen. Der Ausbildung der Infanterie ist das österreichische, der der regulären Kavallerie das Reglement der Kosaken zu Grunde gelegt. Die Infanterie ist mit dem Werndlgewehr, die Kavallerie mit dem Berdangewehr bewaffnet, an Geschützmaterial sind etwa 100 Hinterlader (meist Uchatius), 100 gezogene Vorderlader und etwa 1000 glatte Vorderlader aller Kaliber vorhanden; außerdem 300 Kamelkanonen, die nur noch zu Paradezwecken dienen. Arsenal, Pulver- und Patronenfabriken befinden sich in Teheran.

Finanzen. Die Staatseinnahmen fließen zu 82 Proz. aus den Abgaben, die in Geld oder in Naturalien von den Städten, Dörfern und Bezirken nach Taxen aufzubringen sind und fast ausschließlich die ärmern Klassen bedrücken. Christen, Parsen und Juden zahlen kleine Tribute. 15 Proz. fließen aus den Zöllen, Post- und Bergwerkseinnahmen liefern den Rest. Im ganzen wurden 1839/40: 34, 1876/77: 50, 1888/89: 54 Mill. Kran eingenommen. 1895/96 betrugen die Einnahmen wegen des Sinkens des Silberwertes nur 1,3 Mill. Pfd. St. Von den Ausgaben entfallen 18 Mill. Kran anf das Heer, 10 auf Pensionen, 5 auf den Hof, 3 auf Apanagen der Prinzen, 2,6 Mill. auf die Verwaltung u. s. w. 1892 nahm die Regierung durch die kaiserl. Bank eine Anleihe im Betrage von 500000 Pfd. St. auf. Das Wappen hat im blauen Feld einen goldenen Löwen auf grünem Boden schreitend, mit der rechten Pranke einen krummen Säbel schwingend; hinter ihm eine aufgehende goldene Sonne. Die Flagge ist weiß mit grünem Rande, mit dem Löwen und der Sonne des Wappens in der Mitte. (S. Tafel: Flaggen der Seestaaten.) Orden sind: der Sonnenorden (s. d.), der nur vom Schah getragene Aliorden und der 1873 gestiftete Damenorden Neschane-Aftab.

^[Abb. Wappen]