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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Vereinigte Staaten von Amerika (Geschichte seit 1885)

auch das wichtigste Gesetz, das 1890 unter Harrisons Regierung zu stande kam, die nach ihrem Urheber benannte MacKinley-Bill (s. d.), ein neuer hochschutzzöllnerischer Tarif, der einen fast prohibitiven Charakter trug und bestimmt war, die Einfuhr aus Europa möglichst zu beschränken und die Zolleinkünfte zu vermindern.

Neue Zwistigkeiten entstanden mit England, nachdem in der Fischereifrage kaum ein modus vivendi geschaffen war, über die Berechtigung des Robbenschlages im Beringmeer (s. d.); nach mehrjährigen Verhandlungen einigte man sich endlich dahin, die Angelegenheit einem internationalen Schiedsgericht zu unterbreiten, das 1893 in Paris zusammentrat und dahin entschied, daß den Vereinigten Staaten nur innerhalb der gewöhnlichen Grenzen, drei Seemeilen vom Lande entfernt, das ausschließliche Schutz- und Eigentumsrecht auf die Robben zustehe. Unter den Gesetzen, die in der Wintersession 1890/91 zu stande kamen, ist eins erwähnenswert, das die Zahl der Mitglieder des Repräsentantenhauses auf 356 erhöhte, eine Folge der steigenden Bevölkerungszahl. Schon 1889 waren die Territorien Montana, Washington, Nord- und Süddakota als Staaten in die Union aufgenommen worden, 1890 folgten Idaho und Wyoming, und nachdem allmählich auch der Widerstand der Mormonen (s. d.) gegen das Verbot der Polygamie gebrochen war, fanden auch die wiederholten Gesuche Utahs Gehör; seine Aufnahme als Staat erfolgte 1891.

Zu den wichtigsten Angelegenheiten, die das Wirtschaftsleben der Vereinigten Staaten betreffen, gehört nächst der Zollpolitik auch die Silberfrage, da Nordamerika als eins der am meisten Silber produzierenden Länder sehr empfindlich von dem Preissturz dieses Metalls betroffen wird. Vergebens hatte man durch große Silberkäufe von seiten des Staates (s. Blandbill) dem fortwährenden fallen des Silberpreises Einhalt zu thun gesucht; und auch eine 1892 auf Anregung der Vereinigten Staaten in Brüssel tagende internationale Münzkonferenz hatte keine Abhilfe schaffen können. Diese Mißstände sowie die drückend hohen Zölle riefen Unzufriedenheit gegen die herrschende Republikanische Partei hervor, so daß sie 4. Nov. 1890 bei den Neuwahlen zum Repräsentantenhause eine vernichtende Niederlage erlitt und von den 356 Mandaten nur etwa 90 zu erringen vermochte. So konnte die Demokratische Partei mit gutem Mut der Präsidentenwahl des folgenden Jahres entgegensehen, zu der sie von neuem den frühern Präsidenten Cleveland nominierte, während auf seiten der Republikaner wieder Harrison kandidierte. Die neu gebildete Volkspartei (Populist party) stellte als ihren Kandidaten Weaver auf. In der That wurde Cleveland im Nov. 1892 mit großer Majorität gewählt. Die kurze Zeit seiner Amtsführung gab Präsident Harrison noch Gelegenheit, die auf den Sandwichinseln ausgebrochene Empörung zu benutzen und über die neue Republik, wenn auch nur provisorisch, 15. Febr. 1893 das Protektorat zu übernehmen. Als Cleveland 4. März sein Amt antrat, machte er jedoch sofort diesen Schritt seines Vorgängers rückgängig. Dagegen eröffnete er 1. Mai die unter Harrison vorbereitete große "Columbische" Weltausstellung in Chicago, die Zeugnis ablegte von der großartigen Entwicklung der nordamerik. Industrie (s. Chicagoer Weltausstellung). Weniger erfreulich waren die Wirkungen, die das wirtschaftliche Daniederliegen infolge der Silberkrisis auf die Finanzen der Vereinigten Staaten hervorbrachte. War schon seit 1890 allmählich der Überschuß im Staatsschatz immer mehr gesunken, so daß er sich 1893 nur noch auf 2 Mill. Doll. belief, so zeigte das Budget 1894 zum erstenmal seit dem Bürgerkriege ein Deficit und zwar von 70 Mill. Infolge der großen Silberankäufe, die gemäß der Blandbill von 1878 und der Shermanbill von 1890 von den Vereinigten Staaten fortwährend gemacht wurden, war die Goldreserve des Schatzamtes derartig gesunken, daß Präsident Cleveland sich veranlaßt sah, den Kongreß auf den 7. Aug. zu einer außerordentlichen Sitzung zu berufen und die Aufhebung der Shermanbill zu beantragen. Nach langen Debatten gab der Kongreß 1. Nov. 1893 endlich seine Zustimmung. Während dieser Kämpfe war eine Handelskrisis hereingebrochen, wie sie die Vereinigten Staaten seit 1873 nicht erlebt hatten. Zahlreiche Banken, besonders im Süden und Westen, mußten den Bankrott erklären, und eine große Anzahl von Eisenbahngesellschaften sahen sich genötigt, ihre Zahlungen einzustellen. Im Gefolge dieser wirtschaftlichen Depression entstanden eine Reihe von Streiks und eine Arbeitslosigkeit, die wieder Unruhen und Aufstände zur Folge hatten. Ein Agitator Corey forderte im April 1894 alle Arbeitslosen auf, von allen Seiten nach Washington zu ziehen und dem Kongreß ihre Beschwerden vorzutragen. Sein Vorschlag wurde mit Beifall aufgenommen, und an verschiedenen Orten bemächtigten sich die Arbeitslosen der Eisenbahnzüge und mußten von den aufgebotenen Milizen mit Gewalt zur Ruhe gezwungen werden. Großartige Dimensionen nahm zu derselben Zeit ein Kohlenarbeiterstreik an, bei dem etwa 200000 Mann die Arbeit niederlegten. Er endigte mit einem Vergleich, bei dem die Arbeiter eine geringe Lohnerhöhung erzielten. Zu den ärgsten Ausschreitungen kam es im Juni und Juli bei einem Ausstand der Eisenbahnarbeiter. Weitgehende Verkehrsstörungen traten ein, da die Ausständigen den Abgang der Eisenbahnzüge gewaltsam hinderten; namentlich in Chicago und in Sacramento herrschte einige Tage völlige Anarchie, so daß der Belagerungszustand verhängt und die Aufständischen durch Militär zur Ordnung zurückgeführt werden mußten.

Während dieser tumultuarischen Vorgänge wurde auch im Kongreß ein heftiger Kampf um die Tarifreform ausgefochten. Im Jan. 1894 hatte der demokratische Abgeordnete Wilson dem Repräsentantenhause einen Zolltarifentwurf vorgelegt, der die MacKinley-Bill einer durchgehenden Revision unterwarf und eine große Anzahl von Rohstoffen, namentlich Wolle, Eisen, Kohle und Holz, auf die Freiliste setzte sowie eine Einkommensteuer in Vorschlag brachte. Der Entwurf wurde 1. Febr. vom Repräsentantenhause angenommen, stieß aber im Senat auf Widerstand, wo sich einige demokratische Senatoren den schutzzöllnerischen Republikanern anschlossen und die Tarifsätze für Eisen, Kohle und Zucker sowie für Verschiedene andere Gegenstände wesentlich erhöhten, wenn auch der MacKinley-Tarif noch eine bedeutende Herabsetzung erfuhr. Nach langem Widerstreben nahm das Repräsentantenhaus den Entwurf endlich in der Fassung des Senats an, und 28. Aug. 1894 wurde er Gesetz. Den heftigsten Widerstand fand das Einkommensteuergesetz, das als verfassungswidrig bekämpft wurde, und da der Oberste Gerichtshof (s. Supreme Court) im Mai