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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Warschau

verbunden, zwei schöne Gemälde und Gräber berühmter Polen enthaltend; die 1842 aus einer kath. Kirche umgebaute russ. Kathedrale (eine neue russ. Kathedrale im Bau auf dem Sächsischen Platz); die im modernen Stil ausgeführte luth. Kirche; die Heilige Kreuzkirche, 1695 vollendet, mit herrlicher Façade und schönen Gemälden; die 1681 vollendete Kapuzinerkirche mit dem Marmordenkmal Johann Ⅲ. Sobieskis; die Alexanderkirche; die 1861 begonnene, äußerlich noch nicht vollendete Allerheiligenkirche u. a.

Weltliche Gebäude, Denkmäler. Das königl. Schloß, von den masowischen Herzögen gegründet, später umgebaut und namentlich von Poniatowski mit Skulpturen und Malereien versehen, dient gegenwärtig als Residenz des russ. Kaisers bei seinem Aufenthalt in W. und als Sitz des Generalgouverneurs. Der Sächsische Palast, einst Residenz der sächs.-poln. Könige, jetzt zu Verwaltungszwecken verwendet; das ehemalige Brühlsche Palais, jetzt Telegraphenamt; das ehemalige Radziwillsche Palais, jetzt Sitz der Gouvernementsverwaltung; das Potockische, das Uruskische, das Kazimierowskische Palais (letzteres jetzt Sitz der Universität); der Palast der ehemaligen Philomatischen Gesellschaft (jetzt russ. Gymnasium), das Zamojskische Palais; das Lustschloß Belvedere, worin 1830 das Attentat auf den Großfürsten Konstantin versucht wurde; das Lustschloß Łazienki, von Poniatowski erbaut, mit Bildern poln. Könige; das Palais Kronenberg, 1869 nach Hitzigs Plänen erbaut. Von andern Gebäuden sind noch hervorzuheben: die Bank, die Post, das Rathaus, das Theatergebäude (mit zwei Bühnen), das Kammergericht u. a. Außer dem Obelisken in der Citadelle giebt es noch folgende Denkmäler: ein Obelisk aus Gußeisen auf Marmorbasis mit acht ruhenden Löwen auf dem Sächsischen Platz, zum Andenken an die 1830 gefallenen, den Russen treu gebliebenen poln. Generale; das Denkmal des Fürsten Paskewitsch; das Denkmal des Kopernikus, Bronzestatue nach Thorwaldsen, 1822 errichtet; das Denkmal König Sigismund Ⅲ. Wasa, 1643 errichtet, ursprünglich Marmor-, jetzt Granitsäule mit Bronzekapitäl und Statue des Königs darauf; ein Reiterstandbild Johann Sobieskis, 1783 errichtet, dem Schloß Łazienki gegenüber.

Behörden und Verwaltung. W. ist Sitz des Generalgouverneurs, des Gouverneurs, der obersten Gerichtsbarkeit für Polen, des russ.-orthodoxen Erzbischofs und des Konsistoriums der Eparchie Cholm und W., des kath. Erzbischofs und des Konsistoriums der Erzdiöcese W., des Generalkonsistoriums der lutherischen und des Konsistoriums der reform. Kirchen in Polen; des Kurators des Lehrbezirks W., des Kommandos des Warschauer Militärbezirks, des Stabes des 5., 6. und 15. Armeekorps, des Stabes der 10. Infanteriedivision und des Stabes der 4. Sappeurbrigade. – Die Stadtverwaltung wird von einem Magistrat geleitet, an dessen Spitze ein russ. General steht. Ein solcher ist auch Oberpolizeimeister der Stadt; sie wird in 12 Polizeibezirke (cyrkuły) eingeteilt. Das Wasser wird oberhalb der Stadt der Weichsel entnommen und in 12 Sandfiltern filtriert. Gas zur städtischen Beleuchtung liefert eine deutsche Gesellschaft aus Dessau.

Bildungswesen. Die Universität, 1816 gestiftet, 1832 aufgehoben, 1861 wieder als Hohe Schule hergestellt und 1869 in eine russ. Universität umgebildet, hat vier Fakultäten (historisch-philologische, physikalisch-mathematische, juristische und medizinische) und (1897) 75 Docenten und 1214 Studenten, ferner eine Bibliothek, ethnogr. Museum, Münzkabinett, Sternwarte, botan. und pomolog. Garten. Daneben besteht ein ophthalmolog. und ein Veterinärinstitut. An andern Lehranstalten sind vorhanden: 7 Knaben-, 4 Mädchengymnasien, 1 Realschule, 2 Knaben-, 2 Mädchenprogymnasien, 67 niedere und Elementarschulen und viele Privatschulen; ferner 1 Lehrerseminar, 1 kath. Priesterseminar, 1 Taubstummen- und Blindeninstitut, 1 Hebammenschule, 2 technische Eisenbahnschulen, 1 technisch-mechan. Mittelschule, 1 höhere und 1 niedere Handelsschule, 1 Musikinstitut (Konservatorium), 1 Zeichenschule und 1 Museum der schönen Künste; an Theatern: das Große Theater (für Oper, Ballett und Drama), das Varietätentheater (Teatr rozmaitości), das Sommertheater im Sächsischen Garten (Oper, Ballett, Tragödie), das Neue Theater (Operette) und das Kleine Theater; an Vergnügungsorten sind vorhanden: das Schweizerthal, Zamboni, Marcellin, Sielanka und der Sächsische Werder (Saska kępa), letzterer südlich an Praga. In W. erscheinen 12 russ., 58 poln. und 1 hebr. Zeitung. (S. Rußland, Zeitungswesen.) W. hat 42 Buchdruckereien und 124 Buchhandlungen.

Wohlthätigkeitsanstalten. Bemerkenswert sind die Hospitäler zum Kindlein Jesu mit 650 Betten und Findelhaus, des Heiligen Geistes, des heil. Rochus, des heil. Lazarus (für Hautkrankheiten), des heil. Johannes (für Geisteskranke), das Evangelische, das Israelitische Krankenhaus, das Kleinkinderkrankenhaus, mehrere Militärhospitäler und zahlreiche Wohlthätigkeitsgesellschaften.

Verkehrswesen. W. liegt an den Eisenbahnen W.-Wien, Petersburg-W., W.-Terespol und an der Weichselbahn (Kowel-Mlawa) und hat vier Bahnhöfe, von denen zwei, der Petersburger und der Terespoler, in Praga, die andern beiden auf der linken Seite der Weichsel liegen, und zwar der Weichselbahnhof im N. an der Citadelle, der Wiener Bahnhof im S. Letzterer ist durch eine westlich um die Stadt gehende Verbindungsbahn mit dem erstern, sowie weiterhin mit dem Terespoler Bahnhof verbunden. Den Stadtverkehr vermitteln Droschken, Omnibusse und 12 Pferdebahnlinien. Auf der Weichsel gehen kleine Passagierdampfer stromaufwärts und stromabwärts. Den Postverkehr vermitteln 1 Haupt- und 9 Nebenämter, den Telegraphenverkehr 1 Haupt- und 3 Nebenämter. Den Telephonverkehr leitet ein Privatbureau.

Industrie und Handel. W. ist neben Lodz die bedeutendste Industriestadt Polens. 1869 hatte es 324 Fabriken mit 5627 Arbeitern und 9,76 Mio. Rubel Produktion; 1897: 431 Fabriken mit 22740 Arbeitern und 44 Mill. Rubel Produktion. Obenan steht die Bearbeitung von Metallen, mit (1893) 9,79 Mill. Rubel, dann folgt die Herstellung von Lebensmitteln (Mühlen, Brauereien, Tabakfabriken u. a.) 7,84, die Bearbeitung von Tierprodukten 4,26, Bearbeitung von Faserstoffen und Weberei 1,97, chem. Fabriken 0,95, Holzbearbeitung (Möbel-, Billardfabriken u. a.) 0,85, verschiedenes (künstliche Blumen, Musikinstrumente, Schirme u. a.) 1,61 Mill. Rubel. Die Produktion im Handwerk mit (1893) 9642 Meistern, 24167 Gesellen und 19200 Lehrlingen betrug 52 Mill. Rubel. W. hat wöchentlich große Getreide-, Vieh- und Pferdemärkte, jährlich einen Wollmarkt, einen Hopfenmarkt und zwei Messen. Es ist der Mittelpunkt des poln. Binnenhandels