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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

Schlagworte auf dieser Seite: *Anthropogeographie; * Anthropologie

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Anthropogeographie - Anthropologie

wärmern Gebiete der Alten Welt verbreiteten Arten. A. vulgaris Hack. und A. australis R. Br., in Australien als Kängurugras bekannt, bilden ein gutes Futtergras. Die jungen Sprossen der erstgenannten Art werden auch als Gemüse genossen.

*Anthropogeographie. Indem die Gegensätze von Bodengüte und Klima schon auf den niedrigsten Kulturstufen tief einschneidende Unterschiede der Lebensbedingungen hervorrufen, zwingen sie die Vergesellschaftungen der Menschen zu verschiedenen Arten des Wirtschaftslebens und damit der Daseinsform überhaupt; sie bedingen Wanderungen, d. h. die Anfänge und Weiterentwicklung des Verkehrs. Die Siedelungen, und zwar ebensowohl das unscheinbarste Einzelgehöft wie die größte Weltstadt, sind nach ihren Anfängen und nach der Art ihres Wachstums in erster Reihe durchaus von den geogr. Verhältnissen der Örtlichkeit abhängig, die auch den Wert und die Bedeutung einer bewohnten Erdstelle für die weitere Umgebung oder für eine größere Gesamtheit, einen Stamm, ein Volk, einen Staat bedingen. Und schließlich verleiht jede Landschaft der in ihr ansässigen Bevölkerung, deren Erwerbsleben, Thätigkeit und Denkweise sie durch Generationen hindurch in ganz bestimmter Weise beeinflußt, einen ausgeprägten Charakter, der z. B. Gebirgsstämme von Küstenbevölkerungen, Tropenbewohner von Polarvölkern scharf unterscheidet. Freilich fällt hierbei das nichtgeogr. Moment der geistigen Veranlagung oder der kulturellen Entwicklungsstufe eines Volks schwer in die Wagschale, indem es selbstverständlich principiell unterscheidend wirkt, ob ein tief stehendes Naturvolk sich den Einflüssen eines Erdraumes machtlos ausgesetzt sieht, oder ob ein Volk mit vergleichsweise hoher Kultur diese Einflüsse mehr oder weniger brach zu legen im stande ist und so der Landschaft mehr seinen Stempel aufdrückt, als von ihr abhängig wird. Man vergleiche, um diesen Gegensatz in seinem ganzen Gewichte zu ermessen, z. B. nur das geogr. Gesamtbild der Vereinigten Staaten Amerikas von heute mit dem ihres Gebietes vor der Zeit der europ. Besiedelung.

Indem also die A. zeigt, in welcher Weise die menschlichen Vergesellschaftungen von den natürlichen Zuständen der Wohnsitze bedingt sind, und wie andererseits der Mensch kleinere und größere Erdräume in tief einschneidender Weise umzugestalten und sich auf diese Weise erst dienstbar zu machen vermag, bedarf sie zu ihren Untersuchungen und Schlußfolgerungen natürlich in ausgedehntester Weise der Rücksichtnahme auf die Zeit, da nur in langen Perioden der Prähistorie und der Geschichte die in Rede stehenden Einflüsse ihre Wirkungen ausüben konnten und können. Die Bezeichnung historische Geographie für A. ist daher wohl berechtigt; nur ist zu beachten, daß sie ab und zu auch in anderm Sinne gebraucht wird, nämlich so, daß es sich um die geogr. Zustände bestimmter Epochen handelt. In diesem Sinne spricht man z. B. von einer Geographie Italiens zur Zeit des röm. Kaiserreichs oder allgemein von einer mittelalterlichen Geographie u. s. w. Das Wort A. ist also jedenfalls vorzuziehen.

Sucht man das Forschungsgebiet der A. genau zu umgrenzen, so wird man als ihre allgemeine Aufgabe erkennen, den Einfluß der Naturbedingungen, also z. B. der Lage in einem Kontinent, auf einer Insel oder Halbinsel, der Größe des verfügbaren Raumes, der Art seiner Umgrenzung, der Bodenunebenheiten, der Flüsse, Küsten, Seen, des Klimas, des Pflanzenkleides der Erde, darzuthun, und zwar den Einfluß auf die Art, Größe, Verteilung der Siedelungen, auf die räumliche Ausdehnung der Völker und ihrer Kulturkreise, auf den Verkehr und seine vielseitigen, besonders wirtschaftlichen Wirkungen. Man kann also Siedelungskunde, Verkehrs- und Wirtschaftsgeographie als wichtige Hauptteile der A. aufstellen. Auch die politische Geographie, die sich mit den Besitzverhältnissen der menschlichen Staaten und deren Gliederung zu einer bestimmten Zeit befaßt, ist ein Zweig der A., der für zahlreiche anthropogeogr. Untersuchungen die naturgegebene Form ist, in welche sich alles der Statistik zugängliche geogr. Material am bequemsten einfügt, da eben die Zahlen der Statistik an die Erhebungen innerhalb polit. Grenzen gebunden sind.

Wenn häufig gesagt wird, es falle der Geographie die schöne Aufgabe zu, Vermittlerin und Bindeglied zu sein zwischen den Welten der historischen und der Naturwissenschaften, so trifft das sicherlich ja allermeist zu für die A., welche eben das abgerundete länderkundliche Bild einer Erdstelle nur dann vollständig vor Augen führen kann, wenn sie den jeweiligen geogr. Gesamtzustand des Landes und seiner Bewohner als einen naturbedingten auffaßt.

* Anthropologie. Die moderne A. gliedert sich in somatische A., Urgeschichte und Ethnologie. 1) Somatische A.: die Kenntnis der naturhistorischen Charaktere der Menschheit, ihrer verschiedenen Völker und Stämme, Rasseneigentümlichkeiten, deren wichtigste im Schädel- und Skelettbau, in den Proportionen der Gliedmaßen, in Farbe und Beschaffenheit der Haut, Haare und Regenbogenhaut des Auges gelegen sind. Aus den Resultaten dieser Untersuchungen ergiebt sich das wissenschaftliche Urteil über die Fragen nach der Herkunft und Stellung des Menschen in der Natur, d. h. nach seinen Beziehungen zu den nächstverwandten Tieren; ferner über die Frage, ob ein genetischer Zusammenhang zwischen diesen und den Menschen bestehe, und welcher Art dieser sei. Diese Studien führen naturgemäß weiter 2) zur Urgeschichte, zur Untersuchung über das erste Auftreten des Menschen auf der Erde und über seine etwaigen paläontologischen Vorläufer (Paläontologie des Menschen). Die Urgeschichte umfaßt zunächst die somatische A., die Untersuchung über die naturhistor. Stellung des Urmenschen zu dem modernen Menschen wie zu den nächststehenden Tieren. In letzterer Beziehung sind namentlich die Beweise der geistigen Superiorität des Urmenschen über die Tierwelt von Wichtigkeit, die Urgeschichte begreift daher auch die Untersuchung über die Entwicklung des menschlichen Kulturlebens von dem ersten nachweisbaren Auftreten der Menschen bis zur geschichtlichen Zeit in sich, soweit uns darüber die Manufakte der Urmenschen Aufschluß erteilen; in diesem Sinne wird die Urgeschichte auch als Vorgeschichte, Prähistorie, bezeichnet, und sie führt uns direkt über 3) zu der Ethnologie, deren Forschungsgebiet zunächst die primären Elemente des Geistes- und Kulturlebens der gesamten Menschheit sind. Die Prähistorie ist sonach urgeschichtliche Ethnologie. Die Ethnologie als Völkerkunde beschäftigt sich in erster Linie mit der Erforschung der Elementargedanken der Menschheit, wie sie sich in Religion, Weltanschauung, Rechtsbewußtsein, dem gesamten Kulturleben mit Sitten und Gebräuchen, staatlicher und Familiengliederung u. v. a. offen-^[folgende Seite]