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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Arbeiterfrage (Sonntagsarbeit)
liche Zustände. Mr. John T. Brunner, der über die Einführung der achtstündigen Schicht in seiner chem. Fabrik berichtet, meint, daß die Zahl der Fabriken, wo sieben Tage lang in der Woche durchschnittlich 12 Stunden gearbeitet werde, sehr erheblich sei. Bei Droschken, bei Lastwagen, Bahnbediensteten sind notorisch lange Arbeitszeiten üblich.
In Frankreich, wo ebenfalls die Lage der Bahnbediensteten so ungünstig ist, das; der Minister durch ein Rundschreiben einen Maximalarbeitstag von 12 Stunden angeordnet hat, stößt das neue Gesetz von 1892, das für Frauen und Kinder Beschränkungen der Arbeitszeit vorsieht, bei seiner Durchführung auf große Schwierigkeiten.
Eine bemerkenswerte Verordnung ist in Holland 13. Jan. 1891:, zuerst provisorisch, seit 1. Aug. definitiv, für die im Dienste der Gemeinden befindlichen Arbeiter getroffen worden. Hiernach darf nicht länger als 11 Stunden täglich, am Sonntag überhaupt nicht gearbeitet werden und ist Ausdehnung der Arbeitszeit nur mit Erlaubnis der Behörde gestattet, die jedoch ausschiehlich nur bei sehr drängender Arbeit erteilt wird.
Bei solcher Sachlage ist das Bestreben für Einführung eines Achtstundentages in vielen Ländern ein lebhaftes. Den in Australien thatsächlich bereits in weitem Umfang bestehenden achtstündigen Normalarbeitstag sucht man dort neuerdings mehr und mehr in der Gesetzgebung zu fixieren. Nachdem 1885 für Victoria durch die Factories and Shops Act der achtstündige Normalarbeitstag für die Frauen- und Kinderarbeit in allen Etablissements festgesetzt und einstweilen bestimmt wurde, daß alle Läden und Warenhäuser in den ersten fünf Tagen, um 7 Uhr abends, am Sonnabend nicht später als 10 Uhr abends geschlossen werden müssen, ist seitdem in einer Reihe von Einzelgesetzen der Normalarbeitstag auch für erwachsene Männer gesetzlich eingeführt worden, z. B. für Bergarbeiter, Maschinenarbeiter, Straßenbahnbedienstete, Angestellte von Behörden u. s. w. In Queensland und Neuseeland bemüht sich die Gesetzgebung seit einigen Jahren, den achtstündigen Normalarbeitstag Zu einem allgemeinen Gesetz für alle Arbeiter durchzusetzen; die Unterhäuser haben die betreffenden Bills votiert, doch stießen sie in den Oberhäusern auf Widerstand.
Parallel mit der Thätigkeit des Staates geht die Wirksamkeit der Gewerkvereine, denen es gelang, die Einführung des achtstündigen Normalarbeitstag es in vielen Gewerben zu erzwingen, die vom Staate nicht geschützt sind. Diese Gewerkvereine haben ihre Organisation in dem Trades-Hall-Council, der es verstand, für die große Mehrzahl der ihm angehörenden Verbände die 48stündige Arbeitszeit pro Woche einzuführen, für Maurer, Steinmetzen und Zimmerleute sogar eine solche von 45 Stunden. Infolge dieserBestrebungen hatten bereits 1891 fast drei Viertel der gesamten arbeitenden Klassen in Melbourne den achtstündigen Normalarbeitstag, seitdem dürfte ihn ein noch größerer Teil errungen haben.
Neuerdings geht das Bestreben der austral. Arbeiter darauf hinaus, den achtstündigen Normalarbeitstag für ganz Australien einzuführen. Zu diesem Zwecke werden abwechselnd in den Hauptstädten der Kolonie internationale Kongresse der Trades Unions einberufen. Und da man glaubt, daß nur auf dem Wege der Föderation zum Ziel zu gelangen sei, so bereitet sich eine festgeschlossene Organisation der Arbeiter vor, die sich über ganz Australien erstrecken soll. Doch ist sehr zu bezweifeln, daß es durch eine solche, die ganze Arbeiterschaft umfassende Koalition gelingen sollte, zur Anerkennung des Achtstundentages zu gelangen, da die Arbeitsverhältnisse und die Arbeitsbedingungen in den verschiedenen Landesteilen zu verschieden sind.
Wo die Achtstundenbetriebe in Amerika und in England bestehen, ist man mit ihren Leistungen sehr zufrieden und behauptet namentlich, daß sich die Gewandtheit der Arbeiter hebe. Auch in Deutschland sind Versuche zu seiner Einbürgerung gemacht worden. (S. oben.) Nach engl. Erfahrungen, insbesondere in der chem. Fabrik der Firma Brunner, Moud & Cie., war sowohl ein vorzügliches ökonomisches Resultat: günstige Wirkung auf die Produktionskraft der Arbeiter, als auch ein erfreuliches sociales: vermehrter Fleiß und größere Regelmäßigkeit bei der Arbeit, wahrzunehmen. Dagegen wird behauptet, daß die Arbeiter eine offizielle Abkürzung der Arbeitszeit nur dazu benutzen würden und es bereits stellenweise thun, um über den Feierabend hinaus gegen höhere Bezahlung, oder überhaupt in Feierabendsbeschäftigung gegen Entgelt thätig zu sein. Der Arbeiter müsse zunächst ganz anders erzogen werden, wenn er bei seinem hochentwickelten Erwerbstrieb eine Gelegenheit, etwas verdienen zu können, unbenutzt lassen solle. Sicher ist, daß solche Bedenken es nahelegen, von einem plötzlichen Schritte der Gesetzgebung zu erheblicher Verkürzung der Arbeitszeit abzusehen. Wünschenswert bleibt es trotzdem, auf eine Einschränkung der heute in den meisten Fällen doch wohl im allgemeinen noch zu hohen Arbeitszeit hinzuwirken. Man kann sich daher nur sympathisch zu einem Dekret stellen, welches wie das des ital. Marineministers vom Febr. 1895 in allen seinem Ministerium unterstellten Militärwerkstätten den achtstündigen Arbeitstag einführt.
Sonntagsarbeit. Im Zusammenhange mit der Regelung der Arbeitszeit steht das Verbot der Beschäftigung von Arbeitern an Sonn- und Festtagen. Dieses ist für Deutschland erst durch die Novelle zur Gewerbeordnung von 1891 erfolgt. Bis dahin war den Arbeitern die Möglichkeit, an Sonn- und Festtagen auszuruhen, nicht genügend gesichert. Gegenwärtig aber dürfen die Unternehmer ihre Arbeiter nicht mehr zur Arbeit an diesen Tagen anhalten, es sei denn, daß das Gesetz ausnahmsweise die Thätigkeit zuläßt. Ausnahmen, die das Gesetz, den Bedürfnissen des praktischen Lebens Rechnung tragend, erwähnt, sind vierfacher Art. Es giebt 1) Ausnahmen, die ohne weiteres, 2) solche, die aus Grund einer bundesrätlichen Verordnung, 3) solche, die durch Verfügung einer höhern und 4) solche, die durch Verfügung der untern Verwaltungsbehörden gestattet sind. Die erstern sind im Gesetz (§. 105 c der Gewerbeordnung) namhaft gemacht; diejenigen der zweiten Gruppe zu fixieren, bedürfte es längerer Vorbereitung. Daher trat das Verbot der Sonntagsarbeit zunächst durch kaiserl. Verordnung vom 28. März 1892 nur für die Handelsgewerbe in Kraft, und erst die kaiserl. Verordnung vom 4. Febr. 1895 hat die Inkrafttretung der Bestimmungen auch in den andern Gewerben vom 1. April 1895 an verfügt. In einer vom Bundesrat ergangenen Bekanntmachung sind die Betriebe, in denen die Arbeit gestattet, und die Bedingungen, unter denen sie erlaubt ist, angegeben. Es steht den Landesgesetzgebungen frei, gleichviel aus welchem Grunde, noch weiter gehende Beschränkungen zur