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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Französische Litteratur
3174 km. Auf den Strecken der Gesellschaften wur- !
den 1895 rund 308 Mill. Reisende befördert. -
Vgl. R. von Kaufmann, Die Eiscubahnpolitik Frank-
reichs (2 Bde., Stuttg. 1896).
^Französische Litteratur. Poesie und Prosa
baben in den I. 1892 - 96 erhebliche Einbußen er-
litten durch den Tod von Dichtern und Denkern,
Forschern und Erzählern, wie Renan, Taine, Pasteur,
Leconte de Lisle, Guy de Vtaupassaut, Dumas
Sohn. Der Nachwuchs wandelt fast durchaus andere
Wege als die von solchen Meistern vorgezeichneten.
Ihr Zeitalter des Positivismus, ihr Geschlecht
strenger vorurteilsloser Kritik der religiösen Über- !
lieferung, des gesellschaftlichen Herkommens und der >
geschichtlichen legende wird abgelöst durch die Wort- !
führer des "Bankrottes der Wissenschaft" und des
wieder belebten Napoleonkultus; Neukatdoliten und
Neuromautikcr, Dccadenten und Symbolisten ver-
suchen es, die Naturalisten, Skeptiker und Dilettan- ^
tcn zu verdrängen. Der Lieblingsjünger Taiues, !
Paul Vourgct, kehrt sich in seinen letzten Romanen ^
"1^6 äiscipiL", "(^0^in0p0ii8)) u. s. w. unumwunden ^
gegen die fatalistischen und materialistischen Lehren !
seines Iugcndideals. Ernest 3tenan wird nicht nur z
von bedeutenden kath. Autoren, wie dem Vicomte ^
E. M. de Vogüe, sondern auch von den Vertretern !
der akademischen Kreise (Söailles, "I^i'n68t Iv6n:in. !
688^i 66 dioFrapIiie Z)8^cli0l0^i<^i6", 1891) wohl
als außerordentlicher Stilist gerühmt, als Philo-
soph und Gelehrter dagegen fast vollkommen preis-
gegeben; die führende Zeitschrift des franz. Gcistes-
adels, die "Revn6 ä68 Dsnx ^I0nä68", endlich ließ
durch den Mund ihres gegenwärtigen Heraus- z
geders, Ferdina:id Vrunetiere, nach dessen Audienz !
beim Papst Leo XIII. die Streitfragen zwischen
Wissen und Glauben in dem zeither auch als Flug-
schrift ausgegebenen Aufsatz "I^a äcience et I<^ reli- !
xion" (1895) zu Uugunsten der freien Forfchung
entscheiden. Immer größer wird das Lager der
Kunstkatholiken. Alphonse Daudet schwenkt in sei-
nem Roman "I^H P6tit6 plH'01886)) (1895) zu den
Kirchlichen ab. Jules Lemaitre, als Fcuilletonist
und Moralist in seiner ironischen Milde und feinen
Form sonst ein bewußter Jünger Renans, spielt ^
bald mit gläubiger Empfindsamkeit, bald mit koketter ^
Freigeisterei. Am uuabhängigsten behauptet sich
unter den Jüngern bisher Anatolc France, zur Zeit z
der größte Sprachkünstler Frankreichs, in sanftem
Ton ein verwegener Spötter; als Kritiker und Mo-
ralist, als Novellist und Romancier unbefangen an
die Dinge herantretend, ebenso daheim im heidn.
Altertum und in der alexandrinischen Übergangs-
zeit, wie in der madcrnsten Pariser Gesellschaft,
ebenso vertraut mit der heutigen Gelehrtenwelt wie !
bewandert in der gesinnungslosen Schmarotzerwcis-
heit der bettelhaften Abbe's des 18.Iabrh. <"IW'i8",
1890; "1^ i'öti886ri<3 ci6 1^ i'6iii6 I^^ciim^nL" und
"1^68 0pini0N8 äs ^1^.^61-01116 <üc"i^n^i'<^>, 1893-91;
"1^6 1)^8 I-0NZ6", 1891; "1^6 Mräin ä'1^)1cui'6" und
"1^6 puit8 ä6 8aint6-^1aii'6", 1895; "1^ V16 1itt6-
r^ii-6", 4 Bde., 1888 fg.). Zola endlich, stets auf
Massenwirkungen ansgehend, folgte dem Zug der
Zeit, indem er die Weltmacht des Katbolicismus in
ihrem Widerstand gegen die Freidenker und Social-
demokratie in einem neuen, dreibändigen Cyklus
"1^68 ti-013 vi1i68" zu schildern unternahm. 1891 er- !
schien von ihm "I^ourä^", eine farbenreiche, breite
Ausmalung der Wallfahrten nach diesem Hauptort ,
des modernen Wunderglaubens; 1896 "Koni6", eine !
Charakteristik der heutigen Zustände in der Ewigen
Stadt, der Wirren in der geistlichen Welt, der wirt-
schaftlichen Nöte in der Kapitale des geeinten Ita-
liens, der unüberbrückbaren Gegensätze zwischen den
ckristlich-socialcn Verkündcrn einer neuen und den
orthodoxen Anhängern der alten papalen Welt-
ordnung. Alles Für und Wider dieser religiösen
Johannistriebe soll im Schluhbande "?ari8" in
der Abrechnung zwischen Anarchisten und Priester-
tum zum Austrag gebracht werden. Selbständige
Köpfe uuter den neuern Kritikern, Rene' Doumic
und Gaston Dcschamps, stehen dieser schwächlichen
Wiederholung des großen Kampfes zwischen den
Anhängern Voltaires und den Aposteln Chateau-
briands recht kühl gegenüber. Alle Beflissenheit der
heutigen Boudoirkatholiken täuscht den unbefange-
nen Beobachter nicht über die Scichtigkeit der gan-
zen Bewegung. Ratlos suchen die Jüngsten nach
unbekannten Schlagworten, nach ausländischen
Mustern; der Mysticismus Tolstojs, die Sagen-
welt Richard Wagners, die Symbolik Ibsens hat
in Frankreich einen lärmenden Modeerfolg ge-
babt, dessen Berechtigung auch von Jules Lemaitre
l"1.68 ^ont6mii0i^in8", 6. Serie, 1896: "v6 1'w-
NN6NC6 I'b(^nt6 ä68 1itt6ratni'63 (w noräu) stark
augefochten wurde, als dem Geuius seiner Lands-
mannschaft widerstreitend. Der jähen Begeisterung
für die auf das Urevangelium zurückgreifenden
Nufsen und deren individualistische Kontrastfiguren
Ibfen und Nietzsche ist neuerdings ein Rückschlag zu
Ehren einer "lat. Renaissance" gefolgt. Kein Wun-
der, daß Doumic fo lauuischen Wandlungen gegen-
über ehrlich bekennt: "Niemals waren die litterar.
Werke vergänglicher, niemals die Theorien rasch-
lebiger, bunter, gehässiger, widerspruchsvoller, als
heutzutage. Wir stehen in voller Anarchie." Der
verstockteste Dogmatiker ist infolgedessen außer
stände, das Vorherrschen einer bestimmten Richtung,
sichere Fühlung mit dem Volke, entwickelten Formcn-
sinn wahrzuuehmen. Alles Reden über die neuen
Ausgaben einer kommenden Kunst vermag den
Mangel siegreicher, neuer schöpferifchcr Kräfte nicht
zu verbergen. "Eine rastlose Generation", sagt Rene
Doumic ("1^68 .i6un68. I^tu(i68 6t i)oi'ti'Hit8", Par.
1896), "unablässig auf der Jagd nach einem vergeb-
lich gesuchten Ideal; eine geistig sehr begabte, künst-
lerisch aber sehr wenig veranlagte Generation scheint
das Geschlecht der Neuesten zu sein."
In der Lyrik hat der seither zum Akademiker
gewählte Jose-Maria de Heredia als Testaments-
vollstrecker der rcgelstrengen Schule der Parnassiens
mit der Sammlung "1^68 ti-op1i668" (1893) großen
Erfolg bei Kennern undFreundenvirtuos beherrfchter
Kunstform gehabt. Das Herz der Jugend fiel an-
dern Vorbildern zu; als Liebling des Nachwuchses
gelten der 1896 nach einem abenteuerlich bewegten
Zigeunerleben gestorbene Paul Verlaine ("?0Liu68
8iNn!'liiLN8", 1890 u. s. w.) und Maltar-ms ("V6I-8
6t PVO86", 1893). Unter ihren Nacheiferern sind zu
nennen: Henri de Regnier ("^pi80ä68", 1888;
"3tt68", 1887), F. Viele" - Grifsin ("1^68 0^1168",
1887; "La c1l6vaucN66 ä'^6iäi8", 1892 u. s. w.);
sie nebmcn Anläufe zu eiuer musikalisch gearteten,
ans Traumpbantasien erwachsenden, zum Sinnbild
greifenden Dichtung, die freie Rhythmen an die
Stelle starren Strophen- und Versbaues setzen will.
Solcben Bestrebungen verwandt gelten auch (in
andern Kunstformen sich versuchende) aus Belgien
stammende Schöpfungen von Maeterlinck ("Iruis
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