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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Gefängnishygieine
Schädigung von Gesundheit und Leben erfährt; es
müssen vielmehr die Principien der öffentlichen Ge-
sundheitspflege, soweit dies mit dem sonstigen not-
wendigen Charakter der Strafanstalten irgend ver-
einbar ist, bei deren Anlage und Betrieb zur An-
wendung gelangen. Gerade auf diesem Gebiete, auf
dem früher in sanitärer Beziehung wahrhaft un-
glaubliche Verhältnisse herrschten, hat die moderne
Hygieine grohe Erfolge gezeitigt. Die G. gehört
wie die Schulhygieine, die Hygieine der Hospitäler
und Fabriken u's. w. in die Hygieinen der öffent-
lichen Anstalten und bietet mit den obengenannten
andern Zweigen derselben viele Berührungspunkte;
daneben bedingt aber der besondere Charakter ihre^
Substrates als Etrafaustalt ein ganz eigenartiges
Gepräge. Insbesondere kann natürlich nicht ver-
langt werden, das; im Interesse einer falsch ver-
standenen Humanität die Lebensverhältnisse in den
Gefängnissen eine zu weit gehende Begünstigung er-
fahren; ein knappes, physiologisch begründetes
Existenzminimum aber muß unter allen Umständen
von der Gesellschaft, die hier die Fürsorge für den
eigener Lebensführung und Freiheit beraubten
Strafgefangenen übernommen hat, gewährt werden,
selbst wenn in unbemittelten Kreisen der freien Be-
völkerung hier und da die Lebeushaltung hinter
diesen Mindestforderungen zurückbleibt und auf die
Gefahr hin, daß dadurch das Gefängnis für manche
Elemente als Versorgungsanstalt erscheinen könnte.
Bei der G. kommen hauptsächlich folgende Punkte
in Betracht. Bei der Auswahl des Baugrundes
sind alle sonst für Bauten geltenden Vorschriften zu
beachten, insbesondere feuchtes Terrain, die Nach-
barschaft von Morästen und stagnierenden Gewässern
der Malariagefahr wegen zu vermeiden; im Innern
der Gebäude ist auf möglichste Trockenheit zu achten,
da Feuchtigkeit der Wände bei den ohnehin expo-
nierten Strafgefangenen durch Erkältungskrank-
heiten verhängnisvoll werden kann. Die Gebäude
sind daher möglichst so anzulegen, daß jeder Teil
derselben reichlich durch die Sonne beschienen und
erwärmt wird; in unsern Breiten eignet sich hierfür
am besten die Hauptrichtung Nordost-Südwest; ost-
westl. Richtung ist ganz uugünstig, weil hierbei in
Erwärmung und Austrocknung ein krasser Gegensatz
zwischen Süd- und Nordseite entsteht. Im übrigen
richtet sich der Bauplan wesentlich nach dem gewähl-
ten System des Gefängniswesens (s. d., Bd. 7); bei
der heute meist angewandten Kombination voll Iso-
lier- und Gemeinschaftshaft sind die Gebäude ge-
wöhnlich in mehrern radiär von einer centralen Be-
obachtungsstation ausgehenden Flügeln angelegt,
in denen die Einzelzcllen untergebracht sind, und
daneben noch für gemeinsame Arbeits- und event.
Schlafräumc Sorge getragen. Die Größe einer
Einzclzelle muß, sofern dieselbe zu dauernden!
Aufenthalt bei Tag und Nacht dienen foll, minde-
stens 25-28 ewn betragen; dient die Zelle nur zum
Schlafen, so ist schon die Hälfte der angegebenen
Größe ausreichend; ebenso kann in großen gemein-
schaftlichen Arbcitsrüumen, in denen eine ausgie-
bige Ventilation möglich ist, der Luftkubus etwa
nur 12 cdm betragen. Als gemeinschaftliche Arbeits-
räume empfehlen sich sehr einstöckige, auf dem Ge-
fängnishofe angelegte Baracken mit Oberlicht; im
Sommer können diese bei guter Witterung mit
eisernen Gitterthüren verschlossen und so einer aus-
giebigen Lüftung zugänglich gemacht werden. Das
2icht ist in seiner wohlthätigen Einwirkung auf den
Gesamtorganismus, in seinem belebenden Einfluß
auf den Stoffwcchfel ein wahres und notwendiges
Lebensclement und darf daher den Sträflingen nicht
vorenthalten werden; jede Einzelzelle muß ein Fen-
ster besitzen, das nach dem Strafvollzugsgesetzent-
wurf für das Deutsche Neich mindestes 1 c^m Fläche
haben muß; sehr empfehlenswert ist die Einrichtung
der Fenster in Plötzensee, wo die Luftzufuhr nicht
durch eiserne Traillcn vor den Fenstern behindert
wird, sondern die Fensterstäbe selbst aus Eiscn-
stangcn bestehen, die seitwärts ins Mauerwerk ein-
gelassen sind; einzelne Flügel des Fensters können
behufs Luftzufuhr vom Gefangenen felbst geöffnet
werden. Im übrigen wird die Ventilation in
mehrern Anstalten zweckmäßig durch die aspirierende
Wirknng des Schornsteins, aus den zur Ausnutzung
der saugenden Kraft des Windes Destektoren auf-
gesetzt sind, ausgeübt; durch passende Anlage von
Gasflammen oder eines kleinen Lockofcns kann die
afpirierendc Wirkung bedeutend verstärk: werden.
Außerdem gilt es vor allem, der Wirkung der Ven-
tilation durch peinlichste Sauberkeit und Verhütung
jeder Ansammlung von Unrat entgegenzukommen.
Die Heizung ist in einem Gefängnis mit zahl-
reichen Einzclzellen zweckmäßig ccntral; Luftheizung
scheint sich hierfür bei der Schwierigkeit, die erwärmte
Luft anf weitere Strecken horizontal fortzuleiten,
wenig zu eignen und vermag häufig eine gleich-
mäßige Erwärmung aller Räume nicht zu leisten;
dagegen ist Warmwasserheizung sehr empfehlens-
wert. Größere Arbeitsräume können auch mit Ofen,
am besten mit eisernen Mantelregulierfüllöfen, ge-
heizt werden. Für die Nachtruhe muh jedem Gc-
fangenen ein eigenes Bett gewährt werden; die Bett-
stelle ist zum Schutz gegen Ungeziefer am besten aus
Eisen, dazu wird eine Matratze mit Scegrasfül-
lung und eine oder mehrere wollene Decken verab-
folgt. Das früher übliche dauernde Schlafen auf
der Pritfche ist absolut zu verwerfen, weil es bei
ungenügender Bedeckung auch leicht Störungen in
der Wärmeökonomie des Körpers hervorruft; die
Pritsche kann daher nur als gelegentliches Straf-
mittel dienen. Bei Benutzung gemeinsamer Schlaf-
säle ist eine vollständige Abtrennung der einzelnen
Schlafstellen voneinander durch Drahtgitler wün-
schenswert, um abnormen geschlechtlichen Ausschwei-
fungen vorzubeugen; daß eine absolute Trennung
beider Geschlechter in verschiedene Näume stattfinden
muß und überall durchgeführt ist, bedarf wohl kaum
der Erwähnung. Zur Regelung der Hautpflege
find Bäder, mindestens alle vier Wochen einmal, zu
verabreichen; diefelben können auch sehr zweckmäßig
als Brausebäder eingerichtet sein. Jedem Gefangenen
sind außerdem regelmäßige Spaziergänge,
täglich ein- bis zweimal, in frifcher Luft zu gewäh-
ren; die Einzelhaft kann dabei durch Benutzung
radiär angelegter Einzelspazierhöfe völlig gewahrt
bleiben. Auch die Einführung des Turnens sowie
häufige Vefchä'ftigung im Freien auf einem der
Strafanstalt eigens hierzu zur Verfügung stehenden
Terrain, ähnlich wie bei Irrenanstalten, ist sehr zu
befürworten. Die Kleidung der Gefangenen sei
zwar einfach, aber zweckmäßig, und gewähre aus-
reichenden Schutz gegen die Witterung; kränklichen
Leuten, die an das dauernde Tragen warmer Unter-
kleider gewöhnt sind, belasse man diese; überhaupt
ist jede forcierte Abhärtung bei den häufig sehr redu-
zierten und infolge der knappen Kost Ermattungs-
erscheinungen zeigenden Gefangenen zu vermeiden.