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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Indische Religionen

Die Religionen der Nichtarier sind ihrem Charakter nach Fetischismus und Totemismus. Sieht man von den tibetan. Stämmen im Norden ab, so zerfallen die Nichtarier in die zwei Klassen der Draviden und Kolarier. Die kultivierten Stämme der Draviden bekennen sich äußerlich zum Brahmanismus; zahlreich sind im Dekan auch die Anhänger der Dschainsekte der Digambarā. Das Volk huldigt aber auch hier dem Fetischismus, und zwar steht im Dekan die Verehrung böser Geister, der Bhūta (s. d., Bd. 2), im Vordergrunde. Von den unkultivierten Stämmen haben eine eigenartige Religion besonders die Tōda (s. d., Bd. 15), die Gond (s. d., Bd. 8) und die Khond (s. Kondh); von den beiden letzten steht es aber noch nicht fest, ob sie nicht vielmehr zu den Kolariern gehören. Bei den Stämmen der Gond, die sich nicht mit den Hindu vermischt haben, waren früher Menschenopfer allgemein; jetzt sind Strohpuppen an die Stelle der Menschen getreten, doch sollen einzelne Stämme nicht nur Fremde noch opfern, die in ihre Hände fallen, sondern auch ihre bejahrten Freunde und Verwandten zerstückeln und verzehren. Die wilden Gond, um die es sich hier allein handelt, zerfallen in Sekten je nach der Zahl der Götter, die sie verehren. Manche verehren nur 2-3, andere bis zu 7, und danach sind auch ihre Verheiratungen untereinander geregelt. Wie bei allen Stämmen, die man als norddravidische bezeichnet hat (s. Indische Ethnographie), ist auch bei den Gond hoch verehrt Dulhadeo, den sie mit Pharsipen, dem Kriegsgott, identifizieren. Die Legende erzählt von Dulhadeo, daß er ein Mensch war, der als Bräutigam auf dem Wege, seine Braut zur Hochzeit abzuholen, vom Blitze erschlagen und samt seinem Pferde in Stein verwandelt wurde. In den einheimischen Staaten von Rewa und Sargudscha verehren ihn sogar Brahmanen; sein Symbol ist dort eine in einen Baum eingeschlagene Streitaxt. In Mirsapur ist er vorwiegend Gott der Ehe, und in der Zeit, wo die Ehen geschlossen werden, werden ihm im Hause Opfer dargebracht, was nicht der Priester thut, sondern der älteste Sohn. Unter zahlreichen andern Göttern sind besonders merkwürdig Kodapen, der Pferdegott, und Ghagarapen, der Glockengott. Kodapen wird bei Beginn der Regenzeit in Gestalt eines Steins außerhalb des Dorfes verehrt. Man weiht ihm das Thonbild eines Pferdes und eine Färse, und bittet ihn, die Rinder zu beschützen und die Menschen in Sicherheit leben zu lassen. Die Färse wird dann geschlachtet und das Fleisch gegessen. Das Kuhopfer ist bei den Gond ein wesentlicher Bestandteil des Gottesdienstes. Eine Kuh wird auch bei Begräbnissen geschlachtet und ihr Schwanz als Zeichen dafür aufgehängt, daß alle Ceremonien richtig beobachtet worden sind. Die Gond treten dadurch in schroffen Gegensatz zu den Hindu, denen die Kuh ein heiliges Tier ist, dessen Tötung für eins der schwersten Verbrechen gilt. Die Glocke gilt in ganz Indien als das wirksamste Mittel, um böse Geister zu verscheuchen. Die Gond haben sie zu einem Gotte erhoben, und ihre Priester tragen stets Glocken. Als Gott verehren die Glocke auch die Tōda, und zwar die Glocke, die den Büffeln umgehangen wird. Vor ihr werden die in Milch bestehenden Opfergaben ausgegossen und die Gebete verrichtet. Weite Verehrung bei arischen und nichtarischen Stämmen genießt Baghēsar oder Baghēshvar, der Tigergott, was sein Name besagt. Bei den Hochzeiten der Gond treten zwei von Baghēsar Besessene auf, die einen meckernden jungen Bock mit den Zähnen zerfleischen. In Tschatisgarh, im südöstl. Teile der Centralprovinzen, ist der große Gott Buṛhapen oder Buṛhadeo, den auch die brahmanisierten Gond noch verehren. Andere Stämme der Gond verehren die Schlangen, andere den Hund als heilig. Bei den Kondh waren früher der hervorstechendste Zug ihrer Religion die Menschenopfer, die sie der Erde darbrachten, von der sie glaubten, daß sie durch Menschenblut besonders fruchtbar werde. Die Opfer mußten gekauft werden; nur gekaufte galten als der Göttin genehm. Meist waren es so Fremde, die man schlachtete, aber in schlechten Zeiten verkauften die Kondh auch ihre eigenen Kinder als Schlachtopfer. Die zum Tode Bestimmten wurden vorher lange gut gepflegt, und man hielt sie zur Fortpflanzung an, weil die Kinder wieder zu Opfern genommen wurden. Das Opferfest dauerte drei Tage, während deren Orgien aller Art gefeiert wurden. Das Opfer, das man sorgfältig vorbereitete, wurde in grausamster Weise hingeschlachtet; damit es nicht entfliehe, wurden ihm vorher Arme und Beine gebrochen, oder es wurde mit Opium betäubt. Männer und Frauen jedes Alters wurden als Opfer genommen. Auch Totemismus findet sich bei ihnen; einige Stämme haben als Totem den Leopard, andere den Pfau. Weit verbreitet ist Totemismus bei den Orāon. Man findet bei ihnen Stämme, die sich nach jungen Mäusen, Schildkröten, Schweinen, Tigern, Krähen, Aalen, bestimmten Bäumen u. s. w. nennen und denen diese Tiere und Bäume für heilig gelten. Die Orāon verehren, wie auch viele kolarische Stämme, die Sonne und die Erde, der sie im Frühling ein großes Fest feiern: "die Vermählung der Erde". Die Gottheit des Salbaumes (Shorea robusta Roxb.), die über den Regen gebietet, wird mit einem Opfer aus Hühnern befriedigt. Blüten des Sals werden ins Dorf mitgenommen und in einem Korbe von Haus zu Haus getragen. Die Frauen waschen die Füße des Priesters und bringen ihm ihre Verehrung dar. Er tanzt mit ihnen und legt auf sie und das Haus einige Blumen. Sie übergießen ihn erst mit Wasser, was als Mittel für den Regen gilt, und bewirten ihn dann mit Bier. Die östl. Orāon haben viel aus der Religion der Kolh übernommen, an die sie grenzen. Alle Orāon glauben an unzählige böse Geister, deren Beschwichtigung Aufgabe des Priesters ist. Ihnen eigen ist der Gott Darha, der in Gestalt einer Pflugschar verehrt wird, die auf seinen Altar gestellt wird.

Unter den Kolariern ist uns am besten bekannt der östl. Zweig, die Kolh. Von dem Stamme der Mūndāri oder Mūnda-Kolh hat der Missionar Jellinghaus eine eingehende Schilderung gegeben (Zeitschrift für Ethnologie, Bd. 3, S. 326 fg.). Die Mūndāri verehren und fürchten eine Unzahl von Geistern, Bonga genannt, an deren Spitze Singbonga steht, den sie als Schöpfer von Erde und Sonne ansehen. In jedem Dorfe ist ein Opferpriester (Pāhan) angestellt und ein kleiner Wald als heilige Opferstätte abgesondert, der früher als unverletzlich galt, jetzt nicht mehr so ängstlich geschont wird. Das Amt des Pāhan ist ebenso wie das des Mūnda (Schulzen) in bestimmten Familien erblich; der Sohn folgt dem Vater im Amte. Legt er es aus irgend einem Grunde nieder, so wird ein neuer unter eigentümlichen Gebräuchen gesucht. Man legt etwas Reis in eine Getreideschwinge, und die magische Kraft derselben zieht die Person, die sie trägt, zu dem