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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Kinderehe - Kinetoskop

Kinderehe. Der allgemeine, überall zum Durchbruch gelangende Zweck der K. ist die Festigung der Familienbeziehungen in eine möglichst weite Zukunft hinein. Entweder werden nun unmündige Kinder miteinander verlobt, ja selbst vor ihrer Geburt, oder es wird ein derartiges Band zwischen erwachsenen Mädchen und Knaben oder umgekehrt geknüpft, so daß während der Zwischenzeit ein anderer Mann die Stelle des eigentlichen Gatten vertritt; die etwaigen Kinder gelten dann als Abkömmlinge des quasi Vaters, jenes Knaben. Diese frühen Verlobungen, die namentlich unter guten Freunden gern abgeschlossen werden, erscheinen oft im Lichte eines legalen Brautkaufs; es wird die betreffende Braut gegen eine entsprechende Kaufsumme an die Eltern des Bräutigams verhandelt. Polit. Rücksichten, Standesvorurteile und ähnliche Motive sind dabei auch im Spiel; so werden bei manchen Stämmen an der westafrik. Küste kleine Kinder mit alten Männern verheiratet. Bei vielen türk. Völkern Centralasiens werden solche Verlobungen von den Eltern des etwaigen Brautpaares im sechsten oder achten Jahre geschlossen, der Vater des zukünftigen Bräutigams wirbt offiziell um seine Schwiegertochter, und unter religiösen Ceremonien wird die Verschwägerung begründet; die Rechte und Pflichten der Blutsverwandtschaft treten mit allen Konsequenzen ein. Werden die Geschenke, die der Bräutigam seinen Schwiegereltern macht, angenommen, so gilt die Verlobung als unverbrüchlich. Während bisweilen ein solches durch die Verlobung erzeugtes Verhältnis schon als ein eheliches angesehen wird und die kindlichen Ehegatten in der That auch zusammen leben (so bei den Alfuren in Indonesien), bleibt meist der unmündige Teil bis zum Eintritt der Geschlechtsreife im Elternhause. Das verlobte Mädchen ist für andere unberührbar oder, um polynesisch zu sprechen, tabu, worauf auch wohl die Eltern der Braut zu achten haben. Wird der ursprüngliche Kontrakt von einem der Beteiligten gebrochen, so tritt eine Buße ein, vielfach gilt aber erwiesene Untreue des Mädchens als rechtmäßiger Grund für die Lösung des Verhältnisses, so in Neuguinea bei den Nuforesen, wo dann die verletzte Partei berechtigt ist, die bezahlte Kaufsumme zurückzuverlangen, so in Liberia in Westafrika. Der Verkehr zwischen den Verlobten ist meist erheblichen Beschränkungen unterworfen; so darf bei den Alfuren auf Buru der Verlobte eines Kindes bei einer starken Busse nicht mit demselben verkehren, oder sie dürfen sich überhaupt nicht sehen, und treffen sie sich zufällig, so muß sich die Braut so lange verbergen, bis der Bräutigam vorüber ist (so auf Neuguinea), während wieder umgekehrt anderwärts der Verkehr völlig frei ist und sich der Verlobte wochenlang im schwiegerelterlichen Zause aufhält. Von manchen leiten wurde die Sitte als mit einer hypothetisch angenommenen ursprünglichen Gruppenehe (s. Familie) zusammenhängend angenommen, von anderer Seite hat man sie nur als Zersetzungsprodukt und Rückschlagsbildung aufgefaßt. Jedenfalls sind die K. aber ein Kennzeichen der primitiven Geschlechtsgenossenschaft, bei aufkommender staatlicher Organisation werden sie geradezu verboten (so in China). Die Unmündigkeit als solche bildet schon ein Ehehindernis. Das gilt jedoch nicht für Indien. Von ältester Zeit an herrscht dort die Anschauung, daß der Vater eine Sünde begeht, wenn er eine mannbare Tochter noch unverheiratet im Hause hat. Er geht dadurch des Brautpreises verlustig und des Rechtes, über die Tochter zu bestimmen, die sich ihren Gatten dann selbst wählen, ja, ungestraft geraubt werden durfte. Deswegen suchte man schon sehr früh eine Verbindung abzuschließen, die mit den Auffassungen der Kaste übereinstimmte und möglichst vorteilhaft war. Auch glaubte man so am besten für die Tugend der Tochter zu sorgen. Die Gesetzbücher geben als obere Grenze, bis zu der ein Mädchen verheiratet sein soll, das Alter von 7 bis 12 Jahren, als untere das von 4 bis 7 an. Bis zum Eintritt der Pubertät bleibt das Mädchen auch als Braut oder Frau im Hause der Eltern; erst dann wird sie dem Bräutigam zugeführt und es findet dann die zweite Hochzeit statt, die bis auf den heutigen Tag in vielen Teilen Indiens den alten Namen garbhādhāna ("Befruchtung") führt. Die K. ist im heutigen Indien außerordentlich verbreitet. In den Nordwestprovinzen und Oudh werden die Mädchen zuweilen gleich nach ihrer Geburt verheiratet; von je 10000 im Alter von 0 bis 4 J. waren nach dem Census von 1891 verheiratet 63, im Alter von 5 bis 9 J. 999, im Alter von 10 bis 14 fast neun Zehntel aller Mädchen. In einzelnen Distrikten der Centralprovinzen sind 10 bis 12 Proz. der Mädchen unter 10 Jahren verheiratet, in Bombay im Alter von 0 bis 9 J. 1130, im Alter von 10 bis 14 J. 6064. Auch die Männer heiraten sehr früh. In den Nordwestprovinzen waren 1891 von 10000 Knaben im Alter von 5 bis 9 J. 433 verheiratet, im Alter von 10 bis 14 nahezu die Hälfte. Besonders häufig ist die K. bei den brahmanischen Indiern; von ihnen aus hat sie sich aber auch zu den Mohammedanern verbreitet, während sie bei den drāvidischen Stämmen im Süden Indiens verhältnismäßig selten ist. - Vgl. Jolly, Grundriß der indo-arischen Philologie und Altertumskunde 2, 8, §. 17 (Straßb. 1896); Post, Studien zur Entwicklungsgeschichte des Familienrechts (Oldenb. 1889); ders., Afrik. Jurisprudenz, Bd. 1 (ebd. 1887); ders., Grundriß der ethnolog. Jurisprudenz, Bd. 1 (ebd. 1894).

Kindermehl, Kindermilch (Backhaussche), s. Auffütterung der Kinder.

Kinematogrāph (grch.), eine Variante des Edisonschen Kinetoskops (s. d.), ist von A. und L. Lumière konstruiert worden. Während das Kinetoskop nur einen Beobachter gestattet, hat der K. den Zweck, die lebenden Bilder einer ganzen Versammlung von Personen zu gleicher Zeit vorzuführen, und zwar durch Projektion der Bilder auf einen Schirm. Mittels des K. lassen sich von irgend einer bewegten Scene 900 photogr. Aufnahmen in einer Minute herstellen, also 15 in der Sekunde; von diesen negativen Bildern werden wie für das Kinetoskop auf einem langen Celluloidbande positive durchsichtige Bilder gefertigt und diese dann mit dem nämlichen Apparat aus eine Wand projiziert. Hier erscheinen in der kurzen Zeit von einer Minute diese 900 Bilder wieder schnell hintereinander und so, daß ein Bild das andere rasch deckt. Es können mittels des K. lebende Bilder bis zur natürlichen Größe gezeigt werden.

Kinetogrāph (grch.), s. Kinetoskop.

Kinetoskōp (grch.), ein von Edison erfundener Apparat, der ähnlich dem Stroboskop (s. d., Bd. 15) und Anschützschen Schnellseher bildlich Gegenstände in Bewegung vorführt. Der Apparat besteht aus einer geschlossenen Kamera, oben mit einer Schauspalte für die Augen; innen läuft über Rollen ein etwa 10 m langes Band mit photogr. Serien-^[folgende Seite]