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Brockhaus Konversationslexikon

Autorenkollektiv, F. A. Brockhaus in Leipzig, Berlin und Wien, 14. Auflage, 1894-1896

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Motorwagen

Als Motoren für M. dienen gegenwärtig der Dampfmotor, der Petroleummotor und der Elektromotor. Der Dampfmotor ist der älteste hier in Betracht kommende Motor. Der erste Versuch zu einem Dampfwagen war Cugnots Dampfwagen aus dem J. 1769 (s. Lokomotiven, Bd. 11, und Tafel: Lokomotiven I, Fig. 1). Die spätern als Straßenlokomotive (s. d., Bd. 15) bezeichneten Ausführungen konnten sich als Mittel für Personenbeförderung nicht halten, zumal da der freie Dampfwagenverkehr wegen der Explosionsgefahr des Dampfkessels behördlicherseits untersagt wurde. Erst als Serpollet einen gefahrlosen Kessel konstruierte und 1890 mit demselben einen Dampfwagen ausrüstete, gewannen die Dampfkutschen oder Dampfdroschken eine praktisch anwendbare Gestalt. Der Kessel der Serpolletschen Dampfkutsche (s. Tafel: Motorwagen, Fig. 1) ist so konstruiert, daß jeweilig nur soviel Dampf produziert wird, als für einen Kolbenhub nötig ist, und daß ein unter Admissionsdruck und -Temperatur stehendes, also explodierbares Wasserquantum gänzlich vermieden ist.

Als Hauptförderer der Petroleummotorwagen ist Daimler in Cannstatt zu bezeichnen, welcher 1885 mit dem ersten brauchbaren Petroleummotorwagen an die Öffentlichkeit trat. Schon 1883 war ihm der für diese M. konstruierte eigenartige Motor patentiert worden (s. unten). Seitdem stieg auch das öffentliche Interesse für M. und kam in jüngster Zeit dadurch zum Ausdruck, daß man internationale Wettfahrten mit M. veranstaltete, so in Paris im Juli 1894 (Distanz Paris-Rouen); in Turin im Mai 1895 (Distanz Turin-Asti); in Paris im Juli 1895 (Distanz Paris-Bordeaux); Paris vom 24. Sept. bis 3. Okt. 1896 (Distanz Paris-Marseille und zurück). Auf allen vier Wettfahrten erhielten die Daimlerschen Konstruktionen die ersten Preise. Die Strecke der letzten Fahrt (1728 km) wurde in 67 Stunden 42 Min. zurückgelegt. Außer von der Daimler-Motorengesellschaft in Cannstatt werden die Daimlerschen M. noch von folgenden Firmen ausgeführt: Panhard & Levassor in Paris, die Daimler Motor Company in Long-Island bei Neuyork, Daimler Motor Syndicate in London, D. Federmann in Turin; Deurer & Kaufmann in Hamburg. Als Beispiel eines Petroleummotorwagens sei die neueste Konstruktion einer Cannstatter Petroleummotorkutsche beschrieben (s. Fig. 2 der Tafel). Das Bemerkenswerte der Daimlerschen M. ist vor allen Dingen der Motor selbst. Bei demselben geschieht die Zündung selbstthätig an einer heißen Stelle der Wandung, wodurch alle Teile der sonst gesteuerten Zündung fortfallen: deshalb ist der Motor sehr widerstandsfähig gegen Erschütterungen und daher weniger reparaturbedürftig als die andern mit gesteuerter Zündung arbeitenden Motoren; auch eine größere Tourenzahl und damit kompendiöserer Bau ist durch die Selbstzündung erzielt. Diese Vorzüge des Daimlermotors sind, wie das Ergebnis aller Wettfahrten beweist, seither unübertroffen. Die neueste Type "Phönix" dieses Motors hat noch die bemerkenswerte Eigenschaft, daß sich der Petroleumverbrauch selbstthätig dem Kraftbedarf anpaßt, wodurch die Garantie für einen billigen Betrieb geboten wird. Der Motor hängt elastisch am hintern Wagenteil, so daß eine Übertragung der Massenbewegungen des Motors auf das Wagsngestell fast gänzlich vermieden ist. Vom Motor wird die Bewegung durch

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einen Riementtieb auf ein Vorgelege und von da durch Zahnräder auf die Triebräder des Wagens übertragen. Ein Riemenwechselgetriebe dient dazu, dem Wagen vier verschiedene Geschwindigkeiten zu geben. Die Kraftübertragung durch Riemen, die auch Lutzmann in Dessau anwendet, hat gegenüber dem bei andern M. angewendeten Kettentrieb den Vorteil der Geräuschlosigkeit und des stoßfreien Anfahrens. Die vier Geschwindigkeiten bewegen sich in den Grenzen zwischen 5 und 25 km pro Stunde, und es können Steigungen bis 15 Proz. genommen werden. Der Petroleumvorrat reicht für eine Fahrt von 200 km. Die Vorbereitungen zu einer Fahrt dauern 1-2 Minuten. Die Kosten eines zweisitzigen Wagens mit zwei- bez. dreipferdigem Motor betragen 3800 bez. 4200 M.; ein viersitziger Wagen mit vierpferdigem Motor kostet 4600 bez. 5000 M. Ein Daimlerwagen braucht pro Pferdekraft und Stunde etwa 1/2 kg Benzin (12 bis 18 Pf.). Die Zahl der mit dem Daimlerschen Motor ausgerüsteten M. beträgt etwa 350. Andere deutsche Firmen, welche Petroleummotorwagen bauen, sind: Benz & Co. in Mannheim, welche 1886 den ersten und 1896 den 700sten Wagen fertigten; Lutzmann in Dessau, der 20 Stück baute. Die Anwendungsformen des Petroleummotorwagens sind mannigfach; er läßt sich einerseits für eine größere Anzahl von Personen, z. B. als Omnibus oder als Postkutsche konstruieren, wie die in Fig. 3 u. 4 abgebildeten Typen von Lutzmann in Dessau zeigen; andererseits kann man ihm die velocipedähnliche Form eines leichten, zweisitzigen Reisewagens geben (Fig. 5, Konstruktion von Benz & Co. in Mannheim). Dieser Wagen ist wie die Fahrräder mit Gummireifen ausgestattet. Auch andere Konstruktionseinzelheiten der Fahrräder werden auf die M. angewendet. So hat die franz. Fahrradfabrik Peugeot ihre neuesten Petroleummotorwagen mit Rahmen aus Stahlrohren ausgestattet und die Röhren zugleich als Reservoir für das Kühlwasser benutzt, eine Anordnung, die Daimler schon 1889 für ein zweisitziges Motorstahlrad anwandte. Auch als Lastwagen und als Geschäftswagen sind M. in Betrieb. Die Betriebskosten für Petroleummotorwagen sind geringer als die Unterhaltungskosten für Pferde. Z. B. betragen dieselben bei den 1896 in Colombo auf Ceylon in Betrieb genommenen Paketpostwagen (System Daimler) nur 60 Proz. der Kosten für Pferdebetrieb. Auch die in Paris eingeführten Benzindroschken erzielen gute Resultate.

Der elektrische M., obgleich schon 1838 in Groningen und Turin versucht (s. Elektrisches Boot, Bd. 5) krankt bis jetzt noch an zu großem totem Gewicht. Während z. B. ein für acht Personen konstruierter Petroleummotorwagen von Benz & Co. nur 850 kg wiegt, hat der für die gleiche Personenzahl gebaute in Fig. 6 dargestellte elektrische Waaen der Holtzer-Canot Electric Company ein Gewicht von 2300 kg. Er braucht eine Batterie von 44 Chloridelementen. Mittels eines Zellenwählers lassen sich dem Motor drei verschiedene Geschwindigkeiten (8, 13 und 24 km pro Stunde) erteilen. In Chicago wurden 1895 von M. Cummings elektrische Droschken in Betrieb genommen, welche 15-20 km pro Stunde zurücklegen. In San Francisco sind elektrische Leichenwagen mit ebenfalls elektrischen Beiwagen eingeführt.

Vergleichung der Systeme. Für Mietwagen in Städten, überhaupt mit einem festen nicht zu