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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

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Die hellenische Kunst.

einem Felde, der Bildniskunst, eine gewisse Eigenart und größere Unabhängigkeit von den griechischen Mustern. Die Kaiser, ihre Familien und ihr Hof, ließen zahllose Bildnisstatuen aufertigen und dies gab den Künstlern nicht nur Beschäftigung, sondern auch Anregung zur Vervollkommnung. Diese lag selbstverständlich in der Richtung der Naturtreue, wobei freilich auch öfter etwas "geschmeichelt" und verherrlicht werden mußte. Diese Aufgabe, die Zuge des Darzustellenden im wesentlichen naturwahr wiederzugeben und ihnen doch wieder einen Ausdruck des Heldenhaften und Erhabenen zu verleihen, wußten spätrömische Künstler trefflich zu lösen.

Römische Bildniskunst. Die Standbilder und Büsten der Kaiserzeit sind denn auch das Beste dessen, was als eigene Leistung des römischen Kunstgeistes betrachtet werden kann. Man bildete die Gestalten sowohl stehend, wie zu Pferde ab, in gewöhnlicher Kleidung (statua togata, mit der Toga bekleidet) oder in Rüstung (statua thoracata). Die Behandlung des faltenreichen Gewandes, wie jene der Rüstung, erheischte besondere Sorgfalt und dabei kam den Römern ihre scharfe Beobachtungsgabe zu statten, wie andererseits selbst bei der Bildung der Pferde ihr Sinn für das Große und Mächtige sich kundgiebt. Wirkungsvoll sind daher diese Bildnisse immer, wenn ihnen auch eine gewisse Trockenheit anhaftet und das Schwungvolle fehlt. Dafür entschädigt eben die volle Lebenswahrheit, der vollendete Ausdruck der ganzen inneren Eigenart der Persönlichkeit.

Verfall der Kunst. Mit der allmählichen Auflösung des römischen Reiches verfiel auch die gesamte Kunst immer mehr, und am stärksten war der Niedergang der Bildnerei. Zur Zeit Kaiser Trajans (117 n. Chr.) entstanden noch Werke - z. B. der Flachbildschmuck an der Trajanssäule - welche wenigstens durch lebendige Darstellung der Vorgänge und anschauliche Kennzeichnung der Gestalten sich auszeichnen, wenn auch eine höhere Auffassung mangelt. Doch schon in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts werden die Formen steif und leblos, im 3. Jahrhundert geht auch das Formgefühl immer mehr verloren und die Arbeiten werden völlig roh ausgeführt.

Daß damals das Christentum der Bildnerei abhold war, ist begreiflich, es mußte Alles vermeiden, was an den heidnischen Götzendienst erinnerte. Das trug natürlich auch noch dazu bei, daß selbst die bloße Arbeitsfertigkeit dahin schwand.

Verlust der ursprünglichen Werke. Es wird dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein, daß gerade für die Hauptzeiträume der Geschichte der griechischen Bildnerei

^[Abb.: Fig. 126. Fliegende Nike aus Delos.]

^[Abb.: Fig. 127. Frauenstandbild von Antenor.]