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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

Jahrhunderts ab entwickelt sich die Bauweise rasch zu eigenartiger künstlerischer Vollendung. Ihre hauptsächlichsten Eigentümlichkeiten sind: die sechsteiligen Kreuzgewölbe - bei denen durch den Gewölbescheitel noch eine Querrippe gezogen ist -, die häufige Anlage von Laufgängen, sowie von Nebenchören, Errichtung eines viereckigen Turmes über der Vierung und kleiner Ecktürmchen an den Haupttürmen. Die Verzierung besteht aus Liniengebilden; Pflanzenformen kommen fast gar nicht vor.

In Nordfrankreich zeigt namentlich Caën diese normannische Art vollkommen ausgebildet, von hier wurde sie nach England verpflanzt, wo sie einige Abänderungen erfuhr, zum Teil unter dem Einfluß der vorgefundenen angelsächsischen Bauweise, welche hauptsächlich noch Holz als Baustoff verwendet hatte und daher einzelne diesem entsprechende Formen aufwies.

Auch jetzt noch wurden die flachen Holzdecken beibehalten, und mit dem Vermeiden der Gewölbeanlagen tritt England in Gegensatz zu Nordfrankreich, wo gerade der Gewölbebau vollkommen durchgebildet wurde. Andere bezeichnende Eigentümlichkeiten sind die runde Form, sowie die Massigkeit der Pfeiler, welche schwerfällig, ja oft plump erscheinen.

Die Rundform bedingte auch eine Abänderung des Würfelkapitäls, dasselbe wird unten "gefältelt" oder in eine Anzahl kleiner Würfelkapitäle zerlegt. Die Stärke der Mauern, die geringe Höhe der Schiffe und Thore, die ungefüge Wucht der Türme, die mit Zinnen gekrönt sind - die Kirchen haben in der Regel nur einen Turm - verleihen diesen englischen Bauten das düstere Ansehen von Festungswerken.

Sicilien und Unteritalien. Eine ganz besondere Stellung nehmen Sicilien und Unteritalien ein, welche ich auch der normannischen Gruppe zurechne, da hier die Blütezeit der Kunst mit dem Walten der Normannenfürsten zusammenfällt. Wir finden auf sicilischem und unteritalischem Boden einen eigentümlichen Mischstil, der den Werken einen feinen Reiz verleiht. Wie die Bevölkerung aus römischen, griechischen, arabischen und normannischen Bestandteilen sich zusammensetzte, so sehen wir dies auch in den Bauformen. Von der Antike wurden die Grundanlage der Säulenbasiliken und die korinthischen Kapitälformen übernommen, von den Byzantinern der Schmuck mit Mosaiken und bunten Marmorplatten, von den Arabern die Kuppeln, die Spitzbogen und die Tropfsteingewölbe, die Normannen fügten dann die Gestaltung der Stirnseite im romanischen Stil und den Anschluß des Turmes an dieselbe hinzu.

Südfrankreich und Italien. Eine ungemeine Vielgestaltigkeit gewann der romanische Stil in der südländischen Gruppe, Südfrankreich und Italien, und weit mehr noch als in Deutschland sind auf diesem Boden kleinere Gebiete mit besonderer Eigenart zu unterscheiden. Das gemeinsame Kennzeichen der Bauweise in dieser Gruppe ist die starke Nachwirkung antiker Formen, der germanische Einfluß tritt hier zurück hinter den der Ueberlieferung aus der altchristlichen Zeit. Je nach den eigentümlichen Verhältnissen in den einzelnen Gegenden - vorhandene antike oder altchristliche Vorbilder, Mischung der Volks-^[folgende Seite]

^[Abb.: Fig. 259. Von der Bernwardsthür des Domes zu Hildesheim.]