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Illustrierte Kunstgeschichte

Johannes Emmer, Deutsche Volksbibliothek A.-G., Berlin, ohne Jahr [1901]

Schlagworte auf dieser Seite: Germanische Kunst

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Germanische Kunst.

der Gewölbe erhielten mitunter derartigen Blattschmuck. Die Formen wurden meist der einheimischen Pflanzenwelt entnommen und nach bestimmten Gesetzen umgewandelt, stilisiert; sehr häufig sind Eichen- und Ahornblätter. Am Aeußern fanden Naturformen noch spärlichere Verwendung. Hier schmücken Kriechblätter (die sogen. Krabben) die Grate der Wimperge und die Kanten der Fialen- und Turmdächer, dagegen Kreuzblumen die Spitzen der Wimperge, Fialen und Türme. Tierformen kommen nur bei den Wasserspeiern - den Ausflüssen der Wasserrinnen - und zwar meist phantastisch umgebildet vor. Die menschliche Figur wird zu dem von der Bauform abhängigen Schmuckwerk nicht verwendet, sondern nur in selbständigen Bildwerken, in Form von Standbildern und in erzählenden Flachbildern.

Eindruck des Aeußeren. Das Aeußere der gotischen Kirchenbauten steht, wie aus der vorhergegangenen Schilderung der Einzelheiten schon ersehen werden konnte, in eben so großem Gegensatze zu den romanischen Kirchen wie das Innere. An der Schauseite äußert sich dies außer in der Durchbrechung mit Maßwerk auch in den vielen aufstrebenden Teilen, den Türmen, Fialen, Wimpergen. Die Seitenwände und die Chorseite erscheinen dagegen durch die vorspringenden Strebepfeiler wie zerklüftet, der einheitliche Eindruck wird jedoch auch hier dadurch gewahrt, daß durch die aufstrebenden Bauglieder gleichwie an der Vorderseite das Auge vor allem auf die allgemeine aufsteigende Bewegung gelenkt wird.

Verwendung der Formen an weltlichen Bauten. Für die weltlichen Bauten fanden im Allgemeinen dieselben Formen Anwendung wie bei den Kirchenbauten, nur war die Verwertung naturgemäß durch die verlangte vorherrschende Gebrauchsfähigkeit beschränkt. Am meisten finden sich die "Kirchenformen" an jenen Bauten, welche neben dem Gebrauchszweck auch den anderen hatten, den Reichtum oder die Vornehmheit der Besitzer zu zeigen, also vornehmlich an Rathäusern oder großen Herrensitzen. Bei einfacheren Burgen und den Bürgerhäusern wurden dagegen neben den herrschenden allgemeinen Zügen die reicheren Zierformen nur in beschränktem Maße verwendet.

Kleinere Werke. Doch nicht nur bei eigentlichen Bauten sind die "gotischen Formen" und besonders die reichen Kirchenschmuckformen zu finden, sondern auch an kleineren Werken, die zum Schmuck des Kircheninnern dienen, wie Sakramentshäuschen und Altäre. Diese gleichen mitunter wirklichen Bauten oder Bauteilen, z. B. Türmen, weisen aber auch sonst nur aus der Baukunst entnommene Formen auf, die nur noch viel zierlicher ausgestaltet wurden. Wenn es sich um Werke aus Stein handelt, wie z. B. bei dem Sakramentshäuschen der Lorenzkirche in Nürnberg,

^[Abb.: Fig. 288. Das Rathaus zu Löwen.]