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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Festungskrieg

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Festungskrieg (Angriff).

fuhr von außen abschneidet, welche deshalb bei einer volkreichen Stadt und hinreichender Dauer die Festung wegen Mangels an Lebensmitteln (Aushungerung) zur Übergabe zwingen kann. Hat die Festung keine Forts, eine gedrängt wohnende Bevölkerung, wenig bombensichere Unterkunftsräume für die Besatzung und einen wenig thatkräftigen Kommandanten, so kann ein Bombardement durch seine materielle und moralische Wirkung eine schleunige Übergabe herbeiführen. Bei einer gut ausgestatteten und energisch verteidigten Festung wird nur der förmliche Angriff oder die eigentliche Belagerung, bei der man sich nach und nach der Festung gedeckt nähert und die feindlichen Kampfmittel systematisch zu zerstören sucht, Aussicht auf Erfolg versprechen. Im nachstehenden soll daher ausschließlich der förmliche Angriff auf eine gut verteidigte Festung mit detachierten Forts behandelt werden.

Das Belagerungskorps besteht aus der Belagerungsartillerie mit einer der Größe der Festung entsprechenden Anzahl Sektionen des Artilleriebelagerungstrains, mit etwa 400-500 Geschützen für eine Festung mit Forts, einer oder mehreren Sektionen des Ingenieurbelagerungstrains und einer entsprechenden Anzahl Pionierkompanien sowie einer oder mehreren Truppendivisionen oder, je nach der Größe des Platzes, Armeekorps, die in der Regel ihre taktische Zusammensetzung behalten. Die Kavallerie wird zunächst auf den Hauptstraßen gegen die Festung zu deren Beobachtung und zum Schutz der behufs Feststellung der Angriffsfronte und der besondern Maßregeln zur Einschließung auszuführenden Rekognoszierung vorgeschoben. Sie soll zwar der Festung den Verkehr jeder Art nach außen abschneiden, muß jedoch hierbei vermeiden, diejenigen Verkehrswege, die für die Heranführung des Belagerungsmaterials notwendig sind, unbenutzbar zu machen. Durch Rekognoszierung an der Hand eines bereits bearbeiteten Angriffsentwurfs wird der Angriffsplan festgestellt. In diesem werden die Angriffsfronte, ein etwaniger Nebenangriff, der Gang des Angriffs und die Grenzen des Angriffsfeldes unter Einteilung desselben in Abschnitte, die Parkplätze, auch die ungefähre Lage der ersten Artillerieaufstellung etc. bezeichnet. Die Wahl der Angriffsfronte wird sich der großen Materialtransporte wegen meist nach den zu Gebote stehenden rückwärtigen Verbindungen richten. Man wird deshalb grundsätzlich den Belagerungspark in möglichster Nähe der Eisenbahn etablieren, auf der sein Material herbeikommt, und bei entsprechender Entfernung Förderbahnen von der Entladestation zum Park und von hier zu den Batterien anlegen. Es muß dies unter dem Schutz der Einschließungstruppen geschehen, nötigen Falls sind Feldverschanzungen mit Geschützemplacements zum Zurückweisen von Ausfällen aus der Festung zum Schutz der Parke, die etwa 7-10 km von den Forts ab bleiben, anzulegen.

Im F. ist die Artillerie die Hauptwaffe, da nur sie im stande ist, den Verteidiger aus seinen befestigten Stellungen im Vorterrain zu vertreiben sowie ihn zu zwingen, seine Kampfthätigkeit auch in den Forts und Zwischenbatterien und schließlich auf der Hauptenceinte einzustellen; es muß deshalb immer die Aufgabe aller andern Waffen sein, die Artillerie in der Erreichung dieser Ziele nach Kräften zu unterstützen und sich selbst diesem Zweck unterzuordnen. Zunächst ist der Verteidiger soweit wie möglich und für die Einschließung erforderlich aus dem Vorterrain zurückzudrängen, wobei in der Regel nur Feldartillerie, gegen verschanzte Ortschaften aber stets schwerere Geschütze mit überwältigender Wirkung in Thätigkeit kommen werden, da auch der Verteidiger solche Positionen mit Aufbietung aller verfügbaren Mittel zu behaupten suchen wird. Nach Besitznahme solcher vorgeschobenen Positionen des Verteidigers müssen dieselben zu hartnäckiger Verteidigung eingerichtet und in offenem Gelände gedeckte Verbindungen nach rückwärts, Schützengräben und Schützenlöcher für die Vorposten, Geschützeinschnitte für Feldgeschütze etc. hergestellt werden. So entstehen bei den einleitenden Kämpfen des Fernangriffs oft Stellungen hintereinander, die man allgemein als Vorpositionen (z. B. Tafel II die Batterien 6, 9, 11, 12, 13) bezeichnet, und die den Zweck haben, des Terrains sich zu bemächtigen, in dem unter dem Schutz der Infanterie die Batterien der ersten Artillerieaufstellung (Tafel I und II etwa die Batterien 5, 15, 16 bis hinüber nach 25) erbaut werden sollen. Diese sollen die Artillerie in den Forts und deren Zwischenstellungen bekämpfen, feindliche Kampfmittel vernichten, die Ausführung weiterer Verteidigungsarbeiten verhindern und so der eignen Infanterie das Vorgehen und Festsetzen auf dem Angriffsfeld ermöglichen. Diese Batterien werden daher meist nicht näher als 3000, in einzelnen Fällen bis 2000 m an die Forts herangehen können und müssen daher mit weittragenden, wirkungsvollen Geschützen, 15 cm Ringkanonen, schweren 12 cm Kanonen und 21 cm Mörsern, und bei geringern Entfernungen auch mit kurzen 15 und 21 cm Kanonen armiert werden. Sie werden in möglichst umfassender Ausdehnung gruppenweise angelegt und müssen alle in das Angriffsfeld wirkenden feindlichen Geschützaufstellungen bekämpfen. Können sie nicht in die Nähe von Straßen gelegt werden, so sind für die Armierung und den Munitionsersatz Wege dorthin anzulegen. Alle Batterien sollen möglichst in Einer Nacht erbaut werden und gleichzeitig ihr Feuer am nächsten Morgen eröffnen. Dem Vorschreiten der Infanterie werden auch Batterieanlagen folgen und zum Teil mit den Geschützen rückwärts liegender Batterien armiert werden, so daß bei einer hartnäckigen Verteidigung der Übergang von der ersten zur zweiten Artillerieaufstellung (Tafel I hinter der 1., Tafel II an und dicht hinter der 2. Parallele) sich allmählich, Schritt für Schritt vollzieht. Grundsatz des Angriffs ist, daß das Artilleriefeuer niemals ins Stocken kommen darf; die Batterien der zweiten Artillerieaufstellung werden daher auch unter dem Schutz der rückwärtigen Batterie und der ersten Infanteriestellung (Tafel I als 1. Parallele bezeichnet) auf etwa 1500-1000 m von den feindlichen Batterien, auf welchen Entfernungen ein Niederkämpfen der letztern möglich wird, erbaut. Die Erfolge der zweiten Artillerieaufstellung sind für den weitern Verlauf des Angriffs entscheidend, da auf diesen Entfernungen eine der beiden Parteien durch Niederkämpfung der gegnerischen Artillerie die Oberhand gewinnen muß; jetzt entbrennt daher der eigentliche Artilleriekampf. Die Sicherung der Angriffsartillerie in dieser Stellung gegen Ausfälle wie gegen vorgeschobene Infanterie in vorbereiteten Stellungen muß daher von der Infanterie aus einer den feindlichen Werken auf schon wirksame Gewehrschußweite naheliegenden Stellung, der ersten Infanteriestellung, übernommen werden. Diese tritt also etwa an die Stelle der frühern ersten Parallele und wird auf etwa 700 m von der vordersten feindlichen Stellung (den Forts), ob als ein zusammenhängender Laufgraben (Tranchee) oder stückweise durch Ausbau der für die Vorposten aufgeworfenen Schützengräben, darüber