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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Schildkröten

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Schildkröten (Landschildkröten).

gehen nur, um die Eier abzulegen, aufs Land, halten sich am Tag im Schlamm verborgen und jagen nachts auf Fische, Wasservögel, Lurche etc., fressen aber auch Pflanzenstoffe. Sie sind mutig, jähzornig und bissig und können schwere Wunden beibringen. Fleisch und Eier sind genießbar. Die Beißschildkröte (Trionyx ferox Schweigg.), 1,6 m lang, mit sehr flachem, unvollkommen verknöchertem Rückenschild, ist oberseits dunkelgrau mit großen Augenflecken und dunkeln Tüpfeln, unterseits schmutzig weiß, bewohnt die Savannah und Alabama, die in den Busen von Mexiko mündenden Flüsse, die großen nördlichen Seen und den Hudson, wird durch ihre Jagd auf Enten lästig und vertilgt im Süden junge Alligatoren. Man jagt sie des Fleisches halber.

Zu den Lurchschildkröten, mit mehr oder weniger gewölbtem, verknöchertem, mit dem Brustschild verwachsenem, mit Hornplatte bekleidetem Rückenschild, nicht einziehbarem Kopf und Füßen, freien, bekrallten Zehen und Schwimmhäuten, welche im Wasser und auf dem Land leben, gehört die Arrauschildkröte (Podocnemis expansa D. B.), 80 cm lang, mit mäßig gewölbtem Rückenschild, dessen Rand horizontal vorspringt, plattem Kopf, zwei Bärteln unter dem Kinn und Schwimmhäuten, oben schwarzgrau, unten orangegelb, bewohnt die Flüsse Guayanas und Brasiliens, auch der nördlichen Provinzen Perus, lebt sehr gesellig und findet sich in außerordentlich großer Zahl. Sie legt ihre Eier nachts in den Ufersand, und hierbei bedrängen sich die zahllosen Tiere so sehr, daß wohl der dritte Teil der Eier zerbrochen wird. Die Eingebornen ernten die Eier, um sie zu genießen und Öl daraus zu bereiten, welches zum Brennen und Kochen benutzt wird. Die Matamata (Chelys fimbriata Schweigg., s. Tafel), 2 m lang, mit sehr flachem Rückenschild, auf welchem die gewölbten Platten drei Höckerreihen bilden, sehr flach gedrücktem Kopf, rüsselförmig verlängerter Nase, langem Hals, kurzem Schwanz, am Kopf und Hals mit Bärteln, Fransen, Lappen besetzt, ist oberseits braun, unterseits grüngelb, wird als überaus häßlich geschildert, riecht widerwärtig und ist in Nordbrasilien und Guayana weit verbreitet. Sie nährt sich von Fischen, Fröschen und Wasservögeln. Die Farbigen essen ihr Fleisch.

Die Süßwasserschildkröten (Emydidae Gray), mit meist flachem und, wie das kleine Brustschild, vollkommen verknöchertem Rückenschild, locker, scheidenartig anliegender Halshaut, in welche der niemals beschildete Kopf, wie in eine Scheide, zurückziehbar ist, und dicken Füßen mit vorn fünf, hinten vier frei beweglichen, durch Schwimmhäute verbundenen, bekrallten Zehen, bewegen sich geschickt auf dem Land, schwimmen vortrefflich, leben in langsam fließenden Flüssen, in Sümpfen und Teichen und nähren sich vorzugsweise von Fischen. Zu dieser artenreichen Familie gehört die Sumpf- oder Teichschildkröte (Cistudo lutaria Strauch, Emys europaea Wagl., s. Tafel), 30-40 cm lang, mit mäßig gewölbtem Rückenschild, Schwimmhäuten, glatter Haut auf dem Kopf, großen Schuppen an den Füßen und ziemlich langem Schwanz, in Färbung und Zeichnung vielfach abweichend, schwärzlich, gelb punktiert, auf dem Rückenpanzer schwarzgrün, mit strahlig verlaufenden gelben Punktreihen, auf dem Brustschild schmutzig gelb, braun punktiert, verbreitet sich von Süd- und Osteuropa nördlich bis Mecklenburg, östlich bis Persien, findet sich in fließenden und stehenden Gewässern, hält sich am Tag im Wasser verborgen, geht nachts auf das Land, vergräbt sich im Winter in den Schlamm, kommt Mitte April wieder zum Vorschein, lebt von Regenwürmern, Wasserinsekten, Schnecken, frißt auch Fische und Pflanzen und legt im Mai 6-10 Eier von der Größe der Taubeneier in eine Höhlung, welche sie mit dem Schwanz und einem Hinterfuß bohrt und schließlich wieder mit Erde füllt. Die Jungen schlüpfen erst im nächsten Jahr aus. Das Fleisch der Teichschildkröte ist genießbar. Die Großkopfschildkröte (Platysternum megalocephalum, s. Tafel), 50 cm lang, mit sehr großem, nicht unter den Schild zurückziehbarem Kopf, 18 cm langem, gänzlich beschupptem Schwanz und flachem Rückenschild, ist oberseits olivenbraun, unterseits gelb und hellbraun. Sie bewohnt China; über ihre Lebensweise ist nichts bekannt. Sehr viele Arten, z. B. die Klappschildkröte (Cinosternum pensylvanicum, s. Tafel), bei welcher der vordere und hintere Abschnitt des Brustschildes am mittlern beweglich ist, leben in Amerika und erlangen, wo sie, wie im Orinoko, massenhaft auftreten, durch ihre Eier eine große Bedeutung für ganze Stämme. Man bereitet aus diesen Eiern ein Öl, welches als Speise- und Brennöl benutzt wird.

Die Landschildkröten (Chersidae), mit verknöchertem und mit Hornplatten bekleidetem Rücken- und Bauchschild, Kopf und Füße völlig einziehbar, letztere Klumpfüße mit stumpfen Nägeln, Kiefer lippenlos, bewohnen feuchte und bewachsene Gegenden der wärmern und heißern Klimate und nähren sich von Pflanzen. Hierher gehört die griechische Schildkröte (Testudo graeca L., s. Tafel), 30 cm lang, mit stark gewölbtem Rückenschild, beschildetem Kopf, großen, dachziegelförmig gelagerten Schuppenknötchen an den Vorderfüßen, sporenartigen Knoten an den Hacken der Hinterfüße, wechselt in Färbung und Zeichnung stark ab, besitzt schwarze, gelb und schwarz gesäumte Schilde, ist an Kopf, Hals und den Extremitäten schmutzig grüngelb, findet sich im östlichen Südeuropa, ist durch Mönche weiter verbreitet und dann verwildert, am häufigsten in Süditalien, Griechenland und bei Mehadia. Sie bewohnt waldige und buschige Gegenden, lebt von Kräutern, Früchten, Schnecken, Würmern, Insekten, vergräbt sich zum Winter und legt im Juni 4-12 Eier an einem sonnigen Ort in eine Grube, aus welcher die Jungen entschlüpfen. Man hält diese Schildkröte in der Heimat in Gärten, um das Ungeziefer zu vertilgen, und benutzt sie in Italien zur Bereitung von Suppe. In der Gefangenschaft wird sie sehr alt. Riesenschildkröten aus der Gattung Testudo L. waren ehemals auf Réunion, Mauritius, Rodriguez, Aldabra und auf den Galapagos sehr gemein, wurden aber von den Schiffern arg verfolgt und sind auf den drei zuerst genannten Inseln gegenwärtig ausgerottet: nur auf Aldabra lebt noch eine geringe, sich beständig vermindernde Zahl. Ganz ähnlich verhält es sich auf den Galapagos. Diese S. werden 1,5 m lang, 1,2 m breit, 1 m hoch, nähren sich von Blättern, Früchten, machen weite Wanderungen, um zu trinken, und legen 10-14 Eier in Gruben. Ihr Fleisch ist sehr schmackhaft. In der Gefangenschaft sollen sie 18 Monate hungern können und lassen sich sehr leicht erhalten. - Die Schildkröte ist ein kosmogonisches Symbol, ein Sinnbild des aus dem Feuchten entstandenen Festen. Wischnu nahm, als er die Welt vom Untergang retten wollte, die Gestalt einer Schildkröte an. Daher war sie auch der schaffenden Venus geheiligt, und Hermes Demiurgos, der Weltbaumeister, verwendete ihre Schale zu seiner den Kosmos verbildlichenden Planetenleier. Die Töne der letztern