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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Anzengruber; Anziehen; Anziehung; Anzin; Aöde; Äōlier

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Anzengruber - Äolier.

Anträge auf Strafverfolgung können bei der Staatsanwaltschaft, bei den Behörden und Beamten des Polizei- und Sicherheitsdienstes und nach der deutschen Strafprozeßordnung auch bei den Amtsgerichten mündlich oder schriftlich angebracht werden. Die mündliche A. ist zu beurkunden. Eine Verpflichtung zur A. (Anzeige-, Denunziationspflicht) ist, sofern eine bereits begangene unerlaubte Handlung in Frage steht, nach den meisten Strafgesetzen nur infolge einer besondern Amtspflicht begründet, und daher kann auch die Unterlassung einer A. in derartigen Fällen nur für diejenigen Beamten und ihre Bediensteten eine Strafe nach sich ziehen, welche sich eben dadurch einer besondern Pflichtverletzung schuldig gemacht haben. Auch in Ansehung einer beabsichtigten strafbaren Handlung liegt die A. zunächst nur den dazu verpflichteten Beamten ob; nur bei eigentlichen Verbrechen (im engern Sinn) ist die Verpflichtung zur A. eines verbrecherischen Vorhabens einem jeden auferlegt und die Unterlassung der A. für strafbar erklärt worden, so z. B. nach dem österreichischen Strafgesetzbuch. Das deutsche Strafgesetzbuch dagegen straft die Unterlassung einer A. von bevorstehenden Verbrechen nur bei besonders schweren Verbrechen, nämlich bei Hochverrat, Landesverrat, Münzverbrechen, Mord, Raub, Menschenraub und bei gemeingefährlichen Verbrechen, also namentlich bei Brandstiftung, vorsätzlicher Gefährdung eines Eisenbahntransports, vorsätzlicher Überschwemmung u. dgl. Dabei wird jedoch vorausgesetzt, daß der zu Bestrafende zu einer Zeit, in welcher die Verhütung des Verbrechens möglich war, glaubhafte Kenntnis von dem verbrecherischen Vorhaben erhalten und gleichwohl weder der Behörde noch der durch das Verbrechen bedrohten Person zur rechten Zeit A. davon gemacht habe. Die Strafe (Gefängsnisstrafe ^[richtig: Gefängnisstrafe] von 1 Tag bis zu 5 Jahren) tritt jedoch nur dann ein, wenn das Verbrechen oder doch wenigstens ein strafbarer Versuch desselben wirklich begangen worden ist. Auf der andern Seite wird aber auch eine wider besseres Wissen erstattete A. mit Strafe belegt und zwar nach dem deutschen Strafgesetzbuch mit Gefängnis nicht unter einem Monat; auch kann dem Verletzten die Befugnis zugesprochen werden, die Verurteilung auf Kosten des Schuldigen öffentlich bekannt zu machen. Übrigens wird der Ausdruck A. im Strafprozeß auch als gleichbedeutend mit "indicium", Indiz (s. d.), zur Bezeichnung einer Thatsache gebraucht, welche eine Schlußfolgerung für die Schuld oder Unschuld des Angeschuldigten zuläßt. Vgl. Deutsche Strafprozeßordnung, § 156 ff.; Deutsches Strafgesetzbuch, § 52, 54, 139, 346. - In der Medizin ist A. s. v. w. Indikation, der aus dem Gesamtzustand einer Krankheit und der besondern Zufälle entnommene Bestimmungsgrund zur Anwendung eines bestimmten Heilmittels oder Verfahrens (s. Indikation).

Anzengruber, Ludwig, Bühnendichter und Schriftsteller, geb. 29. Nov. 1839 zu Wien, Sohn eines Subalternbeamten, war durch den frühzeitigen Tod seines Vaters genötigt, seine Studien zu unterbrechen und als Autodidakt weiterzustreben. Sein Leben ist ein wechselvolles, vielbewegtes. Wir finden ihn zuerst als Praktikant in einer Buchhandlung angestellt, hierauf (1860-67) als Schauspieler, dann, der Misere dieses Standes überdrüssig, als Journalist thätig, schließlich, als auch diese Laufbahn den realen Anforderungen des Lebens nicht entsprach, als Kanzleibeamten bei der Polizeibehörde beschäftigt, bis ihn endlich der durchschlagende Erfolg seines Dramas "Der Pfarrer von Kirchfeld" (1870) bestimmte, den Staatsdienst zu entsagen und sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Seine dramatische Thätigkeit weist von jetzt an eine Reihe zum Teil großartiger Erfolge auf, und zwar beruhen diese weniger auf der kunstreichen Anlage seiner Stücke als auf dem realistischen Kolorit und der naturwüchsigen Kraft des Ausdrucks wie anderseits auf der Wucht des Inhalts, d. h. der in ihm aufs höchste gesteigerten Leidenschaften, die meist aus sittlichen oder religiösen Konflikten hervorbrechen. Nicht alle Schöpfungen des Dichters stehen auf gleicher Höhe; er selbst gibt den Volksstücken: "Der Pfarrer von Kirchfeld" (1870), "Die Kreuzelschreiber", "Ein Faustschlag", "Der Meineidbauer", "Das vierte Gebot" (letzteres 1878 geschrieben) den Vorzug. Andre Dramen von ihm sind: "Elfriede", Konversationsstück (1873); "Die Tochter des Wucherers" (1873); "Der Gewissenswurm", Bauernkomödie (1874); "Hand und Herz", Trauerspiel (1875); "Doppelselbstmord", Bauernposse (1876), und "Der ledige Hof", Schauspiel (1877). Als erzählender Dichter hat A. nicht geringere Erfolge mit dem Roman "Der Schandfleck" (Wien 1876; umgearbeitet, Leipz. 1884) und einer Sammlung von Bauerngeschichten: "Dorfgänge" (Wien 1879, 2 Bde.), erzielt. Neuere novellistische Arbeiten sind: "Bekannte von der Straße Genrebilder" (Leipz. 1881); "Feldrain und Waldweg" (das. 1882); "Allerhand Humore" (das. 1883); "Die Kameradin" (Dresd. 1883) u. a.

Anziehen, kaufmännisch s. v. w. im Preise steigen. In der Jägersprache das eifrige Suchen des Vorstehhunds, durch welches er zu erkennen gibt, daß er die frische Spur eines Hasen oder das Geläufe eines Federwilds verfolgt.

Anziehung, allgemeine, s. Gravitation.

Anzin (spr. angsäng), Flecken im franz. Departement Nord, Arrondissement Valenciennes, an der Schelde, durch Eisenbahn mit der Französischen Nordbahn verbunden, hat (1876) 6920 Einw. und eins der bedeutendsten Steinkohlenbergwerke Frankreichs (Becken von Valenciennes), welches seit 1734 ausgebeutet wird, 120 qkm groß ist und über 10,000 Arbeiter beschäftigt, außerdem bedeutende Eisenwerke, Maschinen- und Glasfabrikation etc.

Aöde (griech.), eine der ältesten drei Musen, Schwester der Melete und Mneme, Göttin des Gesangs, dann überhaupt s. v. w. Gesang, Gesangskunst. Aöden, Sänger, Dichter, besonders die griechischen Sänger im heroischen Zeitalter.

Äōlier, einer der vier Hauptstämme des griech. Volks, der seinen Ursprung von Äolos ableitete. Es sind unter ihnen diejenigen Pelasgerstämme zu verstehen, welche durch Zuwanderung von Ioniern und andern Seestämmen und Vermischung mit ihnen zu einer höhern Kulturstufe gelangten. Der Name findet sich deshalb an verschiedenen Orten von Griechenland, in Thessalien, Elis, Messenien, Lokris, Ätolien und Kephallenia. Wichtig war für die Ausbreitung der Ä. namentlich die Wanderung der äolischen Böotier nach Böotien, von wo nach der dorischen Wanderung äolische Stämme, mit Achäern gemischt, nach Kleinasien zogen; hier besetzten sie Lesbos und Kyme und eroberten allmählich Troas und Mysien. An dem üppigen Gestade zwischen dem Kaikos und dem Hermos, auf einem Raum von 53 km Länge und ebensoviel Kilometer Breite, erhoben sich 30 äolische Städte, von denen 11 als die bedeutendsten genannt werden: Kyme (Cumä), Larissa, Neonteichos, Killa, Notion, Ägiroëssa, Pitane, Ägää, Myrina, Gryneia, Temnos. Sie hatten untereinander ein Schutzbund-^[folgende Seite]