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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Assyrien

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Assyrien (Kultur).

rissen sich die meisten eroberten Länder von A. los. Indem die Meder unter Kyaxares zuerst die Barbaren besiegten und vertrieben, wurden sie das mächtigste Volk und vereinigten sich 609 mit dem Unterkönig Nabopolassar von Babylon zum Kriege gegen A., welcher nach hartem Kampf 606 mit der Einnahme Ninives und dem Untergang des letzten Königs (Asarhaddon II.) und seines ganzen Volks endete. Wenn auch die zuerst von Layard aufgedeckten Ruinen ihrer Städte mit ihren Reliefs und Inschriften zeigen, daß die Assyrer in Architektur, Skulptur, namentlich in der Kriegskunst eine ziemlich hohe Stufe der Bildung erreicht hatten, so beruhte der Bestand des assyrischen Reichs doch nur auf der Gewalt und dem Schrecken ihrer Waffen; die Unterwerfung der Völker war nur eine äußerliche, und die militärische Herrschaft eines verhältnismäßig so kleinen Volks war von jedem Kriegszufall abhängig. Die Assyrer verschwanden aus der Geschichte, das Land fiel an das medische Reich. - Der Bericht des Ktesias von dem weibischen König Sardanapal (Assurpanibal) ist wieder eine medisch-persische Sage, welche im Gegensatz zu der mannweiblichen Semiramis, der Gründerin des Reichs, einen weibischen Mann an das Ende der assyrischen Geschichte stellte, zu dem sie den Mythus des semitischen Gottes, der Frauenkleider trug, benutzte.

[Kultur.] Über die assyrische Kultur liegt uns ein reicher Schatz von Aufschlüssen in den noch erhaltenen zahlreichen Monumenten vor. Die bedeutendsten Ausgrabungen sind die der alten, gewaltigen Hauptstadt Ninive beim jetzigen Kujundschik, die von Dur Sarrukin beim jetzigen Chorsabad und die von Kalach beim heutigen Dorf Nimrud, bestehend in Palästen und Grabmonumenten (Grabhügel des Ninus). Die Tempel und Paläste, welche sich auf künstlichen Anhöhen erheben, waren aus Erdziegeln und Balken errichtet, die Wände aber mit großen Kalkstein- oder Alabasterplatten bekleidet, welche sich leicht bearbeiten ließen und daher mit Bildwerken und Inschriften bedeckt, gewöhnlich auch bemalt waren (s. Tafel "Baukunst II", Fig. 1-3, und Tafel "Ornamente I", Fig. 1-5). An den Eingängen der wegen der kurzen Deckbalken schmalen Säle und Hallen standen geflügelte Löwen oder Stiere mit Menschenköpfen, Figuren von (Göttern oder Priestern u. dgl. (s. Tafel "Bildhauerkunst I", Fig. 6-9). Da fast jeder König neue Paläste erbaute und an ihren Wänden seine Thaten in Bild und Schrift verherrlichte, so vertraten diese Monumente die Stelle von Archiv und Chronik des Reichs. Zugleich treten uns darin die gesamte Lebensweise und Beschäftigung der Assyrer in Krieg und Frieden entgegen. Eine Hauptrolle spielen die kriegerischen Thaten der Könige, welche überall majestätisch erscheinen, in kriegsgerüsteter Stellung oder auf dem Thron sitzend, oder wilde Tiere jagend, oder den Göttern opfernd, um sie ein großes Gefolge von Weibern, Eunuchen und Kriegern zu Fuß, zu Pferd und zu Wagen. Szenen von Schlachten und Belagerungen, Triumphzüge mit gebundenen Gefangenen, grausame Hinrichtungen rebellischer Fürsten etc. nehmen einen breiten Raum ein, alles bezieht sich auf den König und seinen Hof. Die Könige waren unumschränkte Herrscher, welche unter dem unmittelbaren Schutz der Gottheiten selbst deren Gebote ausführten. Die Zahl der Beamten war eine bedeutende, ihre Reihenfolge genau geordnet: neben dem Feldhauptmann, dem Haremsobersten, dem Palasthauptmann gab es Landeshauptleute, Präfekten der Städte, Schreiber u. a. Das Kriegswesen war wohlgeordnet und hoch entwickelt. Das Fußvolk war teils schwer, teils leicht bewaffnet. Der König und die Fürsten kämpften mit Pfeil und Bogen von Streitwagen herab. Auch Reiterei fehlte nicht. Die Assyrer verstanden es, ihr Lager zu befestigen, feindliche Städte mit Einschließungswällen zu umgeben und mit Belagerungsmaschinen zu bestürmen. In der Schlacht stritten sie in wohlgeordneten Reihen. Doch sind auch die Beschäftigungen des Friedens und des Privatlebens, wiewohl in geringeren Maß, auf den Bildwerken vertreten. Wenn die Alten vieles von dem Wohlleben der Assyrer erzählen, so wird dies durch die Monumente bestätigt, wo oft Gastmahle dargestellt und die Menschen mit reichen, bunten, fein gewobenen und gestickten Gewändern angethan sind; kostbarer Schmuck fehlt nicht, das Haar ist sorgfältig gepflegt, besonders der Bart, der bis auf die Brust reicht und in zwei gekräuselte Locken ausläuft; Bart und Kopfhaar sind oft schwarz gefärbt, um den Kopf ist eine geschmückte Binde geknüpft (s. Tafel "Kostüme I"). Die Hausgeräte sind reich verziert, von Metall, Holz, Elfenbein; besonders die Waffen sind künstlich gearbeitet und mit Köpfen von Löwen, Widdern etc. als Griff versehen. Teppiche und Gewänder sind gut gewebt. Hieraus ersehen wir, daß die Assyrer ein wohlzivilisiertes Volk waren, dessen Industrieprodukte auch nach andern Ländern ausgeführt wurden; assyrische Arbeiten in Gold und Silber, Glas- und Thonwaren, Teppiche und Webereien wurden selbst in Griechenland nachgeahmt. Was den Charakter der assyrischen Kunst betrifft (welche von der babylonischen nicht verschieden war), so ist derselben ein gewisses starres, stereotypes Wesen eigentümlich; besonders für Hauptfiguren, wie die Könige, bildeten sich typische Formen aus, die Natur wird möglichst genau nachgeahmt, ohne Freiheit und Individualität; die Tiergestalten, besonders die Figuren von Löwen, sind künstlerischer als die der Menschen. Alles weist auf eine lange geübte Technik hin, welche mit der Zeit in einer bestimmten Manier erstarrte. Die Inschriften sind in der sogen. Keilschrift (s. d.) geschrieben, deren Handhabung besondere Schriftgelehrte voraussetzt; die Zahl der Zeichen betrug über 400; das Material dazu war Thon, der in nassem Zustand mit einem Griffel beschrieben und dann gebrannt wurde. Assurpanibal sammelte eine ansehnliche Bibliothek von mehreren Tausend solcher beschriebener Thontäfelchen, welche teils historischen und geographischen, teils naturwissenschaftlichen Inhalts sind, teils auch Poesie, Grammatik, Mathematik und Astronomie betreffen (jetzt zum Teil im Britischen Museum). Die Inschriften finden sich meist auf vier- bis sechsseitigen, um eine Achse drehbaren Säulen oder Cylindern.

Was endlich die Religion betrifft, so ersieht man aus den Darstellungen, daß sich die religiösen Vorstellungen und Zeremonien hauptsächlich um die Anbetung der siderischen Mächte drehten; es ist im wesentlichen der babylonische Götterdienst (womit die präzise Einteilung von Maß, Gewicht und Zeiten im engsten Zusammenhang steht). Als Hauptgott erscheint Assur, der nationale, höchste Gott, der babylonische El, neben ihm die Göttin Istar, der Mondgott Sir, die Sterne u. a.; geflügelte Stiere und Löwen mit einem Menschenhaupt waren die Symbole der Götter. Um die Ausgrabungen in Ninive haben sich besonders J. ^[James] Rich (1820), Resident der Ostindischen Kompanie in Bagdad, der französische Konsul in Mosul, Botta (1843 ff.), und der Engländer Layard (1845 ff.) verdient gemacht. Die Entzifferung der Keilschrift ist jetzt gelungen; die Resultate, die sich bisher ergaben,