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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bär

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Bär.

von denen er sich rückwärts wieder herabläßt. Er führt ein stilles und einsames Leben und lebt nur während der Paarungszeit mit der Bärin zusammen. Im fünften Jahr paart er sich im Mai oder Juni; im Januar wirft die Bärin in ihrem Winterlager 1-3 Junge mit kurzem, glänzendem Haar, die keineswegs Fleischklumpen sind, welche die Mutter erst zurechtlecken müßte, wie die Alten gefabelt haben. Sie sind etwa von der Größe eines Meerschweinchens, erreichen aber in drei Monaten die Größe eines Pudels, sind einen Monat lang blind und saugen drei Monate. Der B. wächst mindestens sechs Jahre und erreicht ein hohes Alter; man hat Bären 50 Jahre in der Gefangenschaft gehalten, und eine Bärin zu Bern bekam noch im 31. Jahr Junge. Mit Eintritt strengerer Kälte legt sich der B., der um diese Zeit meist sehr fett ist, schlafen, entweder in einem hohlen Baum, oder in einem Felsenloch, oder auch in einem Dickicht, in welchem er sich mit abgebrochenen Stämmen bedeckt. Die Bärin macht sich ein Lager aus Zweigen, Laub, Gras und Moos. Im Frühjahr kommt er wieder hervor, bei gelinder Witterung auch früher, die Bärin etwas später mit ihren Jungen. Der Bärin Liebe zu ihren Jungen ist ungemein groß, der männliche B. hingegen fräße sie auf, und das Weibchen muß ihn daher mit tüchtigen, mit den Vorderbeinen erteilten Schlägen abtreiben. Daß der B. musikalischen Sinn hat, ist bekannt; den Takt kann er genau einhalten. Klug kundschaftet er auf hohen Bäumen mit scharfem Geruch, Gehör und Gesicht eine Gegend aus. Im allgemeinen aber ist er dumm, gleichgültig und träge; List und Erfindungsgabe sind ihm fremd, er verläßt sich auf seine gewaltige Kraft, entwickelt aber nie die gierige Mordlust andrer Raubtiere. Feuer fürchtet er, darum sucht man die Herden, besonders Schafherden, die er am liebsten aufsucht, bei Nacht durch Feuer zu sichern. In der Gefangenschaft bleibt er immer grob und gefährlich. Die Bärenjagd ist nur für ruhige, sichere Jäger gefahrlos. Das Fleisch des jungen Bären ist schmackhaft; auch geräucherte Bärenschinken und Bärentatzen werden des Wohlgeschmacks wegen gerühmt. Sonst waren das Fett und die Galle des Bären offizinell, und noch jetzt glauben viele Leute, daß das Bärenfett den Haarwuchs befördere. Der Pelz ist sehr geschätzt. Den Zähnen und Klauen werden in Rußland geheime Kräfte beigelegt. Vereinigt man alle Formen der Landbären zu einer Art, so findet sich diese von Spanien bis Kamtschatka, von Lappland und Sibirien bis zum Atlas, Libanon und dem nördlichen Himalaja. Früher hat der B. wohl ganz Europa bewohnt; jetzt findet man ihn nur noch auf den Hochgebirgen: Pyrenäen, Alpen, Karpathen, Balkan, Skandinavisches Gebirge, Kaukasus, Ural, und in deren nächster Umgebung, in Rußland, Nord- und Mittelasien, Syrien, Palästina, Tibet. Die Bären, welche bei uns als Tanzbären herumgeführt werden, stammen in der Regel vom südlichen Abhang der Alpen oder aus dem östlichen Teil der Karpathen. In England, dem mittlern und nördlichen Deutschland gibt es keine Bären mehr; in Frankreich und Deutsch-Österreich sind sie fast gänzlich ausgerottet. Auf dem Thüringer Wald ist der letzte in der Mitte des vorigen Jahrhunderts in der Nähe von Katzhütte erlegt worden; in der Gegend von Traunstein in Bayern dagegen ward noch 1835 einer geschossen. Früher kam der B. auch auf dem Fichtelgebirge häufig vor. In Savoyen, Tirol, im bayrischen Hochland, bei Salzburg und in Kärnten kommen jetzt noch Bären vor, doch kaum als ständige Bewohner. Im österreichischen Kaiserstaat wurden 1835-1841 jährlich im Durchschnitt 209 erlegt. Vorzüglich häufig sind sie in einigen Gegenden Ungarns. Auch in der Schweiz gibt es immer noch Gegenden, wo Bären Unfug stiften, namentlich im Thal Medels und über St. Jakob an der Oberalp; in Graubünden sollen 1861: 4-5 Stück erlegt worden sein. Auch die Pyrenäen und asturischen Gebirge, die Abruzzen und der Balkan beherbergen Bären. In Norwegen wurden von 1846 bis 1850: 1324 Bären erlegt, und auch in Schweden finden sich dieselben in großer Menge; 1835 wurden allein im Bereich der Staatsjagden 144 erlegt, 1838: 98.

Bei den Griechen (besonders in Arkadien und Attika) war der B. als das stärkste Tier des Waldes der Waldgöttin Artemis heilig (vgl. Bachofen, Der B. in den Religionen des Altertums, Bas. 1863). Im altdeutschen Tierepos erscheint er als der König der Tiere, und der altnordische, slawische, finnische und lappische Volksglaube feiert ihn als ein höheres, heiliges Wesen, dem menschlicher Verstand und die Stärke von zwölf Männern innewohne. Er heißt Waldkönig, Goldfuß, Honighand etc., aber auch der alte Großvater etc. Als Symbol der Stärke war er dem Gotte Thor geweiht, der selbst den Namen B. (Biörn) führte. Bärenblut war der Trunk der Helden. Auch in den altdeutschen Namen spielt der B. eine große Rolle (Bernhard, Bernold, Berengar, Bernswind u. a.), nicht minder als Wappentier in der deutschen Heraldik und zwar nicht selten als sogen. redendes Wappen, z. B. in den Wappen vom alten Berlin, Bern, Bernburg etc. Die Bärenjagd wurde im Mittelalter in Deutschland und Frankreich mit Vorliebe geübt und gehörte zu den ritterlichen Übungen; später ließ man gefangene Bären mit großen Hunden kämpfen, und die Fürsten pflegten die von den Hunden festgemachten Bären selbst abzufangen. In Paris hetzte man noch zu Anfang dieses Jahrhunderts angekettete Bären mit Hunden, und in Madrid ließ man noch in der neuesten Zeit Bären mit Stieren kämpfen. Auch im Altertum fand man an Bärenkämpfen Gefallen; Kaiser Gordian brachte an Einem Tag an 1000 Bären in die Arena. Diese Bären erhielten die Römer hauptsächlich vom Libanon (nicht aus Nordafrika).

Der syrische oder Isabellbär (U. Isabellinus), vielleicht nur eine Spielart unsers braunen Bären, hat langes, leicht gekräuseltes Haar, sehr dichtes, zwischen dem Grannenhaar sich hervordrängendes Wollhaar und eine Art Mähne; er ist in der Jugend graubraun, im Alter fast rein weiß, bewohnt das gebirgige Palästina, besonders den Libanon, und richtet auf den Feldern oft großen Schaden an. Diese Art ist der B. der Bibel und ohne Zweifel auch der weiße B. der Römer. Der Baribal (Muskwa, Schwarzbär, U. americanus Pall., s. Tafel "Raubtiere I") wird 2 m lang bei etwa 1 m Schulterhöhe. Sein Kopf ist schmal, die Schnauze spitz; seine kahlen Sohlen sind kurz, sein schwarzer Pelz besteht aus langem, straffem, glattem Haar; an beiden Seiten der Schnauze ist er fahlgelb. Er wohnt in ganz Nordamerika, nährt sich vorzugsweise von Vegetabilien und Honig, verfolgt aber auch das Herdenvieh und thut dem Landwirt vielen Schaden; er ist indes ungleich harmloser als der Grislybär und greift den Menschen höchst selten ungereizt an, seine Jagd gilt aber wegen der großen Lebenszähigkeit des Tiers als sehr gefährlich. Die Indianer haben feierliche Gebräuche zur Versöhnung des erlegten Bären, welche einer gottesdienstlichen Verehrung ähnlich sind. Der Baribal ist gewandter als der braune B., verbringt den Winter in einem verborgenen Lager, oft vom