Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Bevölkerung

851

Bevölkerung (Statistik; Volksdichtigkeit).

den statistischen Thatsachen sich ergebenden allgemeinen Gesetze und Regelmäßigkeiten aufstellt und begründet; 3) die Bevölkerungspolitik, welche die Aufgaben behandelt, die sich aus jenen Thatsachen und Regelmäßigkeiten für das öffentliche Leben, insbesondere für ein ordnendes Eingreifen der Staatsgewalt, ergeben.

Die ersten Keime dieser Wissenszweige reichen zum Teil bis in das Altertum zurück. Man suchte zu bestimmten Zwecken (Besteuerung, politische Verfassung etc.) die Volkszahl zu ermitteln. Mit fortschreitender politischer Entwickelung erkannte man nicht allein in der Volkszahl eine wichtige Bedingung für Kraft und Wohlstand des Staats, sondern man war auch mit weiterer Ausbildung des Verkehrs genötigt, die einzelne Person als Trägerin von Rechten und Pflichten bestimmt zu bezeichnen. So entstanden die Listen für Geburten, Heiraten und Sterbefälle. Die ersten Zivilstandsregister sollen in Frankreich unter Franz I. in der ersten Hälfte des 16. Jahrh., gleichzeitig unter Heinrich VIII. in England, in Deutschland erst 1573 durch Kurfürst Johann Georg von Brandenburg eingeführt worden sein. Die mit Hilfe dieser Listen gewonnenen Erfahrungen, welche schon frühzeitig zur Errichtung von Rentenanstalten Veranlassung gaben, wurden durch fortgesetzte Beobachtungen und Untersuchungen, insbesondere durch Berechnungen bedeutender Mathematiker, wie Euler, Laplace, vervollständigt.

Bevölkerungsstatistik.

(Hierzu die vier bevölkerungsstatistischen Kärtchen, nebst Tabelle.)

Die erste praktische Anwendung solcher Berechnungen, welche einen wichtigen Abschnitt der politischen Arithmetik bilden, machte der Lord-Mayor von London, John Graunt, in einer 1662 erschienenen Schrift. Er fand bald Nacheiferer in seinen Landsleuten Petty, Shorts, King, Davenant u. a. In Holland wendeten vornehmlich Kerseboom und Struyck, in Schweden Wargentin, in Frankreich Déparcieux und Duvillard dieser Wissenschaft ihre Bemühungen zu. In Deutschland geschah dies vorzüglich erst in den Zeiten der Physikotheologie, welche alle Erscheinungen in der Natur auf die Absichten der Allweisheit Gottes bei der Schöpfung zurückzuführen suchte und nun auch in den arithmetischen Lebensgesetzen hauptsächlich die lenkende Hand Gottes und einen neuen Beweis seiner Herrlichkeit erblickte. So entstand das berühmte Werk Süßmilchs: "Die göttliche Ordnung in denen Veränderungen des menschlichen Geschlechts etc." (Berl. 1742; 4. Aufl. von Baumann, das. 1775), welchem sich die Arbeiten von Schlözer, v. Justi, Biester u. a. anreihten. Insbesondere lieferten schätzbare Beiträge: Odier in Genf, Finlaison in England, Châteauneuf und Villermé in Frankreich, Friedländer, Butte ("Grundriß der Arithmetik des menschlichen Lebens", Landsh. 1811), Casper ("Lebensdauer des Menschen", Berl. 1835), Chr. Bernoulli ("Handbuch der Populationistik", Ulm 1840 u. 1843) in Deutschland. Eine echt wissenschaftliche Bearbeitung erfuhr die Bevölkerungslehre vorzüglich durch die belgischen Statistiker Quételet ("Sur l'homme, ou essai de physique sociale", Par. 1835; deutsch von Riecke, Stuttg. 1838; neu bearbeitet unter dem Titel: "Physique sociale", Brüss. u. Par. 1869, 2 Bde.), Heuschling und Vischers, in Deutschland durch Engel (bis 1882 Direktor des königlich preußischen Statistischen Bureaus), dann durch Wappäus ("Allgemeine Bevölkerungsstatistik", Leipz. 1859-1861, 2 Bde.), R. Böckh ("Der Deutschen Volkszahl und Sprachgebiet in den europäischen Staaten", Berl. 1870), G. F. Knapp ("Theorie des Bevölkerungswechsels", Braunschw. 1874), Lexis ("Einleitung in die Theorie der Bevölkerungsstatistik", Straßb. 1875), G. Mayr ("Die Gesetzmäßigkeit im Gesellschaftsleben", Münch. 1877), H. Schwabe u. a., E. Behm und H. Wagner ("Die B. der Erde", Gotha 1872 ff., bis jetzt 7 Bde., als Ergänzungshefte zu "Petermanns Geographischen Mitteilungen").

Die Wissenschaft der B. befaßt sich zunächst mit der Ermittelung des derzeitigen Zustandes einer bestimmten Volksmenge, ihrer Zahl und Eigenschaften (Stand der B.), dann mit Erforschung und Erklärung der Veränderung dieses Zustandes (Gang, Bewegung, Wachstum der B.).

Die Ermittelung von Stand und Bewegung der B. erfolgt teils direkt durch systematische Aufzeichnungen (Zivilstandsregister, Steuerkataster etc.) und Zählungen, teils indirekt durch Schätzung und Berechnung. Die indirekte Methode knüpft an Verhältnisse an, welche zur Zahl in Beziehung stehen (Zahl der Familien, Wohnhäuser, der Geburten, Sterbefälle etc.). Dieselbe führt nur unter bestimmten Voraussetzungen (Unveränderlichkeit der gesamten Volkszahl, genaue Ermittelung von Aus- und Einwanderung etc.) zu richtigen Ergebnissen und bildet, wenn sie sich nicht auf vorausgegangene Zählungen stützen kann, einen wenig brauchbaren Notbehelf. Ganz unzuverlässig ist das Verfahren, nur einen Teil des zu beobachtenden Gebiets auszuzählen und das gewonnene Ergebnis auf das ganze Gebiet nach dem Verhältnis seiner Größe anzuwenden. Denn die Voraussetzung, auf welche es sich stützt, daß der Teil gleichsam eine Verjüngung des Ganzen darstelle, wird in der Praxis nicht erfüllt. Sonach bildet eine unumgängliche Grundlage der Bevölkerungsstatistik die direkte Auszählung, welche von Zeit zu Zeit zu wiederholen und inzwischen durch fortlaufende Aufzeichnungen und Berechnungen zu ergänzen ist (s. Volkszählungen).

Zu unterscheiden sind absolute und relative B. Die erstere, welche die Einwohnerzahl eines ganzen Zählgebiets angibt, ist von Bedeutung für Beurteilung der volkswirtschaftlichen, militärischen und finanziellen Leistungsfähigkeit eines Volkes. Schwierig ist bei der heutigen Verkehrsentwickelung die Ermittelung der rechtlichen (ortsansässigen, am Zählungsort heimatsberechtigten, bez. staatsangehörigen) B., weil hierbei Abwesende zu berücksichtigen und die Angaben der Anwesenden richtig zu stellen sind; dieselbe hat eine besondere Bedeutung, wenn sie als Maßstab der politischen Rechte und Pflichten dient. Leichter ist die Zählung der faktischen oder thatsächlichen B. Als solche gilt einmal die Wohnbevölkerung, d. h. diejenige, welche sich regelmäßig dauernd an einem Ort aufhält, dann die rein faktische, d. h. diejenige, welche augenblicklich sich am Ort befindet. Letztere wird in Deutschland gezählt, wobei jedoch neben der rein faktischen auch die Wohnbevölkerung ermittelt werden kann; erstere zählen die Niederlande, wobei freilich die Bestimmung des Begriffs "dauernde Anwesenheit", die Zuzählung abwesender Ortsangehörigen und die Ausscheidung von anwesenden Fremden große Schwierigkeiten bereiten.

Volksdichtigkeit. Übervölkerung.

Die relative oder spezifische B. gibt das Verhältnis der Volkszahl zum Flächeninhalt des Zählgebiets (durchschnittliche B. der Flächeneinheit) oder die Volksdichtigkeit an. Dieselbe ist von Land zu Land, dann in einzelnen Teilen eines und desselben Landes sehr verschieden, wie folgende Tabelle zeigt.