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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Brasilien

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Brasilien (Flora und Fauna).

zonenstroms unter dem Einfluß des Tropenklimas und bei dem Wasserreichtum des Landes eine Triebkraft und eine Fülle wie selten auf der Erde. In pflanzengeographischer Hinsicht zerfällt B. in drei Zonen: die Hyläa des Amazonasgebiets, die Küstenzone und die des Binnenlandes. In dem Urwald des Amazonenstromgebiets unterscheidet der Naturforscher Bates drei verschiedene Arten der Ufervegetation: 1) die niedrigen Alluvialablagerungen von Sand und Schlamm, die mit breitblätterigen, hohen Gräsern (darunter das an 5 m hohe Pfeilgras) bewachsen sind, und wo der Trompetenbaum der einzige höhere Baum ist; 2) die mäßig hohen, nur teilweise in der Regenzeit überfluteten Ufer mit Waldungen, in denen Palmenarten und breitblätterige Marantaceen vorherrschen (drei Viertel des obern Amazonenflußgebiets gehören hierher); 3) den noch höher liegenden, wellenförmigen, in größern Zwischenräumen auftretenden Lehmboden, wo die Waldungen weniger den Charakter eines undurchdringlichen Gewirrs tragen und die Palme seltener wird. Die Mündungen der an der Nordküste Brasiliens in den Ozean fallenden Ströme tragen an ihrem westlichen Ufer dichte Wälder von Manglebäumen und anderm Gehölz, während die östlichen mit Sanddünen besetzt sind, welche, durch die Passatwinde weitergetrieben, unaufhaltsam gegen W. fortrücken. Vom Wendekreis bis nördlich zur Breite von Pernambuco ist das Gebiet der Bergwälder, denen das Küstenland seinen Quellenreichtum und seine fruchtbare Feuchtigkeit zu verdanken hat. Zwischen den hochstämmigen und astlosen Palmen wuchern neben mannigfachem Unterholz riesenhafte Farnkräuter und breitblätterige Helikonien, während von den Wipfeln buntblumige Lianen in malerischem Gewirr herabhängen; doch tragen diese Wälder, die hier und da von mit Farnen und Flechten bewachsenen Sandflächen oder von unzugänglichen, dicht mit Manglen bewachsenen Morästen unterbrochen werden, einen lichtern Charakter als die am Amazonenstrom. Im hohen Wald herrschen Palmen, Lorbeeren, Feigen, Kassien und Bignonien vor. Ein großartiger Urwald breitet sich um Rio de Janeiro aus; in ihm zeichnen sich namentlich die stachligen Wollbäume aus. In den höhern Gebirgsregionen verschwinden die Wälder; Mimosen- und Akaziengebüsche und Gräser treten an ihre Stelle. In dem bald ebenen, bald hügeligen Küstenstrich nördlich von Pernambuco endlich findet sich infolge der Trockenheit nur eine mäßige Vegetation; nur an den Flußläufen und auf den Höhenzügen gibt es hier und da lichte Wälder, welche in den trocknen Monaten stets ihre Blätter verlieren und, falls der seltene Regen ausbleibt, selbst jahrelang gar keine Blätter treiben. Unter den edlen und nutzbringenden Bäumen und Pflanzen, an welchen die Wälder Brasiliens Überfluß haben, sind zu erwähnen von Farbhölzern: das Brasilholz, der rote Manglebaum, das Gelbholz, der Urucustrauch; von gerbstoffhaltigen Pflanzen: die Rhizophoren der Küsten, der Barbatimao, der Santa Rita und der Aracabaum; von Gewürz- und Medizinalpflanzen: die Ipekakuanha, die Copaifera officinalis; weiter der die für die Ausfuhr so außerordentlich wichtigen Paranüsse liefernde Castanheiro (Bertholletia excelsa), die Seringeira (Siphonia elastica), die Sapucaya (Topfbaum), der neben Nutzholz einen wohlschmeckenden Milchsaft produzierende Kuhbaum, die Miritipalme, die Piassavapalme, die Wachspalme, die Babunhapalme, Cinchonenarten, Kakaobaum, der Sassaparillestrauch, Ilex paraguayensis (Paraguaythee), Guaranastrauch, Palisanderbaum, Zedernarten und andre wertvolle Hölzer liefernde Bäume, wie Louro, Peroba, Tapinhoa, Sacupira, Arroeira, Eisenholz, Araucaria brasiliensis u. a. Von den Produkten des brasilischen Waldes haben einen größern Handelswert das Kautschuk, welches die Indianer aus der im Hyläagebiet einheimischen Seringueira gewinnen, und wovon jährlich für 2½ Mill. Mk. exportiert wird, der Paraguaythee oder Herva Maté, welcher in außerordentlichen Quantitäten im Land konsumiert wird und auch schon einen wichtigen Exportartikel bildet, die schon genannte Paranuß, das schöne Jakaranda- und das Rosenholz und Farbhölzer. In den Küstenstrichen hat sinnlose Waldverwüstung aber schon furchtbar ausgeräumt, so daß die Einfuhr von Bau- und Möbelhölzern größer ist als die Ausfuhr. Auch an Faserstoffen, Gerberrinde, Ölpflanzen ist B. reich. Von den Kulturpflanzen, welche jetzt volkswirtschaftlich eine so hohe Stelle einnehmen, sind Tabak, Baumwolle und Kakao einheimisch, Kaffee und Zuckerrohr aber eingeführt.

Die einheimische Fauna zählt von größern Raubtieren: die Unze oder den Jaguar und den Puma oder Silberlöwen (Kuguar), ferner mehrere kleine Tigerkatzenarten, den Guara (Canis jubatus), einen Schakalfuchs (C. brasiliensis), den wegen seines Pelzes wertvollen Mephitis suffocans u. a. Charakteristisch sind die Edentaten, das Ai oder Faultier, das Tatu oder Gürteltier und Ameisenbären. Unter den 50 Affenarten, die sämtlich mit Wickelschwänzen versehen sind, nehmen die Brüllaffen die erste Stelle ein. Unter den 30 Arten von Blattnasen sind die blutsaugenden Fledermäuse charakteristisch. Stachelschweine sind zahlreich; der Tapir, das größte unter den brasilischen Tieren, früher äußerst zahlreich, ist jetzt selten. Von Wiederkäuern gibt es nur Hirsche, B. besitzt aber mehrere Arten Beuteltiere. Sehr groß ist die Mannigfaltigkeit der brasilischen Vögel, die sich zumeist auch durch glänzende Farbenpracht auszeichnen. Hervorzuheben sind: der Nandu oder amerikanische Strauß, der in Herden die Campos bewohnt, die rote Löffelgans, der rote Ibis, eine große Menge Papageienarten, der Chaija oder Taha, Seriema, Tangara, Taucher, Tukan oder Pfefferfresser, zahllose Kolibris etc. Nicht geringer ist die Mannigfaltigkeit der Reptilien, unter denen von Schlangen die Boa, welche von den Indianern gegessen wird, die Klapperschlange, Kurukuku, Urutu, Jararaka, Sukuri etc. hervorzuheben sind. Von Sauriern gibt es auch mehrere Arten Alligatoren nebst vielen kleinern Arten; an der Küste und in den Flüssen leben mehrere Schildkröten, die namentlich am Amazonenstrom als Nahrungsmittel von Wichtigkeit sind. An Insektenarten, besonders Bienen mit vorzüglichem Honig, Moskitos, Ameisen (Cupim), Sandflöhen, schönen Tag- und Nachtschmetterlingen, ist B. überaus reich. Bates hat deren 14,000 Spezies gesammelt (darunter in der Umgegend der Stadt Pará allein 700 Spezies Schmetterlinge). Nicht minder ungeheuer ist der Reichtum Brasiliens an Fischen, deren Agassiz neuerdings allein im Amazonenstrom 1163 neue Spezies aufgefunden hat, was mehr ist, als das ganze Mittelmeer überhaupt aufzuweisen vermag. Der Fischfang in den Strömen wie an den Küsten kann daher für das Land eine große Quelle des Erwerbes werden, und so gibt es noch viele andre, die eine dichtere und intelligentere Bevölkerung künftig aufsuchen und benutzen wird. Die von den Europäern eingeführten Rinder und Pferde haben sich erstaunlich vermehrt; den Schafen sagt das Land weniger zu.