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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Auswanderung).

ausschließlich, Frankreich und Dänemark in geringer Zahl, endlich Rußland, insbesondere die Ostseeprovinzen und Polen, an. Die Gesamtzahl der Deutschen auf der Erde (in diesem Sinn) wird auf ca. 70 Mill. zu schätzen sein. Obwohl über die Aus- und Einwanderung Deutschlands keine vollständigen Nachweise vorhanden sind, reicht doch das Material für eine Schätzung aus. Danach dürfte die Zahl der Deutschen im Ausland mit noch deutscher Reichsangehörigkeit ungefähr 1½ Mill. betragen, während wenigstens 3 Mill. in D. oder von deutschen Eltern geborne Personen sich außerhalb des Reichs befinden mögen. Der Zahl nach nehmen die Vereinigten Staaten von Amerika den ersten Platz ein, es folgen der Reihe nach: Rußland, Kanada, Österreich-Ungarn, die Schweiz, Frankreich, Brasilien, Australien, die Niederlande, England, Belgien, Dänemark etc. Auch ist der besondere Teil der Auswanderer, welcher mit der offenbaren Absicht, zurückzukehren, also nur vorübergehend, das Land verläßt, nicht geringfügig.

In diesem Jahrhundert sind drei Zeiträume für die Auswanderung von hervorragender Wichtigkeit. Der erste umfaßt die Jahre 1852-54, wo die Anziehungskraft der fremden Goldfelder etc. wirkte; der zweite begann mit dem Jahr 1866 und dauerte bis 1873, d. h. die Jahre nach den Kriegen von 1866 und 1870/71; der dritte Zeitraum endlich wurde im Jahr 1880 eröffnet und erreichte 1881 (mit 220,798 nachgewiesenen deutschen Auswanderern über deutsche Häfen, Antwerpen und Havre) seinen Höhepunkt. Für die erste und zweite Periode wurden durchschnittlich jährlich etwa 100,000 deutsche Auswanderer nach überseeischen Ländern über die oben genannten Häfen nachgewiesen, in der dritten Periode (1880-84) jedoch sogar über 160,000 durchschnittlich jährlich.

Von den in dem 14jährigen Zeitraum 1871-84 amtlich nachgewiesenen 1,309,272 deutschen Auswanderern (über deutsche Häfen und Antwerpen) gingen 955,5 pro Mille nach den Vereinigten Staaten von Amerika, 20,7 nach Brasilien, 11,2 nach Australien, 6,5 nach hier nicht genannten Teilen von Amerika, 2,5 nach Britisch-Nordamerika, 2,2 nach Afrika, 0,7 nach Westindien, 0,4 nach Mexiko und Zentralamerika, 0,3 pro Mille nach Asien. Über Bremen wurden befördert 648,930, über Hamburg 531,670, über Antwerpen 121,043, über preußische Häfen (meist Stettin) 7629.

Seitdem die Personenbeförderung auf weite Entfernungen billiger, bequemer und ungleich schneller geworden ist, bleibt die Auswanderung nicht wie vordem vorzugsweise auf männliche Personen im produktiven Alter und mit thatsächlicher Erwerbsfähigkeit gerichtet. Im J. 1884 z. B. waren von 143,586 überseeischen Auswanderern 62,497 weiblichen Geschlechts, von den 57,773 Einzelpersonen waren 17,387 Frauen. Diesen Einzelpersonen standen 23,093 Familien gegenüber mit 40,703 männlichen, aber 45,110 weiblichen Mitgliedern. Die Auswanderer verteilten sich prozentual nach Altersklassen im Vergleich zu der in Klammern beigefügten Verteilung der Gesamtbevölkerung: es waren 0-14 Jahre alt 28 (33) Proz., 14-21 Jahre 19 (14) Proz., 21-50 Jahre 47 (37) Proz., 50 Jahre und darüber 6 (16) Proz.

Somit bilden die produktiven Altersklassen immer noch in hervorragendem Maß die Kontingente für die Auswanderung; doch herrscht in den verschiedenen Teilen des Reichs in dieser Beziehung ein großer Unterschied, indem die südlichen Staaten verhältnismäßig mehr Personen aus den produktiven Altersklassen stellen als die preußischen Gebiete und namentlich als die Großherzogtümer Mecklenburg, wo Frauen und Kinder an der Auswanderung weit mehr beteiligt sind. Nach den Angaben über den Beruf der deutschen Auswanderer über Hamburg ist der Anteil der einzelnen Hauptabteilungen ein mit den Perioden und Jahren vielfach wechselnder. Als der Landwirtschaft zugehörig waren 1871-72: 37 Proz. der Auswanderer bezeichnet, 1876-79: 26 Proz., 1881-82: 20 Proz., während die Klasse der Arbeiter ohne nähere Bezeichnung bez. 18, 17 und 32 Proz. stellte. Im nördlichen D. überwiegt entschieden der landwirtschaftliche Beruf bei den Auswanderern, gleichzeitig ist der Anteil der Arbeiter ein bedeutender, wogegen im mittlern und südlichen D. die Gruppen der Industrie und des Handels mehr hervortreten. Unter Hinweis auf die produktiven Altersklassen ist zu bemerken, daß beim Handel der Prozentsatz der Selbstthätigen 80-90 Proz. ausmacht, bei der Industrie nahezu 70 Proz., bei der Landwirtschaft jedoch sowie bei der Gruppe "Arbeiter" 45-50 Proz. der betreffenden Auswanderer, bei allen Berufen zusammen etwa 60 Proz. (in der Reichsbevölkerung 42 Proz.). Eine gleiche Verschiedenheit wie unter den verschiedenen Berufsgruppen in Bezug auf das Verhältnis der Selbstthätigen zeigt sich in den verschiedenen Gebietsteilen des Deutschen Reichs, indem Württemberg mit 80 Proz. selbstthätiger Auswanderer den beiden Mecklenburg mit nur 40-45 Proz. gegenübersteht.

Über die Berufsarten der in die Vereinigten Staaten von Amerika Eingewanderten gibt ein amerikanischer Bericht folgenden Aufschluß: Danach waren eingewandert im Etatsjahr 1882/83: 194,786 Deutsche, von denen 857 Künstler, Schriftsteller, Ärzte, Chemiker u. a. waren, 25,190 gelernte Handwerker, 16,961 Farmer, 25,586 Tagelöhner, 3357 Dienstboten, 117,161 ohne Berufsangabe, meist Frauen und Kinder. Gelernte Handwerker (Bäcker, Tischler, Schneider, Schuhmacher, Schlächter etc.), ferner Landwirte und Tagelöhner, zumeist landwirtschaftliche, sind am meisten an der Auswanderung beteiligt, während in andern Ländern die Anteile der einzelnen Berufsarten erheblich abweichende sind.

Von den 1880 in den Vereinigten Staaten gezählten 1,966,742 Personen, die D. als Geburtsland angegeben hatten, waren 1,033,190 oder 52 Proz. erwerbsthätig gegen 60 Proz. der dorthin ausgewanderten Deutschen, woraus hervorgeht, daß zahlreiche nicht verheiratete Auswanderer drüben bald eine Familie gründen und zur Vermehrung des deutschen Stammes beitragen. Ferner findet sich, daß viele in Amerika Eingewanderte statt ihres hier ausgeübten Berufs einen andern ergreifen, was einmal erfahrungsmäßig feststeht, dann aber auch besonders aus den Zahlen einzelner Berufsarten hervorgeht, welche eine längere Lehrzeit nicht erfordern. Am deutlichsten zeigt sich dieses bei dem Gewerbe der Gast- und Schenkwirtschaft, indem 1870-82 von den Auswanderern über Hamburg nur 0,3 Proz. diesem Gewerbe angehörten, von den erwerbstätigen Deutschen in Nordamerika jedoch 3,3 Proz. und während 15 Proz. der erwerbstätigen Auswanderer Landwirte waren, zählt der amerikanische Zensus von 1880 bei den erwerbsthätigen (gebornen) Deutschen 22,6 Proz. selbständige Landwirte. Von den Erwerbstätigen im Deutschen Reich sind 12 Proz. als selbständige Landwirte ermittelt. Ein wesentlich andres Gepräge haben die Deutschen (meistens deutsche Staatsangehörige) im europäischen Ausland, denn nicht weniger als 70 Proz. derselben sind erwerbstätig, und einem bedeutenden Prozentsatz der in der Industrie und im Handel Thätigen steht nur eine geringe Quote (6-7