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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Deutschland

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Deutschland (Rechtsgebiete; Finanzwesen).

delsrichtern. Die Berufungs- und Beschwerdeinstanz für die Entscheidungen der Landgerichte sind die kollegialischen Oberlandesgerichte. Revisionsinstanz für die zweitinstanzlichen Endurteile der Oberlandesgerichte bei einer Revisionssumme von mindestens 1500 Mk. ist das Reichsgericht. Für diejenigen Staaten, welche mehrere Oberlandesgerichte haben, ist die Errichtung eines obersten Landesgerichtshofs nachgelassen, von welchem über die sonst vor das Reichsgericht gehörigen Revisionen und Beschwerden zu entscheiden ist, sofern es sich um landesrechtliche Justizsachen handelt. Von dieser Befugnis hat Bayern Gebrauch gemacht. In Strafsachen besteht folgende Dreiteilung: schwere Verbrechen werden von den Schwurgerichten, Übertretungen und leichte Vergehen von den Schöffengerichten abgeurteilt; alle sonstigen Verbrechen und Vergehen gehören vor die Strafkammern der Landgerichte. Berufung ist nur gegen Urteile der Schöffengerichte zulässig und zwar an die Strafkammern der Landgerichte. Revisionen gegen Urteile der Strafkammern in der Berufungsinstanz werden von den Oberlandesgerichten erledigt, ebenso Revisionen gegen die erstinstanzlichen Erkenntnisse der Strafkammern, wenn sie ausschließlich auf die Verletzung einer in den Landesgesetzen enthaltenen Rechtsnorm gestützt werden; sonst gehen dieselben an das Reichsgericht. Als besondere Gerichte sind zugelassen: 1) die Rheinschiffahrts- und Elbzollgerichte; 2) die Gerichte, welche sich mit der Auseinandersetzung in Separationssachen, bei Ablösungen, Konsolidationen u. dgl. zu beschäftigen haben; 3) Gemeindegerichte in geringfügigen Fällen; 4) Gewerbegerichte; 5) Militärgerichte, deren Jurisdiktion sich jedoch auf Strafsachen beschränkt. Die Staatsanwaltschaft wird bei dem Reichsgericht durch einen Oberreichsanwalt und durch Reichsanwalte, bei Oberlandesgerichten, Landgerichten und Schwurgerichten durch Staatsanwalte und bei den Amts- und Schöffengerichten durch Amtsanwalte ausgeführt. (Näheres über die Justizorganisation s. in den Artikeln über die Einzelstaaten.) Eine einheitliche Gesetzgebung über die in den Kompetenzkreis des Reichs fallenden Gegenstände ist zum Teil geschaffen, auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts in der Vorbereitung begriffen.

Zur Zeit bestehen für das Privatrecht noch die drei großen Rechtsgebiete des preußischen Landrechts, des französischen und des gemeinen deutschen Rechts.

Das preußische Landrecht gilt im größten Teil des preußischen Staats, nämlich in den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Berlin, Brandenburg, Pommern mit Ausschluß der neuvorpommerschen Kreise Greifswald, Grimmen, Franzburg, Stralsund und Rügen, in Posen, Schlesien und Sachsen, im Regierungsbezirk Aurich mit Ausschluß des Stadtbezirks Wilhelmshaven, in der Stadt Duderstadt und dem Amt Gieboldehausen (Regierungsbezirk Hildesheim), in Westfalen sowie den rechtsrheinischen Kreisen des Regierungsbezirks Düsseldorf: Rees, Duisburg, Mülheim a. d. Ruhr, Essen Land und Stadt Essen; außerdem in den ehemals preußischen, jetzt bayrischen Fürstentümern Ansbach und Baireuth.

Die Geltung des französischen Rechts erstreckt sich auf die preußischen Rheinlande mit Ausschluß der im Gebiet des preußischen Landrechts belegenen Kreise des Regierungsbezirks Düsseldorf, des Kreises Meisenheim und des rechts vom Rhein und links von der Sieg belegenen Teils des Regierungsbezirks Koblenz, zu welchem auch die Rheininseln gehören. Ferner gilt französisches Recht in Elsaß-Lothringen, in der bayrischen Pfalz, in Rheinhessen und (in besonderer Kodifikation) in Baden. Das Rechtsgebiet des französischen Rechts ist ein in sich geschlossenes, innerhalb dessen nur im Kreis Meisenheim andres (und zwar gemeines deutsches) Recht gilt.

Das gemeine deutsche Recht, modifiziert durch zahlreiche einzelne Partikulargesetze, hat seine Geltung in den preußischen Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover mit Ausnahme von Ostfriesland und des zum Eichsfeld gehörigen Teils des hildesheimischen Kreises Osterode am Harz, in Hessen-Nassau, im Kreis Meisenheim und im rechtsrheinischen, links der Sieg gelegenen Teil des Regierungsbezirks Koblenz sowie in Hohenzollern und den schon erwähnten neuvorpommerschen Kreisen. Ferner gilt gemeines deutsches Recht im Königreich Bayern mit Ausschluß der Rheinpfalz und der Fürstentümer Ansbach und Baireuth, im Königreich Württemberg, in Hessen mit Ausnahme von Rheinhessen, in Sachsen-Weimar, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Koburg-Gotha, im Königreich Sachsen (in besonderer Kodifikation), in Anhalt, in Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen, in Reuß ältere und jüngere Linie, in Waldeck, in Schaumburg-Lippe und Lippe, in Braunschweig, in Oldenburg, in Mecklenburg-Schwerin, in Mecklenburg-Strelitz und in den freien Hansestädten Hamburg, Lübeck und Bremen. Das Rechtsgebiet des gemeinen deutschen Rechts ist ein gleichfalls geschlossenes und erstreckt sich von der jütischen Grenze ununterbrochen bis zum Bodensee. Exklaven desselben im Gebiet des preußischen Landrechts bilden Anhalt, die Unterherrschaften von Schwarzburg-Rudolstadt und Schwarzburg-Sondershausen sowie kleinere, zu Mecklenburg-Schwerin, Braunschweig, Sachsen-Weimar und Sachsen-Koburg-Gotha gehörige Gebietsteile. Im Gebiet des französischen Rechts liegt die Exklave Meisenheim. Vgl. Deutsches Recht, wo ein Überblick über die Entwickelung der neuern deutschen Gesetzgebung gegeben ist.

Finanzwesen des Deutschen Reichs.

Wie jeder Staat, so ist auch der deutsche Gesamtstaat eine vermögensrechtliche Persönlichkeit, welche als Reichsfiskus bezeichnet wird. Zu dem Reichsvermögen gehören die Reichseisenbahnen in Elsaß-Lothringen, der Reichskriegsschatz, welcher im Betrag von 120 Mill. Mk. im Juliusturm zu Spandau bar hinterlegt ist, der Reichsinvalidenfonds, der Reichsfestungsbaufonds und der Fonds zum Bau eines Reichstagsgebäudes. Dazu kommen die zahlreichen Liegenschaften (Kasernen, Postgebäude etc.), welche dem Reich eigentümlich zugehören, und das Mobiliarvermögen, welches sich in der Benutzung der einzelnen Reichsverwaltungen befindet. Als ein wirklicher Staat hat das Deutsche Reich auch den Kredit eines solchen, während sich der frühere Deutsche Bund als bloßer Staatenbund im Fall eines besondern Geldbedarfs auf Vorschüsse einzelner Bundesglieder angewiesen sah. Die Aufnahme von Reichsschulden erfolgt im Weg der Reichsgesetzgebung. Die Reichsschuld ist teils eine verzinsliche, teils eine unverzinsliche, welch letztere durch Reichskassenscheine repräsentiert wird. Laut Gesetz vom 30. April 1874 wurden Reichskassenscheine bis zum Betrag von 120 Mill. Mk. an die Einzelstaaten nach ihrer Bevölkerung verteilt und zur Durchführung der Münzreform die Ausgabe von weitern 54,889,940 Mk. autorisiert. Die Reichsschuld belief sich 1. Okt. 1885 auf rund 430 Mill. Mk. Die Einnahmen und Ausgaben des Reichs als eines konstitutionellen Staats sind unter Mitwirkung der Volksvertretung im Reichshaushaltsetat durch ein Etatsgesetz festzustellen. Die