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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Englische Litteratur

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Englische Litteratur (Zeitalter der Königin Elisabeth).

Sold zu haben. König Heinrich VII. hatte deren zwei, Heinrich VIII. drei; auch reiche Lords und sogar einzelne Klöster nahmen Schauspielerbanden auf längere oder kürzere Zeit in ihre Dienste. Der veränderten Sphäre entsprechend, suchte der witzige John Heywood (gest. 1565) das Schauspiel durch die Anwendung einer neuen Form, der sogen. Interludes, umzugestalten, die, ähnlich den Fastnachtsspielen des 16. Jahrh., derb komische Szenen des Volkslebens darstellen. Aus diesen Zwischenspielen, in denen die Figur des altenglischen Volksnarren Clown eine immer bedeutsamere Stellung gewann, hat sich das eigentliche Lustspiel entwickelt. Der Verfasser einer der ältesten bekannten Komödien ("Ralph Royster Doyster", Schilderung der Liebesmißgeschicke eines Londoner Gecken) war Nicolas Udall (gest. 1557). Nicht volle zehn Jahre später ward die erste regelmäßige Tragödie in England und zwar im Temple zu London aufgeführt. Sie war vermutlich das Werk zweier Autoren und führt den Doppeltitel: "Gorboduc" und "Ferrex and Porrex". Die ersten drei Akte sollen von Thomas Norton (gest. 1584), die zwei letzten von Lord Buckhurst herrühren. Die Dichtung, zwischen deren einzelnen Akten ein die Geschichte moralisierender Chor auftritt, ist besonders dadurch von Wichtigkeit, daß in ihr der Blankvers zum erstenmal (seitdem war es regelmäßig in England der Fall) in der dramatischen Gattung Anwendung fand.

Auf diesen Grundlagen baute sich nun die glänzende Litteratur des Zeitalters der Elisabeth auf Nahmen Surrey und Wyatt mit der italienischen Form auch ihre Entartung und die gesuchten Wendungen des fremden Stils auf, so haftete an den letztern das Heer ihrer Nachahmer, und bis in Shakespeares Dramen spürt man das Wohlgefallen an den Concetti. Die Jagd nach Wortspiel und Witz wurde Manier, die am Hof willig Aufnahme fand, und für diesen Hof schuf John Lilly seinen "Euphues" (1580), der nun zum Gesetzbuch des schwülstigen Hoftons wurde. Dazu kam eine neue Art des Romans, die das gebildete Europa in Entzücken versetzte: Tassos "Aminta", Guarinis "Pastor fido", Montemayors "Diana", und wie die auf romanischem Boden fröhlich emporschießenden Schäferromane alle hießen, reizten auch die germanischen Völker zur bewundernden Nachahmung. Auch England zollte der bukolischen Poesie seinen Tribut. Nach der "Diana" verfaßte Sir Philip Sidney (gest. 1586) den Roman "Arcadia", und Edmund Spenser (gest. 1599) folgte ihm mit seinem "Shepherd's calendar", wie er auch unter der Zahl der Sonettisten (Daniel, Constable, Drayton, Shakespeare) als Stern erster Größe glänzt. Spensers Hauptbedeutung liegt indessen nicht in diesen Konzessionen an den Zeitgeschmack, sondern in seiner umfangreichen epischen Dichtung "The faery queen", in der er sich sprachlich wie formell über die Masse der zeitgenössischen Poeten erhebt. Freilich darf nicht verschwiegen werden, daß er auch hier vieles seinem italienischen Vorbild, dem Ariost, verdankt, und daß das Werk bei aller Üppigkeit der Phantasie, bei allem Reiz der Schilderung unter eintöniger Allegorie leidet. In gleicher arkadischer und petrarchischer Richtung wirkten viele Dichter geringern Ranges, unter denen nur Sir Walter Raleigh (gest. 1618), als Historiker und Lyriker gleich achtbar, Michael Drayton (gest. 1641), Thomas Nash (gestorben um 1600), der Satiriker John Donne (gest. 1631) und der volkstümliche John Taylor (gest. 1654) erwähnt seien. Was das Drama der Epoche anlangt, so hatte der glänzende Erfolg, den die Tragödie "Ferrex and Porrex" gewonnen, zahlreiche Gelehrte zum Nacheifern angelockt. Die Renaissance ließ es nicht unberührt. Von 1559 bis 1566 erschien eine Serie von Übersetzungen der Trauerspiele des Seneca. Nach seinem Vorbild und den Regeln des Aristoteles wollten der gelehrte Sidney, die Gräfin Pembroke, dann die Dichter Samuel Daniel (gest. 1619) und Samuel Brandon ("Vertuous Octavia") die Bühne in eine Szene der Klassizität umschaffen, zum Glück ohne Erfolg. Im J. 1568 ward eine von fünf Gentlemen der Rechtsschule des Inner-Temple verfaßte Tragödie: "Tancred and Gismund", aufgeführt; 1587 folgten "The misfortunes of Arthur" von Thomas Hughes. Seit 1576 besaß London im Blackfriars-Theater ein stehendes Theater, das Schauspielerwesen erfreute sich der besondern Gunst der Königin und ihres Nachfolgers, und beide, besonders aber Elisabeth, wurden daher von den gleichzeitigen dramatischen Dichtern mit überschwenglichen Verherrlichungen bedacht. Der oben genannte John Lilly (gest. 1600) verfaßte eine ganze Reihe von Hofkomödien, indem er sich zuerst unter den englischen Dramatikern der Prosa bediente. Gleichzeitig wandte sich eine Anzahl gelehrter Poeten der Veredelung des Volksschauspiels zu und versuchte dem letztern, ohne seine Eigentümlichkeiten zu verwischen, die Früchte gründlicher Studien des klassischen Altertums zu gute kommen zu lassen. Dahin gehören George Peele (gestorben um 1598), Thomas Kyd ("Spanish tragedy"), vor allen der talentreiche, aber in wüstem Leben verkümmerte Robert Greene (gest. 1592) und der geniale Christopher Marlowe (1562-93), der, eine Art von Grabbe-Natur, in der Behandlung greuelreicher Stoffe eine seltene Energie der Leidenschaft offenbarte. Diese waren unter einer Menge unbekannter und ungenannter Bühnenschriftsteller die wichtigsten Vorläufer William Shakespeares (1564-1616). Die Bedeutung dieses eminenten Geistes, des größten Dramatikers aller Zeiten, hier in wenige Zeilen zusammenfassen zu wollen, wäre ein vergebliches Bemühen; wir verweisen daher auf den ihn betreffenden Spezialartikel. Von seinen Zeitgenossen und Nachfolgern kam ihm keiner als Dramatiker nur entfernt gleich, weder Ben Jonson (1574-1637), ein hochbegabter und origineller Dichter, der teils steife Trauerspiele aus der Römerzeit, teils die häuslichen Sitten seiner Landsleute in Lustspielen schilderte oder auch Maskenspiele für den Hof verfaßte, noch das geistreiche Zwillingsgestirn Beaumont (1586-1615) und Fletcher (1576-1625), welches von der Sonne Shakespeares seinen Glanz entlehnte, aber auch viele Flecke der Sittenlosigkeit zeigte, noch G. Chapman (gest. 1634), Thom. Dekker (gestorben um 1641), Ph. Massinger (1584-1640), einer der besten Dramatiker, dessen Lustspiel "New way to pay old debts" noch heute auf dem englischen Repertoire steht, noch endlich John Webster (gestorben um 1625), der im Gräßlichen exzellierte, Th. Middleton (gest. 1627), John Marston, ein dramatischer Juvenal (gest. 1634), der unermüdliche Thomas Heywood (gestorben nach 1640) oder der zärtliche und pathetische, aber oft sehr schlüpfrige John Ford (gest. 1639) und James Shirley (gest. 1666). Die größte Epoche des englischen Dramas, die mit dem glänzenden Aufschwung des englischen Lebens unter Elisabeth ihren Anfang genommen, endete unter dem schlimmen Regiment der Stuarts, und die starre Tyrannei des religiösen Fanatismus der Puritaner drohte alle Kunst und Poesie auf Englands Boden auszurotten. Anfangs lieferten die ungeschlachten