Schnellsuche:

Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Estienne

872

Estienne.

stände gegen ihre Herren, die Ritter und Priester, zu Leibeignen herab. Bei der zunehmenden Kraftlosigkeit des Deutschen Ordens huldigten die inzwischen zur Reformation übergetretenen esthnischen Städte und der Adel, welche von den Deutschen Rittern schlecht gegen die Russen verteidigt wurden, 1561 freiwillig der Krone Schweden. Dennoch dauerten die verheerenden Kriege mit Rußland und Polen während eines Zeitraums von 60 Jahren mit ihrem schrecklichen Gefolge von schweren Seuchen, Hungersnot und Pest fast ununterbrochen fort, bis endlich Gustav Adolf 1621 die schwedische Herrschaft auf lange Zeit befestigte und bessere Zustände herzustellen suchte. Die Kriminaljustiz wurde den Händen der Herren entzogen und den Gerichten übergeben; es ward den Bauern selbst Anteil an der Rechtspflege gegönnt, und für jedes Gebiet wurden einige Älteste als Rechtsfinder und Gerichtsbeisitzer erkoren. Bei Errichtung des Gymnasiums und der Universität Dorpat (1630) wurde auf die Esthen Rücksicht genommen, indem diese freien Zutritt zu diesen Bildungsanstalten erhielten und sogar Lehrer des Esthnischen sowie des Lettischen angestellt wurden. Unter Karl XI. wurde die Aufhebung der Leibeigenschaft vorbereitet durch Feststellung der "Wakkenbücher", worin durch eine 1698 im ganzen Land herumreisende Kommission alle Abgaben und Leistungen der Bauern abgeschätzt, bestimmt und aufgeschrieben wurden. Allein die Kriege, in welche sein Nachfolger Karl XII. den ganzen Norden und namentlich die Ostseeprovinzen stürzte, sowie die vielfachen Verwüstungen, denen das Land während dieser Kriege preisgegeben war, verhinderten die weitere Ausführung, und nachdem die Stadt Reval und die esthländische Ritterschaft 29. Sept. 1710 mit dem Zaren Peter d. Gr. von Rußland kapituliert hatten, und infolgedessen E. im Nystader Frieden von 1721 mit dem russischen Reich vereinigt worden war, ward jenes Werk fast bis auf die letzte Spur vertilgt. Die nachfolgenden russischen Regierungen schenkten dem Schicksal der Bauern keine Teilnahme, so daß allmählich alles wieder auf den alten Fuß kam. Die Leistungen der Bauern stiegen wieder in unbestimmten Verhältnissen, und die Gutsherrschaften erhielten wieder die Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit. Die allgemeine Erschöpfung nach den großen nordischen Kriegen, die Verarmung und Entvölkerung, die 1709 wütende Pest und andre ungünstige Umstände trugen das Ihrige dazu bei, die Bevölkerung gegen ihre Leiden abzustumpfen. Erst mit der Regierung Katharinas II. wurde 1764 die Bauernfrage wieder angeregt, aber nicht zum Ziel geführt. Durch einen Ukas vom 3. Juli 1783 wurde E. zu einer Statthalterschaft eingerichtet und in fünf Distrikte geteilt; ein andrer Ukas vom 3. Dez. 1784 änderte die Distrikte in sechs Kreise um, und unter Kaiser Nikolaus wurde die dermalige Einteilung (s. oben) eingeführt. Über die jetzige Stellung der esthnischen Bauern s. Esthen, und über die Russifikationsversuche s. Livland. Vgl. Possart, Statistik und Geographie des Gouvernements E. (Stuttg. 1846); Bornhaupt, Entwurf einer geographisch-statistisch-historischen Beschreibung Liv-, Esth- und Kurlands (Riga 1855); P. v. Köppen, Die Bewohner Esthlands (Petersb. 1847); Rathlef, Skizze der orographischen und hydrographischen Verhältnisse von Livland, E. und Kurland (Reval 1852); F. Müller, Beiträge zur Orographie und Hydrographie von E. (Petersb. 1869-71, 2 Bde.); P. Jordan, Beiträge zur Statistik des Gouvernements E. (Reval 1867-74, 3 Bde.); Willigerod, Geschichte Esthlands (Leipz. 1817); Kruse, Urgeschichte des esthnischen Volksstammes (Mosk. 1846); Paucker, Die Regenten, Oberbefehlshaber und Oberbeamten Esthlands (Reval 1855); Bunge, Das Herzogtum E. unter den Königen von Dänemark (Gotha 1877); Rutenberg, Geschichte der Ostseeprovinzen (Leipz. 1859-61, 2 Bde.), und Litteratur bei Esthen.

Estienne (Etienne, gewöhnlich lat. Stephanus), berühmte franz. Buchdrucker- und Gelehrtenfamilie, deren namhaftesten Glieder folgende sind:

1) Henri I., geboren um 1460 in der Provence aus edler Familie, wurde enterbt, weil er sich der Buchdruckerkunst widmete, errichtete 1501 in Paris mit Wolfgang Hopyl eine Druckerei und starb 1520.

2) Robert, Sohn des vorigen, geb. 1503 zu Paris, studierte die alten Sprachen, arbeitete nach dem Tode des Vaters gemeinschaftlich mit seinem Stiefvater Simon de Colines, begründete 1526 eine eigne Druckerei, wurde 1539 von Franz I. zum Typographus regius für das Hebräische, Griechische und Lateinische ernannt, siedelte, um den bedrohlichen Angriffen der Theologen wegen seiner Verbreitung unliebsamer Bücher, besonders der Bibel, zu entgehen, 1551 nach Genf über, wo er zur reformierten Kirche übertrat, und starb 7. Sept. 1559 daselbst. In seinem Haus wurde schließlich sogar von der Dienerschaft lateinisch gesprochen. Seine Drucke (man zählt 382), welche namentlich die ganze Bibel wie das Neue Testament in den verschiedenen Sprachen, griechische und besonders römische Klassiker, meist von ihm selbst mit Vorreden und Noten versehen, Grammatiken, Schulbücher etc., aber auch die Schriften der Schweizer Reformatoren umfaßten, wurden wegen ihrer Schönheit und sprichwörtlichen Korrektheit selbst denen seines Sohns Heinrich vorgezogen. Franz I. ließ für ihn die berühmten characteres regii gießen. Als Autor ist E. besonders durch den unter Beihilfe von Jean Thierry de Beauvais verfaßten "Thesaurus linguae latinae" (Par. 1531, 2 Bde., u. öfter; zuletzt Basel 1740, 4 Bde.) bekannt. Vgl. Crapelet, Roh. E., imprimeur royal (Par. 1839).

3) Charles, Bruder des vorigen, geb. 1504, studierte Medizin, übernahm bei der Übersiedelung Roberts nach Genf dessen Pariser Druckerei, geriet aber in Schulden und starb 1564 im Gefängnis. Er verfaßte: "Dictionnaire historique et poétique" (1553) und "Praedium rusticum" (1554).

4) Henri II., Sohn von E. 2, geb. 1528 zu Paris, durch die trefflichsten Lehrer gebildet, siedelte 1551 mit dem Vater nach Genf über, zunächst als Korrektor in dessen Druckerei, edierte seit 1554 selbständige Werke, begründete 1557 eine eigne Druckerei in Genf mit Unterstützung von Huldrich Fugger aus Augsburg, weshalb er sich diesem zu Ehren bis 1568 häufig auf den Titeln als dessen typographus bezeichnet, vereinigte aber 1559 dieselbe mit dem Geschäft seines Vaters und lebte nun diesem und den Wissenschaften. Schon 1547-49 und 1556-57 war er in Italien, 1550-51 in England und den spanischen Niederlanden, von Genf aus auch öfters in Frankreich, später besonders in Deutschland, für dessen Gelehrte er eine besondere Vorliebe hatte, so regelmäßig zur Messe in Frankfurt a. M. Als jedoch der "Thesaurus linguae graecae" einen großen Teil seines Vermögens verbraucht hatte, ein entsprechender Absatz sich nicht fand, weil sein Korrektor Joh. Scapula hinterlistig einen handlichen und billigen Auszug desselben veröffentlicht hatte, noch dazu seine zweite Frau, die treffliche Barbe de Wille, starb (1581), bemächtigte sich seiner mit dem allmählichen Ruin des Geschäfts eine unstete Ruhelosigkeit. Er erkrankte