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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Gewerbefreiheit; Gewerbegerichte

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Gewerbefreiheit - Gewerbegerichte.

gewöhnlich mäßige Reinertrag ist wesentlich Arbeitsertrag. In der Gesamtheit der Unternehmungen überwiegt beim Personal die Zahl der selbständigen Gewerbtreibenden; das Gros der "Handwerker" gehört hierher. In großen Unternehmungen erfordert dagegen die eigentliche Unternehmerarbeit die Zeit und Kraft eines Menschen, nicht selten sogar mehrerer Personen. Die manuelle technische Produktion geschieht durch Hilfspersonen. Diese sind stets in einer Mehrzahl und in der Regel in so großer Zahl vorhanden, daß schon Direktion und Kontrolle der Thätigkeit derselben eine oder mehrere Personen (Direktoren, Aufseher, Werkmeister, Polierer etc.) beschäftigen. In allen Fällen ist ein größeres Kapital erforderlich, die Produktion beruht stets auf Arbeitsteilung, der normale Reinertrag erreicht oft eine beträchtliche Höhe. In der Gesamtheit der Unternehmungen, die teils Einzelunternehmungen, teils gesellschaftliche Unternehmungen sind, überwiegt beim Personal stark die Zahl der Hilfspersonen. Diese sind zum größten Teil "Lohnarbeiter", von den oft gut bezahlten Dirigenten durch eine soziale Kluft geschieden; nur ein kleiner Teil derselben gelangt zu der Stellung eines Aufsehers, Vorarbeiters, Werkmeisters oder Unternehmers. In der Mitte zwischen beiden stehen die mittlern Unternehmungen. In ihnen nehmen die Unternehmer (größere Handwerker, kleine Fabrikanten) in der Regel auch noch, aber nur in geringerm Grad als der kleine, an der ausführenden Arbeit teil. Hilfspersonen sind stets in ihnen thätig, Kapital ist für Anlage und Betrieb mehr als bei der kleinen Unternehmung erforderlich. Die Unternehmungen sind in der Regel Einzelunternehmungen, seltener offene Gesellschaften und kleine Produktivgenossenschaften.

Eine Reihe von Gewerbsprodukten können technisch nur in großen Unternehmungen hergestellt werden, weil Herstellung und Absatz derselben die Kooperation zahlreicher Arbeitskräfte in geteilter Arbeit und die Anwendung von großem Kapital, namentlich von Maschinen, unbedingt fordern (z. B. Lokomotiven, eiserne Brücken, eiserne Dampfschiffe, schwere Gußstahlkanonen, schwere Panzerplatten, Dampfhämmer, größere Dampfmaschinen, zahlreiche andre Maschinen etc.). Die meisten gewerblichen Erzeugnisse sind jedoch an sich technisch sowohl in großen als in kleinen Unternehmungen herstellbar. Allerdings hat der Großbetrieb vor Mittel- und Kleinbetrieb unter gewissen Voraussetzungen wichtige Vorzüge, indem er nicht allein bessere Kräfte und Mittel (Werkzeuge, Geräte, insbesondere kostspielige Maschinen) verwenden, dieselben vollständiger auswerten (Arbeits- und Kapitalteilung, Heizung, Beleuchtung), billiger beschaffen (Rohstoffe, Leihkapitalien etc.) und mit geringern Kosten ausnutzen kann, sondern auch oft bessere Erzeugnisse (Form, Stoff etc.) herzustellen und seine Produkte bei pünktlicher Lieferung auf Bestellung, Haltung von Vorräten zur Auswahl, geringern Transportkosten, ausgiebiger Beherrschung des Marktes (Annoncen, eignes Studium des Marktes) vorteilhafter abzusetzen vermag. Sind auch infolgedessen schon viele kleinere Unternehmungen im Kampf gegen den Großbetrieb zu Grunde gegangen, so machen sich jene Vorzüge doch nicht überall und in gleichem Maß geltend, sei es, daß die Technik, oder daß die eigentümliche Gestaltung der Absatzverhältnisse einen Betrieb im großen nicht gestatten. Es bleibt darum für jetzt noch, wahrscheinlich auch für die Zukunft, dem Klein- und Mittelbetrieb ein großes, vielleicht das größere Arbeits- und Absatzgebiet gesichert.

Diese beiden Betriebsarten sind konkurrenzfähig: zunächst für das große, viele Arbeitskräfte erfordernde Gebiet der Reparatur und Unterhaltung schon vorhandener Gewerbsprodukte, dann für die Herstellung neuer Gewerbsprodukte, 1) wenn das Produkt am Ort seines Absatzes hergestellt werden muß, der Großbetrieb aber wegen der Kleinheit des Marktgebiets nicht genügenden Absatz hat (Metzger, Bäcker, Schmiede, Sattler, Baugewerbe etc., auch Schuhmacher, Schneider in kleinern Städten und auf dem Land); 2) wenn weder Arbeitsvereinigung und -Teilung noch größere Kapital- (namentlich Maschinen-) Benutzung anwendbar und ebensowenig hohe Unternehmungsintelligenz verwertbar ist; 3) wenn die einzelnen Produkte den individuellen Wünschen und Bedürfnissen der Konsumenten anzupassen sind; 4) wenn das Produkt wesentlich Handprodukt ist und seine Herstellung eine höhere technische Arbeitsqualität des Unternehmers erheischt, wie bei zahlreichen kunstgewerblichen Produkten.

Die Erhaltung kleiner und mittlerer Unternehmungen kann insbesondere noch durch Gründung von Genossenschaften (Kredit-, Rohstoff-, Magazin-, Werkzeug- und Maschinengenossenschaften), Anwendung von Kleinkraftmaschinen (vgl. P. Hell, Die wichtigsten Kleinkraftmaschinen, Braunschw. 1878; A. Musil, Die Motoren für das Kleingewerbe, das. 1878) und durch Sorge für eine gute Fachbildung, insbesondere die kunstgewerbliche, der Lehrlinge und für einen guten Zustand des Lehrlingswesens überhaupt gefördert werden. Vgl. G. Schönberg, Gewerbe, Teil 1 im "Handbuch der politischen Ökonomie", Bd. 2 (2. Aufl., Tübing. 1885); Roscher, über Industrie im großen und kleinen (in "Ansichten der Volkswirtschaft", Bd. 2, Stuttg. 1878); Schmoller, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe etc. (Halle 1870); E. Engel, Die industrielle Enquete und die Gewerbezählung im Deutschen Reich und im preußischen Staat 1875 (Berl. 1878).

Gewerbefreiheit, s. Gewerbegesetzgebung.

Gewerbegerichte. Streitigkeiten zwischen Gewerbtreibenden (resp. Geschäftsleitern) und ihren Arbeitern können sich entweder auf bestehende Rechts- und Vertragsverhältnisse und die daraus erwachsenen Forderungen und Verbindlichkeiten oder auf Änderungen des bisherigen Arbeitsvertrags und seiner Bedingungen beziehen. Schiedsrichterliche Organe zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten der letztern Art sind die Einigungsämter (s. d.). Wenn zur Entscheidung von Streitigkeiten der erstern Art besondere Gerichte bestehen, als Sondergerichte im Gegensatz zu den allgemeinen ordentlichen Gerichten (mit gelehrten Richtern), aber doch als ordentliche Gerichte, denen im Gegensatz zu den freiwilligen Schiedsgerichten die Entscheidung dieser Streitigkeiten vom Staat und ausschließlich übertragen ist, so bezeichnet man solche Gerichte als G. Für jene Streitsachen genügen die gewöhnlichen ordentlichen Gerichte mit gelehrten Berufsrichtern nicht. Es bedarf hier der Entscheidung durch sachkundige, das Vertrauen der streitenden Teile genießende Richter sowie einer schleunigen Erledigung ohne erhebliche Kosten. Zu dem Ende muß das Gewerbegericht aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern und zwar je aus einer gleichen Zahl unter dem Vorsitz einer Person, die weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer ist, bestehen. Über die zweckmäßigste Art der Bestimmung der Beisitzer (ob durch Wahl der Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder der Gemeindebehörde oder durch Auswahl der Staatsgewalt etc.) gehen die Ansichten auseinander. Am