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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Großbritannien

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Großbritannien (Geschichte: angelsächsische Zeit; Wilhelm der Eroberer).

durch die Angelsachsen (s. d.) an, deren sich die unter der römischen Herrschaft des Kriegs entwöhnten Briten nicht zu erwehren vermochten. Die Einzelheiten der viele Jahrzehnte währenden blutigen Kämpfe, unter welchen diese Eroberung erfolgte, entziehen sich unsrer Kenntnis vollständig; Hengist und Horsa (s. d.) sind uns nur durch die Sage, aber durch keine glaubwürdigen und zeitgenössischen Berichte bekannt. Als dies Dunkel, das über der Geschichte Großbritanniens während 150 Jahre ruht, sich zu lichten beginnt, ist die Eroberung vollendet und die Insel zwischen zwei sich feindlich gegenüberstehenden, aber lokal gesonderten Nationalitäten geteilt. Im Osten, Süden und Norden der Insel bestehen eine Anzahl germanischer Staaten; die Briten, denen zwar das Christentum, sonst aber wenig vom römischen Wesen geblieben ist, sind in den Westen zurückgedrängt, nur in den Gebirgen von Wales und in den schottischen Hochlanden haben sie sich behauptet. Vor allem durch Einen Umstand unterscheidet sich diese Eroberung Britanniens durch die Angelsachsen von den meisten andern, welche in jenen Jahrhunderten von germanischen Völkern gemacht wurden: es kam hier zu keiner Trübung des germanischen Volkscharakters durch die Vermischung mit einer unterworfenen, aber den Siegern an Bildung überlegenen Bevölkerung, wie sie die Franken in Gallien, die Westgoten in Spanien, die Langobarden in Italien erfuhren. Was von den Eingebornen nicht in den blutigen Kämpfen zu Grunde gegangen oder aus den eroberten Gebieten verdrängt war (und diese Überreste scheinen nur gering gewesen zu sein), blieb in strenger Unterwürfigkeit als eine Bevölkerung mindern Rechts, mit welcher der siegreiche Sachse nur in oberflächliche Verbindung trat. So kam hier die germanische Art zu reinerer und reicherer Entfaltung als in allen übrigen germanischen Reichen, ja als in Deutschland selbst (s. Angelsachsen).

Von der großen Anzahl von verhältnismäßig wenig ausgedehnten Staaten, welche sich unmittelbar nach der Ansiedelung der Germanen in G. gebildet hatten, blieben nach Verlauf der nächsten zwei Jahrhundert nur etwa sieben oder acht übrig, welche die andern in sich aufgenommen hatten; diese übrigbleibenden: Mercia, Kent (Ostkent und Westkent), Essex, Wessex, Sussex, Ostangeln (Eastanglia), Northumberland, bezeichnet man gewöhnlich als die angelsächsische Heptarchie, welcher Ausdruck indes nicht so verstanden werden darf, als ob zwischen diesen sieben Staaten ein ständiges Bundesverhältnis oder ein verfassungsmäßiger staatlicher Zusammenhang bestanden hätte. In allen diesen Staaten herrschte damals das Christentum, das man aus freier Entschließung der Könige und ihrer Großen angenommen hatte, und zwar in so engem Anschluß an die römische Kirche, daß die Anerkennung der päpstlichen Macht außer in Italien selbst kaum irgendwo solchen Vorschub erhalten hat als bei den Angelsachsen. Eine neue Periode der angelsächsischen Geschichte begann zu Anfang des 9. Jahrh., als Egbert, König von Wessex, aus dem ruhmvollen Haus des Cerdic, der sich 13 Jahre lang am Hof Karls d. Gr. aufgehalten hatte, nach seiner Rückkehr von dort die noch unabhängigen kleinen Königreiche unterwarf und mit Wessex vereinigte, so daß von nun an von einem Reich Anglia, einem Königtum aller Angelsachsen, die Rede sein konnte. Schon unter ihm, mehr aber noch unter seinen Nachfolgern wurde dies Reich von normännisch-dänischen Seeräubern angegriffen, welche immer aufs neue an den Küsten von G. landeten, tief in das Innere des Landes hinein verheerend und plündernd vordrangen und, nachdem sie um die Mitte des 9. Jahrh. festen Fuß gefaßt und mehr und mehr an Boden gewonnen hatten, dem angelsächsischen Staatswesen und dem Christentum den Untergang zu bereiten drohten. Von dieser Gefahr wurde G. durch Alfred d. Gr. (871-901) befreit, welcher die Dänen besiegte, unterwarf und, was das Wichtigste war, zum Christentum bekehrte, wodurch es ihm möglich ward, in seinem während der greuelvollen Kämpfe der letzten Jahre tief zerrütteten Staate durch eine weise Gesetzgebung und Verwaltung Recht und Ordnung wiederherzustellen.

Von Alfreds Nachfolgern war sein Urenkel Edgar (959-975) der bedeutendste und glücklichste; in einer seiner Urkunden rühmte er sich, seine Herrschaft weiter als irgend einer seiner Vorfahren, über die Inseln und Meere bis nach Norwegen hin, ja über einen großen Teil von Irland, ausgedehnt zu haben. Aber schon unter seinem zweiten Sohn, Ethelred (dem Unberatenen, 978-1016), wurden die Angriffe der Dänen auf neue gefährlich; nur vorübergehend konnte man durch schmachvolle Tributzahlungen (das Danegeld) den Frieden erkaufen, und nachdem 1016 Ethelred und wenige Monate später sein tapferer Sohn Edmund (Eisenseite) gestorben waren, wurde der Dänenfürst Knut auf einer feierlichen Versammlung der angelsächsischen und dänischen Großen zu London als König von England anerkannt; auf seinem Haupt vereinigte er außer der englischen auch die Kronen der übrigen nordisch-skandinavischen Reiche. Indessen erhielt sich diese Verbindung nicht über den Tod Knuts (1035) hinaus; noch Knut selbst hatte Bedacht darauf genommen, England unter einem seiner Söhne wieder selbständig zu stellen. Schon sieben Jahre später (1042) erlosch mit Harthaknut das Geschlecht der dänischen Eroberer, und indem die Großen den Bruder Edmunds, Eduard den Bekenner (1042-1066), zum König von England erhoben, kehrten sie noch einmal zu dem alten einheimischen Herrscherhaus zurück. Als dann auch Eduard kinderlos gestorben war, wählten die Großen Harald, den Sohn Godwins, einen der Mächtigsten aus ihrer Mitte, zum König; allein Wilhelm, Herzog von der Normandie, ein entfernter Verwandter der Cerdikiden, dem aller Wahrscheinlichkeit nach Eduard eine Anwartschaft auf die Nachfolge zugesichert hatte, erhob jetzt Ansprüche auf die Krone, landete, vom Papst Alexander II. begünstigt, 29. Sept. 1066 mit einem Heer von 60,000 Mann an der Küste von G. und erfocht 14. Okt. in der Schlacht bei Senlac oder Hastings einen entscheidenden Sieg über Harald, der gleich im Beginn des Kampfes fiel. Diese Schlacht machte der angelsächsischen Herrschaft in G. ein Ende, und 25. Dez. wurde Wilhelm der Eroberer zu London durch den Erzbischof von York zum König von England gekrönt.

Infolge dieser Ereignisse erhielt der nacheinander von Briten, Römern, Angelsachsen und Dänen besessene Boden Englands in den Normannen wiederum neue Beherrscher. Zwar waren auch diese ursprünglich germanischen Bluts, aber die anderthalb Jahrhunderte, welche seit ihrer Festsetzung auf französischem Boden unter Herzog Rollo (912) verflossen waren, hatten zur vollständigen Romanisierung der nordischen Eroberer hingereicht. Ihre Sprache war ein Dialekt der französischen, ihre Sitten und Gewohnheiten waren erfüllt von dem frommen, kriegerisch-ritterlichen Geiste, der damals das kontinentale Europa beherrschte und in den Kreuzzügen seinen voll-^[folgende Seite]