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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Haïti

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Haïti (Geschichte).

Tod 27. März 1818 versuchte Heinrich die Mulattenrepublik mit seinem Kaisertum zu vereinigen; allein der Mulatte, General Jean Pierre Boyer, der hier als Präsident Nachfolger Pétions geworden war, wußte diesen Versuch zu vereiteln. Heinrich selbst, welchen ein Aufruhr republikanisch gesinnter Mulatten in seinem Reich zu Grausamkeiten gereizt hatte, wurde immer verhaßter, und im September 1820 brach ein Aufstand gegen ihn aus, der bald allgemein wurde und selbst den Abfall der Truppen zur Folge hatte, worauf der Negerkaiser sich 8. Okt. 1820 erschoß. Hierauf fand, da sich das Heer dem Präsidenten Boyer unterwarf, 26. Nov. 1820 die Vereinigung beider Teile des französischen H. zu einer einzigen Republik statt, welcher sich 1822 auch der spanische Anteil der Insel anschloß, der sich 1821 wieder von Spanien losgesagt hatte. Die Republik wurde in der Folge von den meisten Staaten anerkannt, nach mehreren vergeblichen Wiedereroberungsversuchen 1825 selbst von Frankreich gegen eine an die ehemaligen Plantagenbesitzer zu zahlende Entschädigung von 150 Mill. Frank, die jedoch 1838 bei Gelegenheit des Abschlusses eines Handelsvertrags zwischen Frankreich und H. auf 60 Mill., in 30 Terminen bis 1867 zahlbar, herabgesetzt ward. Seit 1822 regierte Boyer als lebenslänglicher Präsident nach der Verfassung vom 2. Juni 1816, doch unter beständigem Zerwürfnis mit dem Repräsentantenhaus.

Im Frühjahr 1842 wurde H. von einem furchtbaren Erdbeben heimgesucht, das einige Städte fast vernichtete; besonders hart wurde die Stadt Le Cap H. betroffen. Boyer ward 1843 durch eine von den Mulatten Dumesle und Rivière geleitete Verschwörung gestürzt, schiffte sich nach Europa ein und starb 1850 in Paris. Die siegreichen Parteihäupter teilten darauf die Stellen unter sich. Widerstand zeigte sich nur in dem spanischen Anteil, weshalb Herard Rivière eilig mit Truppen dahin abging, die vornehmsten Einwohner von San Domingo gefangen setzte und eine Besatzung unter seinem Bruder, dem Obersten Leo Herard, zurückließ. Aber kaum hatte Herard Rivière, nachdem eine neue Verfassung eingeführt worden, als Präsident das Staatsruder übernommen, als im August 1843 im Osten ein offener Aufstand ausbrach. San Domingo erklärte sich für eine selbständige Republik (s. Dominikanische Republik, Geschichte). Rivière sprach hierauf über den Osten den Blockadezustand aus, rief die Nationalgarde zu den Waffen, und schon 10. März 1844 brachen zwei Heere, 20,000 Mann stark, nach Osten auf; doch ward die eine Kolonne, unter Pierrot, einem schwarzen General, schon auf dem Marsch von Pimentel bei Seybo geschlagen, und auch die zweite, unter Rivière selbst, erlitt 9. April bei Santiago eine Schlappe. Nun empörten sich in H. die Neger gegen die Mulatten. Um zu retten, was noch zu retten war, willigten diese ein, daß ein Schwarzer, Guerrier, zum Präsidenten gewählt werde, zumal dieser bei seinem hohen Alter und seiner unmäßigen Neigung zum Trunk Hoffnung gab, daß die wirkliche Leitung der Geschäfte nach wie vor in den Händen der Farbigen bleiben werde. Wirklich wurde Guerrier schon Anfang 1845 ein Opfer seiner Trunksucht. Unter seinem Nachfolger Pierrot machten die Mulatten einen Versuch, ihren alten Einfluß wiederzugewinnen, und veranlaßten 25. Sept. 1845 zu Leogane einen Aufstand zu gunsten der Zurückberufung Rivières. Die Bewegung ward jedoch sofort unterdrückt, und die Mulatten sahen sich nun blutigen Verfolgungen ausgesetzt. Der Haß der Schwarzen äußerte sich unter anderm in einem Gesetz, das jede Ehe zwischen Weißen und Schwarzen verbot. Als sich Anfang 1846 der Volksunwille gegen den Präsidenten Pierrot wendete, gab dieser seine Sache sofort auf und trat in den Privatstand zurück. Der durch diese Revolution 28. Febr. 1846 auf den Stuhl gehobene Präsident war General Jean Bapt. Riché. Die Verfassung von 1843 wurde durch die vom 14. Nov. 1846 ersetzt, welche im wesentlichen die von 1816 war. Der Präsident, ein fast 70jähriger Mann, aber noch von hoher Thatkraft, stellte in kurzer Zeit den Frieden auf der Insel wieder her, vermehrte die Hilfsquellen des Landes und ließ sich die Zivilisierung des haïtischen Volkes angelegen sein. Zu früh für H. starb er 27. Febr. 1847.

Der als sein Nachfolger proklamierte General Faustin Soulouque (s. d.) versprach zwar in einem Erlaß vom 3. März, das frühere Ministerium beizubehalten und die Politik seines Vorgängers fortzusetzen, begann aber seine Regierung mit einem Ministerwechsel, der die rohsten und den Weißen feindlichsten Schwarzen an das Ruder brachte, und mit Vorbereitungen zu einem Kriege gegen die Nachbarrepublik. Soulouque machte im März 1849 einen Einfall in San Domingo; in des in der Schlacht bei Savanna Numero 22. April 1849 behaupteten die Dominicanos unter General Santana nach einem fürchterlichen Gemetzel das Feld. Soulouques Heer löste sich auf, und Santana würde dem westlichen Staat ein völliges Ende gemacht haben, wenn ihn nicht ein Aufstand nach San Domingo zurückgerufen hätte. Bei seiner Rückkehr aus dem unglücklichen Feldzug führte Soulouque seinen ehrgeizigen Plan aus, indem er sich 26. Aug. 1849 zu Port au Prince zum Kaiser ausrufen ließ und sich in der Kathedrale selbst die Krone aufsetzte. Als Kaiser Faustin I. ordnete er nun sein Reich ganz nach Napoleonischem Vorbild und umgab sich mit einer glänzenden Kaisergarde. Das Ausland reizte er durch Monopolisierung von Zucker und Kaffee, zeitweilige Sperrung der Häfen gegen fremde Schiffe und hohe Steuern, die er den auswärtigen Kaufleuten auflegte. Nur den energischen Vorstellungen der Konsuln von England, Nordamerika und Frankreich gelang es endlich im Sommer 1850, die Aufhebung dieser Monopolisierung zu erwirken; doch trat an deren Stelle ein erhöhter Ausgangszoll auf Kaffee und andre Hauptausfuhrartikel. Im Innern herrschte der Kaiser willkürlich und grausam. Am 30. Sept. 1850 begann er abermals die Feindseligkeiten gegen San Domingo. Allein das Landheer des Kaisers erlitt 9. Okt. in den Bergen von Banica wiederum eine bedeutende Niederlage. Anfang 1851 geboten endlich England, Frankreich und die Vereinigten Staaten die Einstellung der Feindseligkeiten. Neue Eroberungspläne Faustins auf San Domingo, trotz der Protestationen Frankreichs und Englands im Dezember 1855 ins Werk gesetzt, scheiterten aber so kläglich wie die frühern. In der Savanne von San Tome ward das 18,000 Mann starke, teils unter Faustins, teils unter des Generals Geffrard Kommando stehende Heer 22. Dez. gänzlich geschlagen; der Kaiser selbst eröffnete die Flucht der Seinen und überließ die kaiserliche Kasse samt sämtlicher Bagage etc. dem Feind. Er ließ hierauf drei Generale und mehrere Offiziere angeblich wegen Einverständnisses mit den Dominicanos erschießen, sammelte die Reste seines Heers, erlitt aber mit 10-12,000 Mann in der "großen Savanne" (Sabanalarga) 24. Jan. 1856 eine zweite entscheidende Niederlage. Zwar verkündete er unmittelbar nach seiner Rückkehr durch eine Proklamation, daß der Krieg gegen San Domingo nur vorläufig aufgeschoben sei; doch führ-^[folgende Seite]