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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Holbein

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Holbein (der jüngere).

Schule zu spüren. Daß er Leonardos Abendmahl in Mailand gesehen, scheint ein Abendmahlsgemälde von seiner Hand im Baseler Museum zu beweisen. 1519 kam H. nach Basel zurück, ließ sich 25. Sept. d. J. in die Malerzunft und 3. Juli 1520 in die Bürgerschaft daselbst aufnehmen. Von den Arbeiten, welche H. nunmehr in Basel ausführte, gehören zu den charaktervollsten die Darstellung der Passion in acht Feldern, jetzt im dortigen Museum, ausgezeichnet durch die dramatische Lebendigkeit, die schönen Architekturen und Landschaften, die kühnen Helldunkeleffekte, dann eine realistische Darstellung des Christusleichnams, nur das Abbild eines von Verwesung ergriffenen toten Körpers, von 1521 und die braun in braun gemalten Orgelthüren des Baseler Münsters mit vier Heiligengestalten und singenden Engelknaben daselbst; ferner zwei Altarflügel, Christi Geburt, Nachtstück, und die Anbetung der Könige mit den Porträten der Stifterfamilie Oberriedt im Münster zu Freiburg i. Br. Am populärsten aber ist der Künstler durch das berühmte um 1526 gemalte Madonnenbild geworden, dessen bekanntestes Exemplar sich in der Galerie zu Dresden befindet. Doch ist dies nur eine Kopie aus dem 17. Jahrh., während das Original, in der Architektur und Gruppierung gedrungener, im Madonnenantlitz strenger, sonst völlig übereinstimmend, sich im Besitz des Großherzogs von Hessen zu Darmstadt befindet. Stifter dieses Bildes war der frühere Bürgermeister Jakob Meyer zum Hasen, den H. schon 1516 gemalt hatte; er und die Seinen knieen vor der Gottesmutter, beschützt von ihrem Gnadenmantel und gesegnet vom Christuskind. Beinahe auf gleicher Höhe mit diesem steht ein andres Madonnenbild, die Jungfrau von Solothurn (städtisches Museum), sitzend mit dem Kind und von den beiden Schutzheiligen der Stadt, Ursus und Martinus, umgeben, bezeichnet 1522. Mit echt deutscher Charakteristik und seiner Ausführung verbinden diese Werke eine Freiheit der Form, wie sie sonst in Deutschland um diese Zeit nicht vorkommt. Außerdem war H. als Freskomaler thätig, dekorierte die Fassaden von Bürgerhäusern, unter andern das Haus "Zum Tanz" mit einer herrlichen fingierten Architektur und einem Bauerntanz, welche Malereien im vorigen Jahrhundert zu Grunde gegangen sind. Kein günstigeres Schicksal hatten seine Malereien im Großratssaal, in denen er Beispiele von Bürgertugend und strenger Gerechtigkeit darstellte: Charondas von Catanea, Zaleucus, Curius und die Samniter, Sapor und Valerianus, dazwischen Einzelgestalten meist allegorischen Charakters. In dieser Epoche tritt die Bildnismalerei, die später Holbeins eigentliches Feld bildet, zurück; doch malte er 1519 das vorzügliche Bildnis des Juristen und Humanisten Bonifacius Amerbach (Baseler Museum), dessen spätere Kunstsammlung, namentlich an Arbeiten Holbeins reich, die Grundlage des Baseler Museums bildete. Um 1523 porträtierte er den Erasmus, der damals in Basel lebte, und mit dem H. auch persönlich in Beziehung stand; zwei kleinere Profilbilder, welche den Gelehrten schreibend darstellen, befinden sich im Louvre und im Baseler Museum, ein größeres, das Gesicht zu drei Vierteln, in Longford Castle. Den Charakter eines Bildnisses trägt auch ein kleines Juwel, die Lais Corinthiaca von 1526, deren Seitenstück eine Venus mit dem Amor bildet (Baseler Museum), beide angeblich eine Dame aus der Familie Offenburg darstellend. Daneben entfaltete H. eine ausgedehnte Thätigkeit als Zeichner, fertigte Vorbilder für Glasmaler, Gold- und Waffenschmiede und namentlich Zeichnungen für den Holzschnitt, welche H. Lützelburgers Hand in meisterhaftem Feinschnitt ausführte. In dieser Thätigkeit erscheint H. im Bund mit der Litteratur nach allen Richtungen hin, namentlich mit dem Humanismus, dann mit der Reformation. Er illustrierte die Werke des Erasmus, des Th. More, geographische und astronomische Bücher, die Lutherschen Übersetzungen der Bibel, Alphabete etc. Man zählt über 300 Blätter von ihm. Seine zwei Hauptwerke dieser Gattung sind die Cyklen: "Bilder des Alten Testaments" ("Historiarum Veteris Instrumenti icones"), 91 Blatt, und der sogen. Totentanz (besser "Bilder des Todes", "Icones oder Imagines mortis, Simulachres de la mort"), beide aus der Baseler Zeit und in damaligen Probedrucken vorhanden, das erste Werk im Baseler Museum, das zweite daselbst und in den Kupferstichkabinetten zu Berlin (neue Ausgabe von Lippmann, Berl. 1878), Paris und im Britischen Museum, beide aber in Buchform erst seit 1538 in Lyon erschienen und seitdem in zahlreichen Ausgaben mit lateinischem, französischem, englischem, italienischem und spanischem, niemals aber deutschem Text. In den Todesbildern, deren Zahl von 40 Blatt später (seit 1545) auf 53, endlich (seit 1562) auf 58 Blatt steigt, behandelte H. den mittelalterlichen Vorwurf von der Allgewalt des Todes und der Eitelkeit des Irdischen in ganz neuem Geist, zeigte mit furchtbarer Ironie, wie der Tod unter allen Verhältnissen mitten in das Leben unerbittlich eingreift, und fand in dieser Form Gelegenheit zu schneidender Satire auf kirchlichem, sozialem und politischem Gebiet.

Die Zeitverhältnisse, welche diesen Erfindungen den Ursprung gaben, die Reformation und ihre Kämpfe, die Wirren der Bauernkriege, waren aber äußerlich hemmend für den Künstler, dem nun die Gelegenheit zur Ausübung seiner Kunst mehr und mehr entzogen wurde. Empfohlen durch Erasmus, machte er sich Ende August 1526 auf den Weg nach England; die Kenntnis der flandrischen Malerei, die er sich auf dem Weg aneignen konnte, wurde nun bestimmend für seine Kunstweise. In London nahm sich Sir Thomas More, des Erasmus Freund, seiner an. H. malte hier 1527 More (Original bei Herrn Huth in London), den Erzbischof Warham von Canterbury (Lambeth House und Louvre), den Stallmeister des Königs, Sir Henry Guildeford (Windsor), 1528 des Königs Astronomen Nikolaus Kratzer (Louvre), Thomas More mit seiner Familie, von welchem Bilde das Original untergegangen ist und nur noch einzelne gezeichnete Köpfe (Windsor) und die Skizze des Ganzen (Basel) übrig sind. Letztere brachte H. als Gruß des Freundes dem Erasmus mit, als er 1528 nach diesem gewinnbringenden Aufenthalt in die Heimat zurückkehrte. Er fand hier keine glücklichen Verhältnisse vor: der Bildersturm hatte kurz zuvor getobt, der religiöse Fanatismus war auf das Äußerste gestiegen, Erasmus nach Freiburg geflohen, die Kunst mehr als je in den Hintergrund gedrängt. Er malte hier 1529, flüchtiger in der Ausführung als sonst, aber mit ergreifendem Realismus, seine Hausfrau mit zwei Kindern, vollendete die Ausmalung des Großratssaals, für die er (zwischen 6. Juli und 18. Nov. 1530) 72 Gulden erhielt, und fügte den Darstellungen aus dem klassischen Altertum zwei Szenen aus dem Alten Testament: Rehabeams Übermut und Saul von Samuel gestraft, hinzu. Dann aber machte er sich nochmals nach England auf, und vergebens sandten ihm 2. Sept. 1532 Bürgermeister und Rat ein Schreiben nach, das ihm für den Fall der Rückkehr einen Jahresgehalt bot. Bei diesem zweiten Aufenthalt in England kam H.