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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Kanada

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Kanada (Geschichte).

Aufstand zwar bewältigt, aber die Ruhe noch nicht hergestellt, und bald brach der Kampf von neuem aus. Die Aufständischen suchten Unterstützung in den Vereinigten Staaten; dies führte zu gegenseitigen Reibungen, und nach der Verbrennung eines amerikanischen Dampfschiffs, das auf dem Eriesee den Insurgenten Lebensmittel und Munition zuführte, durch die Loyalen fehlte nicht viel, daß die Union an England den Krieg erklärte. Doch gelang es den Präsidenten van Buren und Tyler, die erbitterten Gemüter in der Union zur Ruhe zu bringen, während die englische Regierung versöhnliche Schritte that und den Grafen Durham als Gouverneur nach K. schickte, der durch Einführung eines bessern Systems in der Verwaltung sowie durch sein mildes Verfahren gegen die Aufständischen die Ruhe wiederherstellte. Doch nahm er schon im November 1838 seine Entlassung und kehrte nach England zurück. Hier öffnete er dem Parlament die Augen über die Zustände in K., zeigte, daß alles Unheil durch den Widerstreit der Rassen herbeigeführt werde, und schlug vor, die beiden Vertretungen in eine einzige zu verschmelzen und überhaupt eine versöhnliche Politik zu beobachten. Durhams Vorschläge gingen durch; die Verbannten wurden zurückgerufen, einige am Aufstand Beteiligte sogar zu höhern Regierungsstellen befördert, und trotz des Widerstrebens der hochtoryistischen oder "sächsischen" Partei in K. wurde Lord Russells Antrag, beide Kanadas hinsichtlich der Gesetzgebung durch Ein Parlament zu vereinigen und dem Land eine neue liberale Verfassung zu geben, im Juli 1840 vom Parlament angenommen und das betreffende Gesetz 23. Juli d. J. promulgiert. 1841 kam Sir Charles Bagot als Generalgouverneur nach K., wo nun die projektierten Verwaltungsreformen durchgeführt werden sollten. Aber bald entstanden neue Zerwürfnisse, und namentlich wiederholten sich in Montreal (25. April und 15. Aug.) die Unruhen, welche in Brand und Mord ausarteten.

Inzwischen war die von den Vereinigten Staaten genährte Agitation für den Anschluß Kanadas an die nordamerikanische Union fortgesetzt worden, wobei ebensowohl kommerzielle wie politische Interessen mitwirkten. Der Generalgouverneur Lord Elgin verfügte daher die Absetzung aller bei Anschlußadressen beteiligten Beamten und erklärte sich vor dem am 14. Mai 1850 in Toronto neueröffneten Parlament entschieden gegen jeden Versuch, K. von England loszureißen. Um die schwache Bevölkerung Kanadas zu vermehren, suchte England besonders seit 1847 den Strom der europäischen Auswanderung dorthin zu leiten, und wirklich zählte man in jenem Jahr 100,000 Einwanderer, während es früher derselben kaum 20,000 gewesen waren. Im September 1852 ward Lord Elgin abberufen und Lord Harris zum Generalgouverneur ernannt. Unter beider Verwaltung nahm K. an Bevölkerung wie an materiellen Hilfsquellen zu. Große Eisenbahnbauten, welche, 1856 ausgeführt, Quebec, Toronto und Montreal untereinander und mit den benachbarten Handelsplätzen der Vereinigten Staaten in Verbindung setzten, beförderten wesentlich den Aufschwung des Handels und der Industrie, wobei man aber auch die Hebung der Volksbildung durch Errichtung von Normalschulen nicht außer Augen ließ. Der amerikanische Sezessionskrieg trug dann nicht wenig dazu bei, daß der Anschluß an die Union nicht mehr so wünschenswert erschien. Dazu kam, daß mehr und mehr die Selbstverwaltung in K. zur Geltung kam; in dieser Richtung wurde 1856 eine Abänderung in der Zusammensetzung der legislatorischen Körperschaft vorgenommen. Dieselbe sollte sich in Zukunft nicht mehr aus von der Krone ernannten, sondern aus 48 gewählten Mitgliedern zusammensetzen. Und für die einheitlichere Gestaltung der verschiedenen Kolonien war es nicht unwichtig, daß 1858 die Königin auf Ansuchen der Bewohner Kanadas das dazu sehr geeignete Ottawa zur ständigen Hauptstadt erhob. Um jedoch die bedeutenden innern Gegensätze, wie sie durch die Verschiedenheit der Abstammung und des religiösen Bekenntnisses Ober- und Unterkanada voneinander trennten, abzuschwächen und mit der Zeit auszugleichen, wurde 1. Juli 1867 K. mit Neuschottland und Neubraunschweig zu einem Bund vereinigt, der den Namen "Dominion of Canada" führt, und dem in den folgenden Jahren die übrigen britisch-nordamerikanischen Länder, bis auf Neufundland und die Bermudainseln, beitraten (weiteres s. oben).

In der neuesten Zeit entstand ein Streit zwischen England und den Vereinigten Staaten über die Grenze zwischen der Union und K., die sogen. San Juan-Frage. Der Washingtoner Grenzvertrag vom 15. Juli 1846 wurde von beiden Parteien verschieden ausgelegt hinsichtlich der Fixierung der Grenzlinie im San Juan-Archipel. Das ganze Streitobjekt war übrigens sehr unbedeutend. Die Frage wurde nach dem Vertrag vom 8. Mai 1871 dem deutschen Kaiser zur Entscheidung vorgelegt, welcher 21. Okt. 1872 zu gunsten der Vereinigten Staaten entschied. Wegen des Gebiets am Red River (dem oben genannten Manitoba), welches K. von der Hudsonbaigesellschaft um 300,000 Pfd. Sterl. angekauft hatte, drohte 1870 eine Verwickelung. Die Bewohner dieses am Winnipegsee gelegenen Landstrichs protestierten zum Teil gegen den Übergang der Herrschaft an die kanadische Regierung und empörten sich gegen den von derselben abgesandten Gouverneur. Dies wollten die in den Vereinigten Staaten befindlichen Fenier benutzen, um das genannte Gebiet K. zu entreißen, ja ganz K. zu erobern und mit den Vereinigten Staaten zu verschmelzen. Aber die Feniereinfälle vom 25. und 27. Mai nahmen ein klägliches Ende. Das Gebiet am Red River wurde zu einer besondern Provinz unter dem Namen Manitoba umgestaltet, welche im kanadischen Parlament zu Ottawa durch sechs Mitglieder vertreten ist. Die Wichtigkeit, welche England K. beilegte, bekundete 1878 die Ernennung des Schwiegersohns der Königin, des Marquis of Lorne, zum Generalgouverneur, dem 1883 der Marquis of Lansdowne folgte. Von großer Bedeutung für die Entwickelung des Landes war auch der Bau einer kanadischen Pacificbahn. Unter der noch immer nicht verschmolzenen französischen und englischen Bevölkerung drohte ein nicht unbedenklicher Hader zu entstehen, als 1885 in Ontario und Manitoba ein Aufstand der französisch-indianischen Mischlinge unter Riel ausbrach und die französischen Kanadier für dieselben Partei ergriffen. Doch gelang es General Middleton, die Empörung im Mai rasch niederzuschlagen und Riel gefangen zu nehmen, der darauf hingerichtet wurde. Vgl. zur Geschichte: Murray, History of British America (Edinb. 1843, 3 Bde.); Brasseur de Bourbourg, Histoire du Canada (Par. 1852, 2 Bde.); Sagard-Théodat, Histoire du Canada (2. Aufl., das., 1865-66, 3 Bde.); Tuttle, History of Canada (Boston 1878); Garneau, Histoire du Canada (Montreal 1883, 4 Bde.); Dent, The last forty years, or Canada since the union of 1881 (Toronto 1883); Abbé Faillon, Histoire de la Colonie française en Canada (Montreal,