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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

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Meisterlauge - Meitzen.

In den festlich geschmückten Kirchen oder Rathaussälen begann vor zahlreicher Zuhörerschaft das Schulesingen. Die Meister bestiegen der Reihe nach den Singestuhl; den Singenden wurde von den drei Merkern scharf aufgepaßt, ob sie sich kein "Versingen", d. h. keinen Verstoß gegen die Regeln der Tabulatur, zu schulden kommen ließen. Solche Fehler konnten begangen werden durch Abweichungen von der strengen Verslehre, durch sprachliche Inkorrektheiten (wobei die Bibelübersetzung Luthers maßgebendes Vorbild war), durch Verstöße gegen die hergebrachte Sitte etc. Wer "versungen" hatte, mußte den Stuhl verlassen, während derjenige, der "in der Kunst glatt" war, von dem Kronmeister gekrönt wurde, wobei der erste Preis, der sogen. Davidsgewinner, in einem silbernen Gehänge mit einer Schaumünze, auf der König David, die Harfe spielend, abgebildet war, der zweite Preis in einem Kranz von seidenen Blumen bestand. Beide Auszeichnungen wurden jedoch nur für den einen Tag des Schulesingens verteilt. Zahllos waren die aus dreiteiligen Strophen gebildeten Töne, die zum Teil nach ihren Erfindern, zum Teil aber auch mit frei gewählten, unglaublich wundersamen und meist überaus lächerlichen Namen bezeichnet wurden. So gab es einen Marners Hofton, einen Hofton des Tannhäusers, den roten Ton Peter Zwingers, den Blütenton Frauenlobs, den abgeschiedenen Ton Lienhard Nunnenbecks, eine Hans Sachsens Spruchweis etc., daneben eine Gestreiftsafranblümleinweis, eine Fettdachsweis, Vielfraßweis, Cliusposaunenweis, Offenehelmweis, geblümte Paradiesweis, Schwarztintenweis u. a. Es versteht sich von selbst, daß der M. seiner ganzen Entstehung und Übung nach nicht dazu angethan war, wirkliche Poesie ins Leben zu rufen. Schon daß die Erfindung neuer Töne, und was damit zusammenhing, neuer Strophenformen eine Hauptsache bei der Kunst des Meistersingens war, brachte Überkünstelung, mühseliges Reimezusammenschweißen, gänzliches Vorwalten formeller Handwerksmäßigkeit mit sich. Durchgängig ist den Meisterliedern lehrhaft hausbackenes Wesen eigentümlich, Fabeln und Gleichnisse bieten sich als beliebteste Stoffe. Um neue Verse zu bilden, häufte man Vers auf Vers zu abenteuerlicher Unförmlichkeit der Strophengebäude; kurz, ein ästhetischer Gehalt ist im M. so gut wie gar nicht vorhanden. Um so erfreulicher ist die kulturhistorische Seite dieser merkwürdigen Erscheinung der deutschen Geistesgeschichte. Ein Kind des kräftig aufblühenden Städtewesens, trägt der M. in seinen Übungen und Erzeugnissen durchweg die Merkmale ehrsam bürgerlicher Tüchtigkeit, Sittenstrenge und frommer Anhänglichkeit an das von den Vätern Überlieferte. Mitten in einem sittlich versunkenen Zeitalter erhebt sich in ihm ein zwar poesieloses, künstlerisch dürftiges, aber von wackerstem, treuherzig biederm Sinn erfülltes Streben nach edlem geistigen Thun. Es ist dabei charakteristisch, daß die Pfleger des Meistersingens zumeist der neuen reformatorischen Kirchenlehre zugethan waren. Das geistige Leben des Meistergesangs hat sogar das Reformationszeitalter nicht überdauert, wenn auch einzelne Schulen ihre Thätigkeit still und treu bis tief ins 18. Jahrh. und später fortgesetzt haben, wie denn z. B. in Ulm noch 1830 zwölf alte Singmeister vorhanden waren, von denen 21. Okt. 1839 die vier zuletzt Übriggebliebenen den alten M. feierlich beschlossen und ihr Inventar dem Ulmer Liederkranz vermacht haben. Unter den ältern Meistersingern galten für besonders kunstfertig: Heinrich von Müglin, Muskatblüt, Michael Behaim, Hans Rosenplüt, Hans Folz, Hans Sachs und Adam Puschmann. Von den in Handschriften überaus zahlreich vorhandenen Meistergesängen sind ihres geringen poetischen Wertes wegen nur wenige durch den Druck veröffentlicht. Proben derselben enthalten: Görres, Altdeutsche Volks- und Meisterlieder (aus der Heidelberger Handschrift, Frankf. 1817), und Bartsch, Meisterlieder der Kolmarer Handschrift (Stuttg. 1862). Von den ältern Schriften und Berichten über den M. sind hervorzuheben: Adam Puschmann, Gründlicher Bericht des deutschen Meistergesangs zusamt der Tabulatur etc. (Görlitz 1571), und Wagenseil, Buch von der Meistersinger holdseliger Kunst (Altd. 1697). Vgl. J. Grimm, Über den altdeutschen M. (Götting. 1811); Schnorr v. Carolsfeld, Zur Geschichte des deutschen Meistergesangs (Berl. 1872); Liliencron, Über den Inhalt der allgemeinen Bildung in der Zeit der Scholastik (Münch. 1876); Jacobsthal, Die musikalische Bildung der Meistersinger (in der "Zeitschrift für deutsches Altertum", Bd. 20); Lyon, Minne- und Meistersang (Leipz. 1882). Eine künstlerische Darstellung erfuhr der M. durch R. Wagner in seinem Musikdrama "Die Meistersinger zu Nürnberg" (1868).

Meisterlauge, Kalilauge, s. Kaliumhydroxyd.

Meistersänger, Vogel, s. Grasmücke.

Meistersinger (Meistersänger), s. Meistergesang.

Meister vom Stuhl (Logenmeister), s. Freimaurerei, S. 652.

Meisterwurzel, s. Imperatoria; schwarze M., s. Astrantia.

Meisterzeichen, s. v. w. Fabrikzeichen (s. d.).

Meistre (spr. mäßtr), s. v. w. Mistral.

Meitzen, August, Statistiker und Nationalökonom, geb. 16. Dez. 1822 zu Breslau, verfolgte die Verwaltungslaufbahn in Berlin, Münster und Breslau, doktorierte 1848 mit einer Darstellung der Uhrenindustrie des Schwarzwaldes, war 1853-56 Bürgermeister von Hirschberg im Riesengebirge und 1856-1865 Spezialkommissar für gutsherrlich-bäuerliche Auseinandersetzungen in Breslau. Dabei widmete er sich agrarhistorischen Studien auf dem dortigen Staatsarchiv unter Wattenbach u. a., die er auf zahlreichen Reisen in den Hauptländern Europas fortsetzte. Daraus gingen verschiedene Arbeiten hervor: "Urkunden schlesischer Dörfer" im "Codex diplomaticus Silesiae", Bd. 4 (Bresl. 1863); "Die Kulturzustände der Slawen vor der deutschen Kolonisation" (das. 1864); "Die Ausbreitung der Deutschen in Deutschland und ihre Besiedelung der Slawengebiete" (Jena 1879). Im J. 1865 zur Bearbeitung der Ergebnisse der Grundsteuerveranlagung nach Berlin berufen, veröffentlichte er: "Der Boden und die landwirtschaftlichen Verhältnisse des preußischen Staats" (Berl. 1868-73, 4 Bde.). 1867-72 war er Mitglied des königlich preußischen Statistischen Büreaus, 1872 bis 1882 Geheimer Regierungsrat am kaiserlichen Statistischen Amte des Deutschen Reichs und namentlich an den landwirtschaftlichen, gewerblichen und hydrographischen Veröffentlichungen dieser Anstalten beteiligt. 1875 wurde er außerordentlicher Professor der Statistik und Nationalökonomie an der Universität Berlin. Andre Schriften Meitzens sind: "Topographische Erwägungen über den Bau von Kanälen in Deutschland" (Berl. 1870); "Die Frage des Kanalbaues in Preußen" (Leipz. 1885); "Die Mitverantwortlichkeit der Gebildeten für das Wohl der arbeitenden Klassen" (Berl. 1876); "Das deutsche Haus in seinen volkstümlichen Formen" (das. 1882); "Geschichte, Theorie und Technik der Statistik" (das. 1886).