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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Orléans

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Orléans (Geschlecht).

Partei des Bergs ein. Zur Entrüstung seiner eignen Parteigenossen stimmte er 1793 für Ludwigs XVI. Tod. Nun wurde er jedoch, des Strebens nach der Königskrone verdächtigt, verhaftet und vom Revolutionstribunal zu Paris trotz seiner geschickten Verteidigung 6. Nov. 1793 zum Tod verurteilt und guillotiniert. Vgl. Montjoie, Conjuration d'O. (Par. 1793, 3 Bde.); Ducoin, Philippe d'O.-Égalité (das. 1845); Tournois, Histoire de Louis-Philippe-Jos. d'O. et du parti d'O. dans ses rapports avec la Révolution française (das. 1840-43, 2 Bde.). Seine Gemahlin hatte sich 1792 von ihm getrennt, da der Herzog sie seit langem vernachlässigte und ein intimes Verhältnis mit der Frau v. Genlis anknüpfte, ward aber 1794 ebenfalls ins Gefängnis nach Marseille gebracht und erhielt erst 1795 ihre Freiheit und 1797 ihr Vermögen zurück. Sie starb 23. Juni 1821 in Paris. Aus ihrer Ehe entsprangen: Ludwig Philipp (s. Ludwig 37), der spätere König der Franzosen, welcher nach seines Vaters Tode den Titel eines Herzogs von O. annahm; Anton Philipp, Herzog von Montpensier (s. d. 3); Alfons Leodegar, Graf von Beaujolais, geb. 1779, gest. 1808 in Malta; Maria Adelaide Eugenie Luise, Mademoiselle d'O., geb. 23. Aug. 1777, gest. 31. Dez. 1847 (s. Adelheid 2).

Der Ehe des Königs Ludwig Philipp von O. mit der Prinzessin Maria Amalie von Sizilien entsprangen acht Kinder, von denen der älteste Sohn, Ferdinand, geb. 3. Sept. 1810 zu Palermo, bei seiner Geburt den Titel eines Herzogs von Chartres erhielt und nach seines Vaters Thronbesteigung (1830) Herzog von O. und Kronprinz von Frankreich wurde. 1831 und 1832 wohnte er den französischen Expeditionen in Belgien, 1835-40 denen in Algerien bei und beschäftigte sich hierauf vorzugsweise mit der Organisation und Musterung der Truppen; die Einrichtung der Jäger von Vincennes (Chasseurs d'O.) ist sein Werk. Künste und Wissenschaften fanden in ihm einen freigebigen Beschützer. Er fand seinen Tod 13. Juli 1842 auf dem Weg von Paris nach Neuilly durch einen Sprung aus seinem Kabriolett, dessen Pferde durchgingen. Der Verlust dieses liebenswürdigen, freisinnigen Prinzen, welcher eine große Popularität genoß, war für das Haus O. ein schwerer Schlag. Vgl. Mendelssohn, Ferdinand Philipp, Herzog von O. (Altenb. 1842). Aus seiner Ehe mit der Prinzessin Helene von Mecklenburg-Schwerin, geb. 24. Jan. 1814, gest. 18. Mai 1858 (s. Helene 1), entsprangen: Ludwig Philipp, Graf von Paris, nach dem Tod seines Vaters bis 1848 der präsumtive Thronerbe, zu dessen gunsten Ludwig Philipp 24. Febr. 1848 vergeblich dem Thron entsagte, geb. 24. Aug. 1838, und Robert, Herzog von Chartres, geb. 9. Nov. 1840. Der erstere, welcher seit 1864 mit einer Tochter seines Oheims, des Herzogs von Montpensier, vermählt ist und zwei Söhne (der ältere, Prinz Ludwig Philipp Robert, geb. 6. Febr. 1869, führt den Titel eines Herzogs von O.) und drei Töchter hat, ist seit 1850 Haupt der Familie. Er wurde nebst seinem Bruder in Deutschland (Eisenach) erzogen und nahm dann im Heer der Union am amerikanischen Bürgerkrieg teil, über welchen er ein tüchtiges Werk ("Histoire de la guerre civile en Amérique", 1875-88, Bd. 1-7) veröffentlichte; ferner schrieb er: "Les associations ouvrières (trades-unions) en Angleterre" (7. Aufl. 1884) und "De la situation des ouvriers en Angleterre" (1873). Vgl. Marquis de Flers, Le comte de Paris (Par. 1887). Die übrigen Söhne Ludwig Philipps sind: der Herzog von Nemours (s. d.), der Prinz von Joinville (s. d.), der Herzog von Aumale (s. d. 4) und der Herzog von Montpensier (s. d. 4). Seine älteste Tochter, Luise von O., geb. 3. April 1812, vermählt 1832 mit Leopold I., König der Belgier, starb 11. Okt. 1850. Die zweite Tochter, Maria von O. (s. Maria 22), geb. 12. April 1813, Gemahlin des Herzogs Alexander von Württemberg, starb 6. Jan. 1839. Die dritte Tochter, Klementine von O., geb. 3. Juni 1817, war 1843-81 mit dem Prinzen August von Sachsen-Koburg-Gotha vermählt und ist Mutter des Fürsten Ferdinand von Bulgarien.

Nach der Restauration der Bourbonen 1814 erhielt auch Ludwig Philipp, der damalige Herzog von O., die immer noch ansehnlichen Trümmer seiner Familiengüter zurück. Dieselben bestanden aus Apanagegütern, die Ludwig XIV. zu gunsten seines Bruders, des Stifters der Familie, ausgesetzt hatte, und in Privatgütern. Die erstern fielen 1830, als Ludwig Philipp den Thron bestieg, an die Krone zurück und wurden durch das Gesetz vom 2. März 1832 zur Immobiliardotation der Zivilliste, nach der Februarrevolution von 1848 aber durch die Nationalversammlung zum Staatseigentum geschlagen. Die Privatgüter der Familie ließ Ludwig Philipp 7. Aug. 1830 vor seiner Thronbesteigung, damit sie nicht ebenfalls auf Grund des Gesetzes vom 8. Nov. 1814 als Eigentum des Königs an die Krone fielen, durch eine gerichtliche Schenkungsakte auf seine Kinder übertragen und vermehrte sie durch spätere Schenkungen aus den Ersparnissen der Zivilliste ansehnlich. Obwohl die Nationalversammlung durch Dekret vom 26. Mai 1848 die Familie O. aus Frankreich verbannte, so lehnte sie doch die beantragte Konfiskation ihrer Güter ab. Diese verhängte erst 22. Jan. 1852 der damalige Präsident der Republik, Prinz Ludwig Napoleon, und befahl deren Veräußerung zu gunsten öffentlicher Zwecke und des Fiskus. Zugleich wurde den Mitgliedern der Familie O. verboten, in Frankreich Mobiliar- oder Immobiliarvermögen zu besitzen, und ihnen befohlen, dasselbe binnen einer bestimmten Frist zu verkaufen. Diese Dekrete erregten allgemeines Mißfallen, selbst unter den politischen Gegnern der O. Die betroffenen Mitglieder der Familie O. einigten sich über einen Protest, welcher 28. Jan. dem Präsidenten der Republik überreicht wurde, und erhoben, als sich die Regierung im April des Schlosses Neuilly und der Domäne Monceaux bemächtigte, bei dem Seinetribunal Klage, wogegen der Seinepräfekt Protest gegen die Zuständigkeit des Gerichts einlegte, der am 15. Juni 1852 vom Staatsrat gebilligt wurde.

Die O. hielten sich während ihrer Verbannung in England meist von der Politik fern, während ihre Partei (s. Orléanisten) durch eine Fusion mit den Legitimisten die royalistischen Bestrebungen zu fördern suchte. Gleichwohl verfolgte die Regierung Napoleons III. gerade die O. mit kleinlichen Schikanen, wie namentlich beim Erscheinen des Buches des Herzogs von Aumale über die Prinzen von Condé. 1870 boten die Prinzen von O. der Regierung ihre Dienste für den Krieg mit Deutschland an, wurden aber sowohl vom Kaiserreich als von der Republik zurückgewiesen. Nach dem Frieden kehrten sie nach Frankreich zurück. Ihre Aussichten für die Wiedererrichtung eines orléanistischen Königtums waren nicht ungünstig, da bei den Wahlen zur Nationalversammlung nicht bloß eine bedeutende Anzahl Orléanisten, sondern auch zwei Prinzen, der Herzog von Aumale und der Prinz von Joinville, gewählt worden waren. Indes hatten sie nicht den Mut, die Verantwortung für den notwen-^[folgende Seite]