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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: 1815-1835).

Regierung stand. Zu diesem Zweck sollten die europäischen Verhältnisse, wie der Kongreß sie geschaffen, überall unverändert bleiben, durch Niederhaltung jeder Volksbewegung eine Wiederkehr der verderblichen Revolutionszeit für immer verhindert und in der unumschränkten landesväterlichen Monarchie das Heil der Welt gesucht werden. Diese konservative und absolutistische Staatsräson wurde von den talentvollen Ausländern, welche Metternich nach Wien gezogen hatte, zu einem hochpolitischen System ausgebildet: von dem genialen, aber charakterlosen Gentz, dessen Schützling Adam Müller, dem Romantiker Friedrich v. Schlegel und den Publizisten Pilat und Jarcke, deren Mehrzahl überdies zur römischen Kirche übertrat. Die Heilige Allianz sollte das Werkzeug dieser Politik werden. In Österreich wurde jede freiere Regung auch auf litterarischem Gebiet durch eine strenge, ja brutale Zensur unterdrückt; nur wenige Dichter, wie Anastasius Grün, Lenau und Beck, wagten es, die Politik zu berühren und der Freiheit das Wort zu reden. Die geistigen Interessen auch der Wiener Bevölkerung gingen kaum über das Theater und musikalische Genüsse hinaus. In Deutschland konnte Metternich die Verleihung ständischer Verfassungen in den süddeutschen Staaten nicht verhüten. Um so mehr war er darauf bedacht, Preußen daran zu hindern, damit es Österreich nicht an Einfluß überflügele, und das Wartburgfest und die Ermordung Kotzebues 1819 gaben ihm Anlaß, den Karlsbader Kongreß zu berufen, auf welchem beschlossen wurde (Karlsbader Beschlüsse), Deutschland einer strengen polizeiliche Überwachung zu unterwerfen. Aber auch überall sonst, wo es galt, die Regierungsgewalt gegen Ansprüche der Völker in Schutz zu nehmen oder Regungen nach größerer Selbständigkeit und nationaler Freiheit zu unterdrücken, stand Metternich 1815 bis 1848 an der Spitze der Reaktion. Metternich war es, der die Berufung der drei europäischen Kongresse in Troppau (1820), Laibach (1821) und Verona (1822), also alle drei auf österreichischem Boden, bewirkte, auf denen beschlossen wurde, die in Neapel und Spanien eingeführten konstitutionellen Verfassungen durch bewaffnete Intervention umzustürzen und das absolute Königtum herzustellen. Während die Intervention in Spanien Frankreich übertragen wurde, übernahm sie in Neapel Österreich (1821).

Auch der Aufstand der Griechen (1821) wurde von Metternich als eine strafbare Auflehnung gegen die legitime Herrschaft der Türken angesehen und Alexander Ypsilanti, als er sich auf ungarischen Boden flüchtete, verhaftet und in Munkács gefangen gehalten. Dennoch konnte Österreich nicht hindern, daß Rußland, England und Frankreich 1827 Griechenland durch die Schlacht bei Navarino vom Untergang retteten und Rußland 1828 der Pforte den Krieg erklärte, der mit der Anerkennung der griechischen Unabhängigkeit endete. Metternich war nicht abgeneigt, sich an Rußland durch geheime Begünstigung der polnischen Revolution 1830-31 zu rächen, zumal da dieselbe in Österreich, besonders in Ungarn, lebhafte Sympathien hervorrief und ein starkes polnisches Reich einen schützenden Damm gegen Rußlands Vergrößerungsgelüste bot. Indes die revolutionären Bewegungen, welche die französische Julirevolution in Italien und Deutschland hervorrief, führten Österreich zu seiner alten Rolle als unbedingten Verfechters des Bestehenden zurück. In Parma und Modena erhoben sich nämlich im Februar 1831 die Bewohner und vertrieben ihre Fürsten, die auf österreichischem Gebiet eine Zuflucht suchen mußten, während gleichzeitig aus der Romagna die päpstlichen Behörden verjagt wurden. Schon im März rückten österreichische Truppen in Modena und Parma sowie in der Romagna ein und unterdrückten die Revolution, worauf die alten Regierungen wieder eingesetzt wurden. In Deutschland schritt Österreich nach dem Hambacher Fest (1832) und dem Frankfurter Attentat (1833) ein. Auf einer Zusammenkunft der Kaiser von Österreich und Rußland und des Kronprinzen von Preußen in Münchengrätz (September 1833) wurden energische Maßregeln zur Unterdrückung der Revolution in Deutschland durch die Einsetzung der Zentralkommission in Mainz, Knebelung der Presse, Überwachung der Universitäten u. a. beschlossen. In der Schweiz unterstützte Österreich den Widerstand der alten katholischen Kantone gegen jede Reform der Bundesverfassung. Als der 1815 geschaffene kleine Freistaat Krakau sich zum Herd neuer Umtriebe gegen die russische Herrschaft in Polen machte, wurde er gemäß einem Vertrag zwischen den Schutzmächten vom 6. Nov. 1846 Österreich einverleibt.

Nicht so ausschließlich beherrschte Metternich die innere Politik Österreichs. Diese hatte sich der Kaiser Franz I. selbst als das hauptsächliche Gebiet seiner Thätigkeit ausersehen, und diese bestand darin, jede Veränderung des Bestehenden abzuwehren und die Stagnation zu einer vollständigen Erstarrung zu steigern. Der langjährige, nur durch vorübergehende Störungen unterbrochene Friede hätte zu durchgreifenden Reformen auffordern müssen, deren das Reich so dringend bedurfte. Nichts geschah, um die Finanzen in Ordnung zu bringen, und obwohl keine Verschwendung getrieben wurde, belief sich bloß wegen der Verrottetheit der Verwaltung und der kümmerlichen Entwickelung der innern Hilfsquellen das Defizit jährlich auf mehr als 30 Mill. Gulden. Das Beamtentum beharrte bei dem bisherigen Schlendrian, und zur Verschmelzung der verschiedenen Länder und Nationalitäten wurde nichts gethan, obwohl dies ohne Schwierigkeiten hätte geschehen können, da die Bevölkerung sich der Regierung willenlos fügte. Auch die Deutschösterreicher ließen sich die geistige Abtötung ruhig gefallen und verloren dadurch die erforderliche Kraft zur Behauptung der Führerrolle in dem Völkergemenge. In Ungarn mußte die Regierung zwar bei der hartnäckigen Verteidigung der verfassungsmäßigen Rechte durch die ganze Nation auf eine Erweiterung ihrer Macht namentlich in Finanzfragen verzichten, überließ aber dann die ungarische Verfassung ihrer eignen unbehilflichen Schwerfälligkeit, die sie ungefährlich zu machen schien. Selbst Metternich kam schließlich zur Erkenntnis, daß ein regelmäßiger Fortschritt der Erhaltung des Staats nicht schädlich, sondern förderlich sei, und daß eine Reform der Zoll- und Wirtschaftspolitik, wie Preußen sie vorgenommen und auf den Zollverein ausgedehnt hatte, Österreichs Machtmittel heben werde. Franz I. wollte hiervon nichts wissen, und als er 2. März 1835 starb, ermahnte er seinen Nachfolger: "Verrücke nichts an den Grundlagen des Staatsgebäudes, regiere und verändere nicht!"

Franz' I. Sohn Ferdinand I. (1835-48) war zur wirklichen Regierung unfähig. Um nun Metternich nicht die ausschließliche Gewalt zu überlassen, setzte die Partei der Erzherzöge im Dezember 1835 die Einsetzung der Staatskonferenz durch, in der Metternich sein Rival Graf Kolowrat und der allen Neuerungen durchaus abgeneigte Erzherzog Ludwig an die Seite gestellt wurden. Die Folge war, daß nun alle Reformvorschläge, die Begünstigung des