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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Österreichisch-Ungarische Monarchie

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Österreichisch-Ungarische Monarchie (Geschichte: Gegenwart).

Immer mehr Volksschulen wurden von den Tschechen und Slowenen den Deutschen entrissen, ja 1882 sogar in Wien eine tschechische Volksschule gegründet.

Nachdem der Reichsrat 1883 einige die Hebung des Gewerbes bezweckende Gesetze und eine die Rückkehr zur konfessionellen Schule begünstigende Schulgesetznovelle angenommen hatte, wobei der Widerstand der liberalen Herrenhausmehrheit durch wiederholte feudal-ultramontane Pairsschübe beseitigt wurde, fand sich 1884 endlich die Mehrheit des Abgeordnetenhauses bereit, über den Wurmbrandschen Antrag über die gesetzliche Anerkennung des Deutschen als Staatssprache zu verhandeln. Derselbe sollte den Ansprüchen der Slawen ein Ziel setzen, welche verlangten, daß in allen Ländern mit verschiedenen Sprachen jeder Beamte beide Landessprachen, also außer dem Deutschen in Böhmen Tschechisch, in Krain Slowenisch, in Tirol Italienisch etc. sprechen müsse, wobei von einer Einheit des Beamtentums nicht mehr die Rede sein konnte. Die Regierung und die Rechte erklärten den Antrag für überflüssig, da die Geltung der deutschen Sprache als die der Dynastie, des Heers, des Reichsrats, kurz als Verständigungsmittel für alle gemeinsamen Angelegenheiten unbestritten sei, und erreichten auch seine Ablehnung mit 186 gegen 155 Stimmen (29. Jan.). Doch bemühten sich darauf die Minister durch beruhigende Worte die Aufregung der deutschen Bevölkerung zu beschwichtigen.

Im Mai und Juni 1885 fanden die Neuwahlen für das Abgeordnetenhaus statt. Die Regierung bereitete den Sieg der ihr geneigten Parteien dadurch vor, daß sie die deutsche Agitation auf alle mögliche Weise hinderte, auch den Deutschen Schulverein beschränkte, dagegen in Böhmen durch Änderung des Wahlmodus im Großgrundbesitz und in den Handelskammern die Tschechen begünstigte, in Galizien den Polen die Ruthenen unterdrücken half, in Dalmatien die Kroaten unterstützte und in Tirol ein Bündnis der Klerikalen mit den Italienern zu stande brachte. Auf deutscher Seite wurde besonders in Böhmen die "schärfere Tonart" angeschlagen. Das Resultat der Wahlen ergab für die Deutschliberalen einen Verlust von 15 Stimmen. Ein Sieg der Opposition über das System Taaffe war also noch mehr in die Ferne gerückt. Anderseits freilich sah die Mehrheit ihre Macht durch die Einwirkung von allerlei Sonderinteressen, so bei der Nordbahnfrage und der Verhandlung über die galizischen Bahnen, geschwächt; wie bei der Verfassungspartei in der Zeit ihrer Herrschaft, kamen jetzt bei der Mehrheit allerlei Unregelmäßigkeiten, wie Ausbeutung des parlamentarischen Einflusses zu persönlicher Bereicherung u. dgl., vor, so daß nicht bloß Abgeordnete, sondern auch der Handelsminister Pino zurücktreten mußten. Wiederholt drohte die regierungsfreundliche Mehrheit auseinander zu fallen; nur mit Mühe vermochte Taaffe sie durch immer neue Zugeständnisse zusammenzuhalten. Die deutsche Opposition gewann dagegen an Kraft, als sie sich 1885 in einen deutschen und einen deutsch-österreichischen Klub teilte. Die Fortsetzung der Taaffeschen Versöhnungspolitik, die nur den Nationalitätenhader schürte, konnte sie um so weniger hindern, als die Regierung sich 1886 zu besondern Opfern genötigt sah, um die Tschechen für die Annahme des neuen Ausgleichs mit Ungarn, der 1887 zu stande kommen mußte und auch zu stande kam, zu gewinnen. Das wichtigste dieser Opfer war die Sprachenverordnung des Justizministers Prazak vom 23. Sept. 1886, welche das Oberlandesgericht in Prag anwies, alle tschechisch eingereichten Sachen ohne Übersetzung tschechisch zu erledigen, also von allen Beamten dieses Gerichts die Erlernung der tschechischen Sprache forderte und in ihren Konsequenzen die Tschechisierung der Gerichte in Böhmen und auch in Mähren bedeutete. Die Deutschen im böhmischen Landtag, welche seit 1884 die Mehrheit verloren hatten, beantragten, um dem vorzubeugen, die gerichtliche und administrative Teilung Böhmens in einen deutschen und einen tschechischen Teil. Doch wurde ihr Antrag nicht einmal zur Verhandlung zugelassen, so daß sich die Deutschen 22. Dez. 1886 zum Austritt aus dem Landtag genötigt sahen. Überall sah sich das Deutschtum in Österreich bedrängt und in der Verteidigung gegen seine Feinde durch die Maßregeln der Regierung gehemmt. Die Ansprüche der Nationalitäten stiegen immer höher und ließen keine Aussicht auf friedlichen Zustand zu. Dazu kamen dann nach soziale Mißstände, und sozialistische Umtriebe, die sich besonders in Wien bemerkbar machten, nötigten zu Ausnahmegesetzen und scharfem Einschreiten der Behörden.

Die auswärtige Politik der Monarchie wurde durch die Revolution in Ostrumelien (Sept. 1885), welches sich mit dem Fürstentum Bulgarien vereinigte, beunruhigt. Denn dies Ereignis brachte den ganzen Orient wieder in Bewegung. Die Serben eröffneten aus Neid gegen die Bulgaren einen Krieg, der freilich ganz gegen ihr Erwarten höchst ungünstig ablief, so daß Österreich sich veranlaßt sah, als der Fürst von Bulgarien siegreich in Serbien eindrang, einzuschreiten. Es gelang auch, den Streit zwischen Serbien u. Bulgarien durch den Bukarester Frieden beizulegen. Eine neue Verwickelung entstand aber durch das brutale Attentat gegen den Fürsten Alexander (21. Aug. 1886), seine Rückkehr und Abdankung (September) u. die daran sich anschließenden Umtriebe Rußlands gegen die bulgarische Regentschaft. Österreich erklärte die Besetzung Bulgariens durch Rußland nicht dulden zu wollen und traf rasch einige Vorbereitungen, um für den Kriegsfall gerüstet zu sein. Eine 1883 durchgeführte Neueinteilung des Heers sowie ein 1886 in beiden Reichshälften angenommenes Landsturm- und ein Rekrutengesetz hatten schon die Wehrkraft vermehrt. Jetzt wurden außerordentliche Mittel für bessere Bewaffnung (mit Mehrladern) und Befestigungen beschafft und diese schon ausgegebenen Gelder sowie weitere (im ganzen 52½ Mill. Gulden) in einer außerordentlichen Session 1887 von den Delegationen bewilligt. Inzwischen hatten die Ungeschicklichkeit des russischen Agenten Kaulbars sowie die Klugheit und Standhaftigkeit der bulgarischen Regentschaft die Gefahr einer russischen Besetzung Bulgariens beseitigt. Überdies war Österreichs Stellung auf der Balkanhalbinsel durch sein Bündnis mit Deutschland, dem sich Italien anschloß, gesichert. Dennoch wurde wegen der Haltung Rußlands auch 1888 eine Verstärkung der Streitmittel für notwendig erachtet und weitere 47 Mill. Guld. bewilligt.

[Litteratur.] Allgemeine Geschichte: Herrgott, Genealogia diplomatica augustae gentis Habsburgicae (Wien 1737, 3 Bde.); Hormayrs "Archiv" (seit 1810) und "Taschenbuch für vaterländische Geschichte" (seit 1811); "Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen", später unter dem Titel: "Archiv für österreichische Geschichte" (hrsg. von der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, das., seit 1848); "Fontes rerum austriacarum" (das. 1855 ff.); Schober, Quellenbuch zur Geschichte der österreich.-ungarischen Monarchie (das. 1886 ff.); Hormayr, Österreichischer Plutarch (das. 1807-14, 20 Tle.); v. Wurzbach, Biographisches Lexikon des Kaiserstaats Österreich