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Meyers Konversationslexikon

Autorenkollektiv, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig und Wien, Vierte Auflage, 1885-1892

Schlagworte auf dieser Seite: Paris

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Paris (Verwaltung, Geschichte).

Opernhaus (s. oben) eine herrliche Stätte gefunden hat. Das Gebäude der Komischen Oper ist mit mehreren hundert Personen im J. 1887 ein Raub der Flammen geworden. Für Opernvorstellungen besteht noch die Opéra-Populaire. Das von Offenbach ins Leben gerufene Genre der Operette hat sich, ein bedauerliches Zeichen des Zeitgeschmacks, eine ganze Reihe von Bühnen erobert, so die Bouffes-Parisiens, die Renaissance, die Folies-Dramatiques u. a. An der Spitze der recitierenden Bühnen steht das altehrwürdige und seinen Ruhm bis auf die neueste Zeit rechtfertigende Théâtre-Français (s. d., Salle Molière), ebenso mustergültig für die Darstellung der klassischen französischen Tragödie und Komödie wie für jene des modernen Schauspiels höherer Gattung. Als eine Art Vorstufe und Vorschule für dasselbe, sowohl für Dichter als für Schauspieler, kann das Odéontheater, dem Luxembourg gegenüber, angesehen werden. Sonstige nennenswerte Theater, namentlich für Konversationsstücke, sind das Vaudeville und das Gymnase, für Feerien und Ballette das Châtelet u. a. Von kleinern, für das niedere Volk bestimmten Theatern sowie von Cafés chantants gibt es eine sehr große Zahl, ebenso ist in P. kein Mangel an Zirkusvorstellungen und musikalischen Produktionen (darunter die berühmten Konzerte des Konservatoriums).

Verfassung. Behörden. Finanzen.

Für die Beratung der städtischen Angelegenheiten besteht ein Munizipalrat von 80 auf drei Jahre gewählten Mitgliedern. Der Seinepräfekt vereinigt in sich die Funktionen eines Zentralmaire von P. Die 20 Arrondissements besitzen je eine Mairie. Das Budget der Stadt P. übersteigt dasjenige manches kleinen Königreichs. Für das Jahr 1888 wurden die ordentlichen Einnahmen mit 260 Mill. Frank (darunter Oktroi 137,5) und ebenso hoch die Ausgaben beziffert. Unter den letztern figurieren die Verzinsung und Amortisierung der Munizipalschuld mit 100,3 Mill. Fr., Unterricht mit 23,8, Polizei mit 25,5, Unterstützungs- und Humanitätsanstalten mit 22,8, öffentliche Straßen mit 20,2 Mill. Fr. Die städtische Schuld hat einen Stand von 1696,7. Mill. Fr. erreicht, wogegen der Besitz der Stadt mit 1616,9 Mill. Fr. bewertet wird. Man schätzt das Immobiliarvermögen innerhalb des von der Pariser Militärstraße umschlossenen Raums auf 23½ Milliarden Fr., wovon auf den Grundwert 11,7 Milliarden Fr. entfallen.

P. ist Sitz des Präsidenten der Republik (im Elyséepalast), der Gesetzgebenden Körper, des Staatsrats, der Ministerien und sonstigen obersten Staatsbehörden, ferner der Seinepräfektur, der Polizeipräfektur, eines Generalkommandos, des Instituts der Ehrenlegion, der Staatsdruckerei, des Büreaus für Längenmessungen, eines Erzbistums, des protestantischen, reformierten und israelitischen Konsistoriums, an Gerichtsbehörden (außer dem Kassationshof) eines Appell- und Assisenhofs, eines Tribunals erster Instanz und eines Handelsgerichts, dann von 12 Friedensgerichten und 4 Conseils des Prud'hommes sowie eines deutschen Berufskonsuls.

Geschichte.

Zur Zeit Julius Cäsars war die Gegend, wo jetzt P. steht, im Besitz des keltischen Stammes der Parisier. Die Hauptstadt der Parisier, Lutuhezi, d. h. Wasserwohnung, bei den Römern und Griechen Lukotitia oder Lutetia (gewöhnlich Lutetia Parisiorum) genannt, lag auf einer Seineinsel (der Stelle der heutigen Cité). Geschützt durch zwei Arme der Seine sowie durch eine hölzerne Mauer, diente Lutetia dem Volk der Parisier in Kriegszeiten als Zufluchtsort für Greise, Weiber, Kinder und Vieh; in Friedenszeiten aber hielten die Druiden hier ihre geheimnisvollen Versammlungen sowie ihre Gerichtstage. Cäsar veranstaltete 54 hier eine Versammlung der gallischen Völker. An der Erhebung des Vercingetorix nahmen auch die Parisier teil, wurden aber nach tapferer Verteidigung ihrer Hauptstadt 52 durch Labienus unterworfen. Cäsar ließ das während des Kriegs zerstörte Lutetia auf der Citéinsel wieder aufbauen und befestigen. Von jetzt an wurde P. Urbs vectigalis (tributäre Stadt), und seine Bewohner, welche nicht unbedeutenden Handel auf der Seine trieben, wurden bald wohlhabend. Auch war es Station einer Flußflottille, woher auch das Wappen der Stadt, ein Schiff, herrührte. Mehrere römische Kaiser hielten sich kürzere oder längere Zeit hier auf, so Constantius Chlorus, welcher auf dem linken Seineufer einen Palast baute (die Ruinen heißen jetzt Thermen), Konstantin d. Gr., Constans, Julian Apostata, welcher hier 360 zum Kaiser ausgerufen wurde, Valentinian I., Valens und Gratian, welch letzterm die in der Nähe von P. gegen Maximus verlorne Schlacht Reich und Leben kostete. Seit 358 ward der Name Lutetia durch die Bezeichnung Civitas Parisiorum, auch bloß Parisii oder Parisia verdrängt. 451 rettete die heil. Genoveva P. vor einem Angriff durch Attila und wurde dafür Schutzpatronin der Stadt. 486 eroberte es Chlodwig ohne Schwertstreich und erhob es 508 zu seiner Hauptstadt, nachdem er es mit Mauern umgeben. Er residierte anfangs im Thermenpalast, ließ sich aber später einen zweiten Palast in der Nähe der Peter-Paulskirche erbauen und gründete die Kirche Ste.-Geneviève. Auch bei den Teilungen unter Chlodwigs Nachfolgern blieb P. eine der wichtigsten Städte des Frankenreichs, so daß bei der Neuteilung des Reichs nach Chlotars I. Tod 561 die Söhne desselben über einen gemeinschaftlichen Besitz von P. sich verständigten. Später wurde es Hauptstadt von Neustrien. Unter Karl d. Gr. wurde es Sitz eines Grafen von P. Im 9. Jahrh. hatte es von den Plünderungszügen der Normannen (841, 845, 855, 861) und verheerenden Hungersnöten (850, 855, 868, 873, 899) zu leiden. 885-886 hielt es unter der tapfern Leitung des Grafen Odo von P. eine 13monatliche Belagerung durch die Normannen aus. Hugo Capet erklärte es 987 zur Hauptstadt des französischen Reichs, erweiterte es und fügte den Bürgern zu ihren alten Vorrechten neue hinzu. Ein königlicher Prévôt (Vogt) verwaltete unter ihm und seinen Nachfolgern im Namen des jedesmaligen Königs die Zivil- und Kriminaljustiz, nahm die Gerechtsame des Fiskus wahr und führte die Oberaufsicht über die Polizei. Der Prévôt der Kaufmannschaft stand an der Spitze der Verwaltung der städtischen Einnahmen und der öffentlichen Gebäude, wachte über die Aufrechterhaltung der Freiheiten sowie über den Seinehandel und übte die Polizei über die sechs Körperschaften der Kaufleute aus. Nur der Adel, die Geistlichkeit und die Studenten waren jenen beiden Behörden nicht unterworfen. Die Pariser Schulen wurden schon im 12. Jahrh. durch berühmte Lehrer, wie Petrus Lombardus und Abälard, weit bekannt und sehr besucht. Unter Philipp II. August wurden zuerst die Straßen gepflastert, das alte Louvre erbaut und die Stadt mit einer starken Befestigungsmauer umgeben. 1200 wurde die Universität errichtet, die berühmteste des Mittelalters, welche bald 20,000 Studenten zählte und in der theologischen Wissenschaft eine große Autorität genoß.